Schöner Schauder
Der 1893 in Weißrussland geborene Maler Chaïm Soutine kam 1913 nach Paris, wo er Seite an Seite mit Künstlern wie Chagall, Modigliani oder Lipchitz arbeitete. Das Kunstmuseum Basel stellt rund 60 Gemälde Soutines in Bezug zu Werken seiner Zeitgenossen aus der eigenen Sammlung.
Wenn einer Prügel riskiert, um malen zu dürfen, dann muss er ein Vollblutmaler sein. So einer war Soutine. 1893 in einem kleinen litauischen Dorf als zehntes Kind eines bettelarmen jüdischen Flickschusters geboren, zeichnete er schon als Junge unablässig. Seine Brüder prügelten ihn bei jedem Vergehen gegen das orthodoxe Bildnisverbot, und als er mit 16 einen Rabbi porträtieren wollte, bekam er es mit dessen Söhnen zu tun, erzählt die Kuratorin Nina Zimmer:
"Daraufhin ist Soutine wohl schwer körperlich misshandelt worden, verprügelt worden. Soutines Mutter hat dafür ein Schmerzensgeld aushandeln können, und dieses Schmerzensgeld war das Startgeld für ihn, um den Sprung wagen zu können nach Vilnius an die Kunstakademie."
1913 geht Soutine nach Paris und nistet sich in dem Künstlerasyl "La Ruche", dem "Bienenkorb" ein, in dem es von elenden Existenzen wimmelt. "Er sah fürchterlich aus", sagte sein Landsmann Chagall über ihn. Pickliges Gesicht, hungrig, liederlich gekleidet, ungewaschen und verwanzt bis in die Gehörgänge - ein eher unangenehmer Zeitgenosse. Einmal leiht er sich ein verkauftes Bild wieder aus, um es ein zweites Mal zu verhökern. Ein "krankhafter Expressionist" findet Chagall.
Sein Freund Modigliani lässt sich davon nicht abschrecken und macht ihn mit seinem Kunsthändler bekannt. Der schickt ihn erst mal in den Süden, zur Erholung. In Céret, einem kleinen Pyrenäenort, entstehen Soutines beste Arbeiten, eine Serie von aufregenden Landschaften.
Soutines gestisch-ungestüme Malweise lässt Häuser wanken und Bäume torkeln, als seien sie vom Mistral geschüttelt; eine ganze Allee gerät ins Rutschen. Der schwindelerregende Wirbel seiner Pinselstriche verbiegt die Perspektiven, die hingewühlte Farbe fließt wie Lava über die Leinwand.
"In Céret hat er unter extremen Bedingungen gelebt und gearbeitet. Und später, nachdem er eigentlich erfolgreich ist, entwickelt er eine Art Aversion speziell gegen diese Céret-Landschaften und geht in Galerien, kauft gezielt Céret-Arbeiten von sich auf und zerstört sie."
Sein entsetzter Kunsthändler kommt 1922 hinzu, als Soutine Feuer an einen Stapel von 300 Bildern legt. Etliche kann er retten - zum Glück, denn Albert C. Barnes, der schwerreiche Sammler aus Philadelphia, kauft ihm ein Jahr später auf einen Schlag rund hundert Bilder ab. Für Soutine eine Wende:
"Er nimmt Französischkurse, er kleidet sich komplett neu ein, Maßanzüge, liest Philosophie, Gedichte und tritt nun ganz anders au. Das sehen wir auch in Fotografien."
Innerlich bleibt Soutine derselbe. Ein Getriebener, ein Besessener, der sich in Ekstase gegen die Leinwand wirft, sich beim Malen auf dem Boden wälzt, mit Pinseln um sich schmeißt. Landschaften, Stillleben und Porträts, mehr malt er nicht. Gehenkte Truthähne, verendete Hühner, gerupftes und zerzaustes Geflügel. In seinem Spätwerk dominieren uniformierte Diener, Pagen, Köche, Kellner, Zimmermädchen, Chorknaben mit großen, flatternden Ohren und wulstigen Lippen. Menschen werden zu Krüppeln und grotesk deformierten Kreaturen, denen die Farbe wie Gekröse über den Körper kriecht.
