"… schöne Grüße aus Sydney"

Von Uschi Götz |
Eine Urlaubskarte per Auftrag, ohne selbst im Urlaub zu sein - Die Firma MayDayCards (MDC) aus Mannheim macht es möglich. Dort kann man die entsprechenden Kartenmotive bestellen, sie dann zu Hause (oder wo auch immer) ausfüllen, in den Umschlag stecken und an die Firma MDC retour senden. Letztere sorgt dann dafür, dass die "schönen Urlaubsgrüße" mit original Poststempel den Empfänger erreichen. Zum Beispiel aus Sydney, während der Schreiber um die Ecke im Freibad hockt.
"Lieber Claus,
gestern bin ich nach wirklich anstrengenden Tagen wieder
in Tokyo angekommen. Ich habe den Kumotoriyama bestiegen,
dann war ich noch kurz auf dem Mt. Nanatsuiishiyama – vom
Minotomookubire Pass ging mein Weg direkt in die Thermalbäder
von Tabayama Onsen... Also, hör endlich auf, allen zu erzählen,
mein Horizont würde nur bis zum Feldberg reichen
Liebste Grüße von deiner Stuttgarter Kollegin - Uschi"

Und ab geht die Post, nach Berlin zu Claus
direkt auf seinen - nicht mehr als solchen erkennbaren
Schreibtisch...

Maiers, Müllers und auch Herr Tietz - alle haben es in diesem Jahr geschafft: Alle sind sie weit weg in den Urlaub verreist. Maiers in die Karibik, Müllers nach Kapstadt und Herrn Tietz zog es nach Las Vegas. Den Beweis für einen wunderschönen Aufenthalt fand die frühere Arbeitgeberin von Herrn Tietz in Form einer Postkarte eines Tages in ihrem Briefkasten:

"Ja, also wir haben die Karte schon für echt gehalten und haben ihm
auch gegönnt, dass er dort seinen Urlaub verbringt. Und dann
haben wir gesagt: Wau! der hat es weit gebracht."

Wer in diesen Tagen eine Postkarte von wem auch immer
im Briefkasten findet, sollte genau hinschauen. Weniger auf die
Karte – die ist echt. Eher, ob Maiers oder Müllers bei ihrer Rückkehr tatsächlich den Bräunegrad aufweisen, den das eigentliche Urlaubsziel hergibt.

Was Herrn Tietze betrifft, sei gesagt: Er war nicht in Las
Vegas. Des Rätsels Lösung für Tietzes Reise findet sich im Bermuda Dreieck rund um Mannheim. Hier haben sich vor einiger Zeit ein paar clevere Menschen angesiedelt. Sie verschicken Urlaubsgrüße von Menschen, die gerne dort wären, wo sie gerade nicht sind.

Gründe hierfür gibt es viele, erklärt MayDayCards Marketingchef Bernd Böhme:

"50 Prozent wollen sicher den Kartenempfänger neidisch machen. Wir haben Kunden, die sind nur von Flugangst geplagt, die trauen sich in kein Flugzeug hinein, möchten einfach zum Spaß dem Empfänger nur mitteilen: Schau her, ich bin doch geflogen. Oder viele versenden auch Liebesgrüße, wir hatten auch schon Heiratsanträge auf Postkarten."
Nehmen wir als Beispiel Claus, einen durchaus hochgeschätzten Kollegen. Das Motiv wäre in diesem Fall Neid und Rache. Claus wäre Ihnen, sagen wir mal, höchstens 15 Euro wert:

"Also für 14, 99 können sie Claus zum Beispiel ein Alibi aus Mauritius senden oder aus Los Angeles oder eben auch aus Las Vegas, wobei Las Vegas zurzeit, glaube ich nur 10 Euro kostet."

Im Fall von Claus muss die japanische Metropole Tokyo reichen. Je nach Budget lässt sich der Neid natürlich noch steigern. Ab 12 000 Flugmeilen aufwärts wird's ein bisschen teurer, Dafür kommt die Karte dann auch von Neuseeland, aus Sydney oder direkt aus der Südsee.

"Also wir fliegen teilweise selbst, wir werden teilweise auch von Mitarbeitern von Fluglinien unterstützt. Wenn die für uns fliegen, geben wir ihnen das natürlich auch sehr gerne mit."

