Schöner sitzen

Von Anja Nehls |
Vor ungefähr 15 Jahren platzten die Berliner Gefängnisse aus allen Nähten. Gerichte entschieden, dass die Unterbringung der alten Haftanstalt Tegel menschenunwürdig sei. Jetzt ist das neue Gefängnis Heidering fast fertig, mit abgetrennten Bädern für die Häftlinge.
Eigentlich hört man an dieser Stelle nur die Vöglein zwitschern. In ein paar Tagen wird das auch so sein, aber noch wird hier gearbeitet. Am Eingangsgebäude aus glattem dunkelgrauen Sichtbeton montieren Arbeiter schwere Schiebestahltüren – eine Schleuse für Waren, Mitarbeiter, Besucher und Gefangene:

Anke Stein:"Na, momentan ist es ja nur ein Tor, aber es wird natürlich noch eine Schleuse, sonst wäre es ja keine Pforte, sonst könnte ja ein Gefangener, wenn er denn in der inneren Sicherheit weiterkommt, was er kann in dieser Anstalt, bis hier vorne laufen und sich hier irgendwo vielleicht noch gut hinstellen und warten, bis das Tor aufgeht.“

Anke Stein, die Leiterin der nagelneuen Justizvollzugsanstalt Heidering ist überzeugt davon, dass so etwas nicht passiert. Nicht hier – obwohl das sandgelbe Gefängnis anders ist als andere – moderner und irgendwie auch freier, aber dennoch sicher, meint die Chefin, die die ganze 120-Millionen-Euro-Anlage mit geplant hat. Eine Mauer wie sonst üblich gibt es hier außen herum nicht. Stattdessen zwei Zaunreihen fünf bis sechs Meter hoch mit Stacheldrahtrollen obendrauf. Die Transparenz macht den Unterschied, sagt Anke Stein, der Ausblick in die Weite der Brandenburger Natur hinter dem Zaun.

„Und warum sollten wir unsere Gefangenen davon ausschließen, es geht um die Transparenz, es geht darum, Ausblicke zu ermöglichen und Perspektiven zu eröffnen im Vollzug.“

650 Gefangene werden hier ihre Strafe absitzen, die ersten kommen im Mai. Aber die Bürokratie funktioniert bereits, jedenfalls für die Besucher:

Vollzugsbediensteter, nicht Wärter
Markus Jahnsmüller:"Guten Tag, dann bräuchte ich mal Ihren Personalausweis, so die 007, das hört sich doch gut an, Ausweis behalte ich, wir tauschen nachher, wenn Sie wieder rausgehen.“

Markus Jahnsmüller ist Vollzugsbediensteter, kein Wärter, Wächter oder gar Schließer, darauf legen er und seine Kollegen wert. Aus einem kleinen aquariumartigen Glaskasten hat er den Überblick über vier Wohnbereiche, deren Flure x-förmig von der Mitte aus einzusehen sind. In jedem Flur gibt es 18 Hafträume, die natürlich keine Zellen sind und auch nicht so aussehen, ein Schloss haben sie aber trotzdem.

Ungefähr zehn Quadratmeter moderne Zweckmäßigkeit, hinter einem vergitterten Fenster. Apfelgrüner Boden, weiße Möbel mit grünen Elementen, das Gefängnis hat sogar ein Farbkonzept. Ein Bett, ein Schrank, ein abgetrenntes Bad mit Waschbecken und Toilette. Standard heutzutage, auch für Gefangene. Mehrmals hatten Berliner Gerichte entschieden, dass die Unterbringung in der alten Haftanstalt Tegel menschenunwürdig sei. Jeden Morgen um halb sieben wird Markus Jahnsmüller bald hier aufschließen:

„Na, der Haftraum wird geöffnet, es wird ‚Guten Morgen‘ gesagt und in der Regel wird das Guten Morgen auch erwidert. In dem Fall kommt man auch in den Haftraum rein, wir haben da keine Berührungsängste und sagen, alles in Ordnung. Ja, alles klar.“

Stacheldraht am Gefängnisneubau Heidring
Mauer mit Stacheldraht am Gefängnisneubau Heidering© dpa/picturealliance/Tim Brakemeier
Gefangene gehen ohne Aufsicht zur Arbeit
Und dann heißt es für die Gefangenen aufstehen und ab zur Arbeit – wie im richtigen Leben – selbstständig, das heißt ohne Begleitung .Der Weg in die Werkstätten führt immer über die sogenannte Magistrale. Ein 250 Meter langer Gang, komplett übersichtlich, hell, überall bodentiefe Fenster, jede Menge Glas. Im Haus gibt es nur eine einzige vergitterte Tür. Aber an der Decke der Magistrale hängen Kameras. Der einzige Bereich im Gefängnis mit Videoüberwachung, erklärt Lisa Jani von der Senatsverwaltung für Justiz:

„Das hat einmal den Vorteil, dass die Bediensteten nicht jeden einzelnen Gefangenen begleiten müssen, das spart Personal. Und die Gefangenen sollen lernen, sich selbstständig zu bewegen, das ist auch Teil der Resozialisierung, das ist auch etwas, was sie hier in der JVA Heidering lernen sollen und können.“

Ein möglichst normales Leben sollen die Häftlinge haben, auch im Knast. Zurzeit laufen die Vorbereitungen dafür auf Hochtouren. In einem kleinen Apartment mit Küchenzeile, Bad und vergitterter Loggia wird ein gemütliches Lümmelsofa aufgebaut. Kein Luxus, sondern Teil des modernen Resozialisierungskonzepts.

„Viele haben ja auch Kinder, da wird hier auch eine kleine Spielecke eingerichtet und dann kann man auch mal gemeinsam auf dem Sofa sitzen und zusehen, dass die sozialen Kontakte auch halten, weil man weiß, wie wichtig die sozialen Kontakte für die Resozialisierung der Gefangenen sind. Was diejenigen dann hier machen, bleibt ihnen selbst überlassen.“

Auch Gefangene brauchen Platz für Gefühle, meint Markus Jahnsmüller. Er macht seinen Job schon fast 40 Jahre und ist davon überzeugt, dass die Coolness der Häftlinge im Besucherraum häufig nur vorgespielt ist.

„Da läuft natürlich ein anderes Programm, da sind alle stark nach draußen, da lässt man natürlich keine Gefühle zu, Emotionen. Hier in dem Raum ist das was anderes, hier in dem Raum gibt sich derjenige wie er wirklich ist.“

Und sollte das zum Beispiel aggressiv und gewalttätig sein, gibt es im Apartment für die Besucher mehrere Notknöpfe. Draußen auf dem Sportplatz gibt es Kunstrasen, Fußballtore, Basketballkörbe, eine Laufbahn und einen Trinkwasserbrunnen, die Sporthalle ist holvertäfelt. Alles ist neu, riecht neu und sieht neu aus – eben typisch für einen Neubau, sagt Chefin Anke Stein etwas süffisant. Kein Luxusknast, sei das – die Angestellten sollen sich wohlfühlen. Dass die Gefangenen sich auf den Umzug freuen, bezweifelt sie allerdings:

„Also jede Veränderung weckt Ängste. Freuen ist so eine Sache, wenn man im Vollzug ist. Die würden sich freuen, wenn sie ihre Entlassungspapiere bekämen. Das ist aber nicht das, was wir ihnen hier bieten.“