Soutine muss sein Motiv stets vor Augen haben. Er will einen geschlachteten Ochsen malen in der Art von Rembrandt, also hängt er den Kadaver auf im Atelier und malt, bis das verwesende Fleisch stinkt und die Nachbarn die Gesundheitspolizei rufen.
"Man einigt sich dann darauf, dass der Tierkadaver mit Formaldehyd gespritzt wird, so dass er quasi konserviert wird, so dass Soutine weitermalen kann und er immer mal wieder einen frischen Eimer Blut sich besorgt, den über den mit Formaldehyd gesicherten Kadaver schüttet, so dass eben diese schillernden Fleischfarben frisch bleibe. Also genau das, was ihn interessiert: Diese Töne, die plötzlich zwischen Blau und Rot und Weiß changieren. Dass er daran weiter arbeiten kann."
Es gibt fast mehr solcher Geschichten über Soutine als Bilder. Doch die Basler Schau stellt die Biographie nicht über das Werk. Die Qual, die Soutine mit sich herumtrug, springt uns ohnehin aus jedem Bild entgegen und teilt sich mit als schöner Schauder.
Die Ausstellung bettet Soutines Werke ein in die seiner Zeitgenossen, darunter Cézanne, Picasso, Chagall, Modigliani, Kokoschka und Léger, und die Gegenüberstellung zeigt, dass er als Expressionist in Paris mit seiner in allen Nerven vibrierenden Malerei, mit seiner pastosen Peinigung der Farbe ziemlich alleine steht. Leidensgenossen wie Francis Bacon oder Farbtraktierer wie Willem de Kooning sind es, die Jahrzehnte später noch von seinem Vorbild zehren.
Soutine selbst wurde nur 50 Jahre alt. 1943 starb er an einem Magengeschwür. Er, der sich als Jude vor den Nazis verstecken musste, konnte sich nur auf Umwegen in ein Pariser Spital schleppen. Zu spät für den Schwerkranken.
Picasso war einer der wenigen, die an seiner Beerdigung teilnahmen. Er spürte, was das für ein Maler war: Ein aufregender Außenseiter, der für das breite Publikum noch immer zu entdecken ist.
Service: "Soutine und die Modern"" ist im Kunstmuseum Basel bis zum 6. Juli 2008 zu sehen.
"Daraufhin ist Soutine wohl schwer körperlich misshandelt worden, verprügelt worden. Soutines Mutter hat dafür ein Schmerzensgeld aushandeln können, und dieses Schmerzensgeld war das Startgeld für ihn, um den Sprung wagen zu können nach Vilnius an die Kunstakademie."
1913 geht Soutine nach Paris und nistet sich in dem Künstlerasyl "La Ruche", dem "Bienenkorb" ein, in dem es von elenden Existenzen wimmelt. "Er sah fürchterlich aus", sagte sein Landsmann Chagall über ihn. Pickliges Gesicht, hungrig, liederlich gekleidet, ungewaschen und verwanzt bis in die Gehörgänge - ein eher unangenehmer Zeitgenosse. Einmal leiht er sich ein verkauftes Bild wieder aus, um es ein zweites Mal zu verhökern. Ein "krankhafter Expressionist" findet Chagall.
Sein Freund Modigliani lässt sich davon nicht abschrecken und macht ihn mit seinem Kunsthändler bekannt. Der schickt ihn erst mal in den Süden, zur Erholung. In Céret, einem kleinen Pyrenäenort, entstehen Soutines beste Arbeiten, eine Serie von aufregenden Landschaften.
Soutines gestisch-ungestüme Malweise lässt Häuser wanken und Bäume torkeln, als seien sie vom Mistral geschüttelt; eine ganze Allee gerät ins Rutschen. Der schwindelerregende Wirbel seiner Pinselstriche verbiegt die Perspektiven, die hingewühlte Farbe fließt wie Lava über die Leinwand.