Das Geschäft läuft gut. Zurzeit ist Hochsaison. Zwischen 1400 und 1600 Karten werden pro Monat auf den Weg gebracht. Das Urlaubsziel wird in der Regel im Internet ausgesucht und gleich per Kreditkarte bezahlt. Der Besteller bekommt dann eine einschlägige Motiv-Postkarte aus dem Land der fiktiven Träume, bereits mit einer länderspezifischen Briefmarke frankiert. Im Internet finden sich dann auch gleich noch fundierte Informationen über das Land. Nur schreiben muss der Besteller noch am heimatlichen Küchentisch selber. Es gilt sich vorzustellen, wie es beispielsweise auf Mauritius so ist:

"29 Grad "
- Selbstverständlich stehen die vor Ort Temperaturen auch im Internet.
"Das Meer liegt vor mir."
- Soviel sollte dem Autor alleine einfallen.
"Das Hotel ist top und die Menschen freundlich."
Standart – das hat noch jeder drauf – aber:
" Hier ist einfach alles Zucker- soweit das Auge sehen kann. Überall wird Zuckerrohr, der wichtigste Exportartikel, angebaut."
Wau! Insiderwissen!

Doch was macht der Urheber in den drei Wochen, während er bevorzugt seinem Nachbarn vorgibt auf Mauritius, Hawaii oder sonst wo gewesen zu sein. Das bleibt Reisegeheimnis; denn, vor ein Mikrofon bekommt man die Weltenbummler ohne Koffer natürlich nicht. Aber es gibt laut Marketingchef Böhme den Prototypen des Kartenschreibers:

"Die Schreiber, die ihre Nachbarn irgendwie neidisch machen wollen, hat es meistens finanzielle Hintergründe in diesem Zusammenhang. Das sind meistens Kartenschreiber, sieht man ja auch an der Handschrift, die sind deutlich über 40, die haben 'ne ältere Handschrift einfach, und es sind auffallenderweise meistens Männer."

Spätestens hier sei die Frage erlaubt: Wie krank der eigene Nachbar oder der Kollege eigentlich sein muss, wenn er Karten schreibt von Orten, an denen er nie war? Diese Frage muss kurz tiefenpsychologisch abgehandelt werden.

Ist der Nachbar ein Fall für die Couch? Ein klares Jein von Psychoanalytikern Blanche von Conta:

"Ich nehme an, das ist jemand, der sich eigentlich klein fühlt und Unterlegenheitsgefühle hat und sich auf diese Weise eine Größenfantasie erfüllt. Der tut dann so, als wäre er an Orten, die er erreichen kann, obwohl er die eigentlich nie erreichen kann und baut sich eine Scheinwelt auf. Und ein Auftrumpfen, so eine Triumphgefühl, auch über den Nachbarn also sozusagen aus dem Kleinheitsgefühl mit einem Salto in eine Überlegenheitsposition."

Ein erhellendes Psychogramm über das Wesen des Nachbarn. Doch es sind nicht nur Menschen mit Größenfantasien, die Karten in Auftrag geben; der eingetrudelte Gruß aus Paris könnte auch ablenken vom eigentlichen Aufenthalt des Absenders:

"Ja; ich vermute mal, dass die ihr Wochenende mit jemand anders sonst wo verbringen möchten und ein Alibi für die Zeit haben."

Kriminalistisches Gespür ist jetzt erforderlich! Wie kein Postbote jemals eine Karte gelesen hat, würde natürlich nie ein MayDayCards Mitarbeiter lesen, was die geneigte Kundschaft denn so schreibt. Es sei denn, sie werden regelrecht vom Geschriebenen angefallen:

"Es gibt offiziell natürlich keine inhaltliche Prüfung, aber es lässt sich natürlich nicht ganz vermeiden, wenn wir die Karten zusammenstellen, dass man da einfach mal drüber liest. Das ist ganz klar. Und da kommt man schon ab und zu mal ins Grübeln. Wenn man das Gefühl hat, dass unter der gleichen Adresse eine Frau angeschrieben wird und dann die Mitteilung bekommt, dass man in Hongkong ist und das Geschäftsessen gut war – das ist verdächtig."

Vorsicht ist also geboten bei allen Ungereimtheiten in Formulierungen. Doch allen misstrauischen Zeitgenossen sei heute schon gesagt: Recherche in eigener Sache ist zwecklos – in der Mannheimer Poststube gilt die Schweigepflicht:

"Wenn bei uns jemand anrufen würde und würde sagen, hat die Frau Soundso, ist die Kundin bei Ihnen, würden wir keine Auskunft geben, diesbezüglich."

Auch wenn den Machern von MayDayCards nichts Menschliches mehr fremd ist. Die wirklich delikaten Karten und deren Verfasser bleiben ein großes Geheimnis:

"Es gibt natürlich verschiedene Steigerungen, aber es ist natürlich alles kurios. Es fängt einmal an beim einfachen Alibi, dann bis zu einer Geschäftsfrau, die vorgibt, Geschäftsfrau zu sein ... () die schreibt regelmäßig Karten aus New York schickt an ihre Bekanntschaft oder Verwandtschaft."

