Schöne neue Welt

Wie wird die Zukunft dank neuer Technologien aussehen? Dieser Frage geht der Physik-Nobelpreisträger Theodor Hänsch gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern nach. In dem Buch "100 Produkte der Zukunft" stellt er implantierte Neurochips, intelligente Stromzähler und unterirdische Rohrpostsysteme vor.
Die Zukunft vorherzusagen, ist ein heikles Unterfangen. Schon oft wurden für die Welt von morgen Utopien entworfen. Die meisten entpuppten sich als bunte Fantasiegebilde. Physik-Nobelpreisträger Theodor Hänsch hält sich hingegen an die Tatsachen. Zusammen mit 16 anderen Wissenschaftlern hat er aus der Fülle realer, gegenwärtiger Forschungsvorhaben 100 Projekte aus der deutschen Forschungslandschaft ausgewählt, die schon in naher bis mittlerer Zukunft unseren Alltag bestimmen und verändern könnten.

Eingeteilt in neun Kategorien von Gesundheit und Ernährung über Umwelt, Energie, Computer und Sicherheit bis zu Architektur, Verkehr und Produktion werden auf jeweils zwei Seiten die neuen Erfindungen und ihre Vorzüge kurz skizziert. Alle vorgestellten Produkte sind aktuell in Entwicklung, und zwar in deutschen Laboren oder unter deutscher Beteiligung.

Interessant dabei ist, dass jede Beschreibung nicht nur den Namen des Herstellers beziehungsweise Forschungsinstitutes nennt, sondern auch das Jahr oder den Zeitraum der vermutlichen Markteinführung: Daten, die natürlich mit Vorsicht zu genießen sind. Nicht alle Entwicklungen sind soweit gediehen wie etwa der Zugdrachen für Frachtschiffe. Das große Segel, das vom Bug der Boote von einem Seil in den Wind entlassen wird und durch seinen Vortrieb eine Menge Treibstoff einsparen hilft, wurde bereits getestet und soll 2008 einsatzbereit sein.

Implantierte Neurochips, die beschädigte Nervenstränge ersetzen oder vielleicht irgendwann sogar nachladbares Wissen zur Verfügung stellen können, sind mit der Jahresangabe 2020 bis 2050 ein deutlich spekulativeres Produkt und wann es persönliche, auf den einzelnen Patienten zugeschnittene Medikamente geben wird, ist ebenfalls noch nicht absehbar.

Wer ein bisschen die Berichterstattung aus dem Wissenschaftsbetrieb verfolgt, trifft in diesem Buch auf viele alte Bekannte. Von Brennstoffzellen und Funketiketten (RFID-Chips) über autonom fahrende Autos und Wohnhäuser, die mehr Strom erzeugen als sie verbrauchen, bis hin zum Kernfusionsreaktor werden Produkte vorgestellt, die zum Teil schon lange im Gespräch sind. Das macht die Projekte nicht weniger interessant, aber natürlich für einzelne Leser weniger neu.

Wie es aussieht, erwartet uns in Zukunft vor allem eine ganze Palette von "intelligenten" Produkten. Es wimmelt von intelligenten Displays, Autos, Stromzählern, Robotern, Suchmaschinen, Logistik-Steuerungssystemen, Übersetzern und sogar intelligenten Oberflächen, die sich ihre Form merken und eine Delle von allein wieder ausgleichen.

Meist geht es darum, dass die Technik aus einer Vielzahl an bereitgestellten Daten auf Grund von programmierten Regeln vernünftige Schlüsse zieht, um beispielsweise dem Fahrer nur die gerade wichtigsten Daten auf der Frontscheibe anzuzeigen, nur die relevantesten Suchergebnisse herauszufiltern oder die Benutzung Strom fressender Geräte dann vorzuschlagen, wenn Energie im Tagesverlauf am billigsten ist.

Ganz frei von utopisch anmutenden Konstrukten ist aber auch das Buch von Hänsch nicht. Ob es wirklich schon in vier Jahren einen Taschencomputer gibt, der zuverlässig gesprochene Sprache simultan in eine andere übersetzen kann? Ob sich eine Stadt findet, die transparente Röhren als Verkehrswege für Fahrradfahrer installiert, in denen diese jederzeit trocken und dank Gebläse mit Rückenwind dahinsausen können? Ob es in zehn Jahren irgendwo stadtweite, unterirdische Rohrpostsysteme für den Warenversand als Entlastung für den Güterverkehr geben wird?

Der im Nachwort zitierte Mark Twain soll gesagt haben: "Vorhersagen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen." Das Buch belegt zumindest, wie reichhaltig die deutsche Forschungslandschaft und unser viel beschworenes "Land der Ideen" ist, auch wenn nicht alle Projekte wirklich bis zur Marktreife entwickelt werden sollten. Und die von Alfred Schüssler fantasievoll illustrierten Produktvorstellungen erlauben heute schon einen kurzen, anregenden Blick auf die Möglichkeiten dieser gar nicht allzu fernen Zukunft.

Rezensiert von Gerrit Stratmann

Theodor W. Hänsch: 100 Produkte der Zukunft
Wegweisende Ideen, die unser Leben verändern werden

Berlin 2007, Econ Verlag, 256 Seiten, 24,90 Euro