"In Céret hat er unter extremen Bedingungen gelebt und gearbeitet. Und später, nachdem er eigentlich erfolgreich ist, entwickelt er eine Art Aversion speziell gegen diese Céret-Landschaften und geht in Galerien, kauft gezielt Céret-Arbeiten von sich auf und zerstört sie."
Sein entsetzter Kunsthändler kommt 1922 hinzu, als Soutine Feuer an einen Stapel von 300 Bildern legt. Etliche kann er retten - zum Glück, denn Albert C. Barnes, der schwerreiche Sammler aus Philadelphia, kauft ihm ein Jahr später auf einen Schlag rund hundert Bilder ab. Für Soutine eine Wende:
"Er nimmt Französischkurse, er kleidet sich komplett neu ein, Maßanzüge, liest Philosophie, Gedichte und tritt nun ganz anders au. Das sehen wir auch in Fotografien."
Innerlich bleibt Soutine derselbe. Ein Getriebener, ein Besessener, der sich in Ekstase gegen die Leinwand wirft, sich beim Malen auf dem Boden wälzt, mit Pinseln um sich schmeißt. Landschaften, Stillleben und Porträts, mehr malt er nicht. Gehenkte Truthähne, verendete Hühner, gerupftes und zerzaustes Geflügel. In seinem Spätwerk dominieren uniformierte Diener, Pagen, Köche, Kellner, Zimmermädchen, Chorknaben mit großen, flatternden Ohren und wulstigen Lippen. Menschen werden zu Krüppeln und grotesk deformierten Kreaturen, denen die Farbe wie Gekröse über den Körper kriecht.
Soutine muss sein Motiv stets vor Augen haben. Er will einen geschlachteten Ochsen malen in der Art von Rembrandt, also hängt er den Kadaver auf im Atelier und malt, bis das verwesende Fleisch stinkt und die Nachbarn die Gesundheitspolizei rufen.
"Man einigt sich dann darauf, dass der Tierkadaver mit Formaldehyd gespritzt wird, so dass er quasi konserviert wird, so dass Soutine weitermalen kann und er immer mal wieder einen frischen Eimer Blut sich besorgt, den über den mit Formaldehyd gesicherten Kadaver schüttet, so dass eben diese schillernden Fleischfarben frisch bleibe. Also genau das, was ihn interessiert: Diese Töne, die plötzlich zwischen Blau und Rot und Weiß changieren. Dass er daran weiter arbeiten kann."
Es gibt fast mehr solcher Geschichten über Soutine als Bilder. Doch die Basler Schau stellt die Biographie nicht über das Werk. Die Qual, die Soutine mit sich herumtrug, springt uns ohnehin aus jedem Bild entgegen und teilt sich mit als schöner Schauder.
Die Ausstellung bettet Soutines Werke ein in die seiner Zeitgenossen, darunter Cézanne, Picasso, Chagall, Modigliani, Kokoschka und Léger, und die Gegenüberstellung zeigt, dass er als Expressionist in Paris mit seiner in allen Nerven vibrierenden Malerei, mit seiner pastosen Peinigung der Farbe ziemlich alleine steht. Leidensgenossen wie Francis Bacon oder Farbtraktierer wie Willem de Kooning sind es, die Jahrzehnte später noch von seinem Vorbild zehren.
Soutine selbst wurde nur 50 Jahre alt. 1943 starb er an einem Magengeschwür. Er, der sich als Jude vor den Nazis verstecken musste, konnte sich nur auf Umwegen in ein Pariser Spital schleppen. Zu spät für den Schwerkranken.
Picasso war einer der wenigen, die an seiner Beerdigung teilnahmen. Er spürte, was das für ein Maler war: Ein aufregender Außenseiter, der für das breite Publikum noch immer zu entdecken ist.
Service: "Soutine und die Modern"" ist im Kunstmuseum Basel bis zum 6. Juli 2008 zu sehen.