Hier muss noch einmal die Analytikern ans Werk:

"Neid ist leider angewachsen – an alle. Und ich glaube, dass das auch in die Irre führt, wenn man das versucht zu bewerten oder als pathologisch einzustufen; das ist etwas, womit wir alle leben müssen, ob wir das wollen oder nicht. Jeder hat irgendwann irgendeinen Neid gegen irgendjemanden. Und man muss dann gucken, wie groß ist der, und wie verbreitet ist der und wie eingestrickt in das Leben des Einzelnen. Wenn der dadurch wirklich unglücklich wird, muss man was tun. Dann muss man kucken, was hat den gemacht, dass er sich immer so unterlegen fühlt..."

Und so wird für viele die Karte, die nie von Haiti geschrieben wurde, auch zum Ventil - zur Therapie für das angeknackste Selbstwertgefühl.

Es gibt weitaus schlimmere Kompensationsmechanismen für scheinbare Defizite. Ein Trost vielleicht: Auch die Japaner leiden zunehmend unter gesellschaftlichen Zwängen. Für viele ist die Reise zum
Heidelberger Schloss unbezahlbar. Auch wenn man es vor Ort kaum glauben mag, dass nicht doch alle mit ihren Fotoapparaten angereist sind:

"Wir sind zurzeit sehr stark in Japan aktiv, weil wir großen Markt für uns sehen... weil sehr viele Japaner haben ja diesen Druck, diesen sozialen Druck, 'ne Europareise zu machen. Und wir haben auch schon Bestellungen aus Japan diesbezüglich."

Ein multikultureller Postkartenaustausch über das Mannheimer Bermuda Dreieck scheint sich da anzubahnen. Doch während die einen Alibi- Postkarten verschicken, um die Nachbarn neidisch zu machen oder Ehefrauen zu beruhigen, gibt es noch Menschen, die es wirklich ehrlich meinen. Eine Münchnerin zum Beispiel. Sie wollte sich bei ihrem Mann dafür bedanken, dass er ihr seine Niere gespendet hatte. Die Traumreise nach Südafrika war geplatzt, aber wenigstens eine Karte aus Kapstadt fand er im Briefkasten:

"Und dann hat er das gelesen, und dann sagt er: Die ist ja von dir. Weil das ja meine Schrift war. Dann sagt er, wann warst du in Südafrika, das kann doch gar nicht sein... Wie kommst du zu einer Karte aus Südafrika? Und er weiß es bis heute noch nicht so ganz genau. Ich weiß nicht, vielleicht will ich ja wieder irgendwann so etwas machen."

Und während die Postkarten-Schummler aus Mannheim ihren Job nicht ganz ohne Humor betreiben, gibt es ja auch Menschen, die es wirklich ernst meinen. Wenn es um derartige Aufträge geht, hört der Spaß dann auch bei den lustigen Mannheimern auf.

Bevorzugt behandelt werden Karten laut Marketinchef Bernd Böhmler...

" ...von Menschen, denen es gar nicht gut geht. Die teilweise im Krankenhaus liegen und dadurch ein bisschen aufgeheitert werden sollen. Mit solchen Postkarten ... hatten wir in der Vergangenheit auch schon zwei, drei Fälle in diese Richtung. Und da kümmern wir uns dann besonders drum, dass das dann auf jeden Fall funktioniert."

Irrläufer gibt es übrigens so gut wie keine. Bisher hat noch fast jede Karte den gewünschten Empfänger erreicht. Doch die Mannheimer Kartenzentrale für Zuhausegebliebene bastelt weiter an einem erweiterten Konzept. Jetzt gibt es auch handfeste Souvenirs, die den fingierten Ausflug in die weite Welt noch glaubhafter dokumentieren:

"Über die Postkarten hinaus, haben wir noch so kleine, wir nennendas einfach mal Alibi-Artikel, wie zum Beispiel die Bilder aus dem Busch el Arab, aus dem Hotelzimmer aus dem Busch el Arab.
Dann haben wir demnächst auch Souvenirs, die man zum Beispiel nur im Flugzeug kaufen kann."

Karte aus Kapstadt ist angekommen, schrieb neulich ein beglückter Kunde den Mannheimern ins Gästebuch: Der Empfänger hat sich bei mir gemeldet und er hatte keine Zweifel, dass ich selbst nie in Kapstadt war. Am Ende hatte ich selbst schon fast vergessen, dass ich nie dort war.