''Schöne Grüße aus Geyer!''
Geyer hat es erwischt. Zum Jahreswechsel. Ob "Grüsse aus Geyer" oder "Grüsse aus dem Wanderparadies" - die Kartenmotive sind aussortiert und eingestampft worden. Mangels Nachfrage. Sechs Jahre lag die Serie unverkäuflich im Lager von Deutschlands größtem Postkartenhersteller. Kaum einer wollte Ansichten aus der sächsischen "Berg- und Bingestadt" verschicken. Nun ist der 5000-Einwohner Ort von der Postkarte verschwunden. Warum nur?
"Es ist uns eigentlich unerklärlich, wieso Postkarten eingestampft werden."
Trotzig blickt Birgit Wallenta.
"Aber wir wissen nicht mal, um welche Motive es sich handelt. Ich kann mir nicht erklären, dass diese Karten eingestampft werden."
Motiv-Forschung. In Geyer. Durch die Chefin der Tourismus-Information.
" Ja natürlich werden Ansichtskarten verkauft, ja natürlich."
In Geyer. Aus Geyer. Mit Geyer. Dem Erzgebirgsstädtchen Mit 4500 Einwohnern und 320 Gästebetten
" Unsere Zielgruppen sind ja Familie mit Kindern, Wanderer, Aktivurlauber und Senioren."
Alle also. Mehr als 30.000 Übernachtungen zählte Geyer pro Jahr in Spitzenzeiten. Dann kam der Knick. Der erste:
" Wir hatten den ersten Knick mit dem Hochwasser in Sachsen, wo man sagte, halb Sachsen ist ertrunken, ins Erzgebirge kommen wir eh nicht mehr. "
Land unter in Sachsen. Weniger Touristen in Geyer.
" Und den zweiten Knick hatten wir mit der Einführung des Euro; so ehrlich muss man sein, da sind die Besucherzahlen zurückgegangen."
Hochwasser und Euro - zusammen macht das 4.000 Übernachtungen weniger pro Jahr. Für Geyer.
" Wir hatten vor allem auch von den Gäste aus den Altbundesländern gelebt, die ihren zweiten oder dritten Urlaub bei uns gemacht haben. Und dieses Potential ist doch zurückgegangen."
Die Altbundesbürger fehlen. Und jetzt auch noch die Postkarten. Produziert in Lübeck. Bei Deutschlands größtem Postkartenhersteller.
Heinz Wöllner stapft nach oben. Stufe für Stufe. Bis zu dem Geländer. Das ihn vom Abgrund trennt.
"Und was wir hier vor uns haben, dieses große Loch ist in etwa entstanden …"
Das große Loch. Von Geyer. Der Abgrund zerklüftet. Der Berg zusammengebrochen. Vor mehr als 200 Jahren. Eine Folge des Silberbergbaus.
" Das ist wirklich eine Besonderheit, das Wahrzeichen der Stadt Geyer,... "
Das große Loch. Der Vergangenheit. Ein Naturdenkmal. Die Binge. "Berg- und Bingestadt" - so wirbt Geyer um Touristen.
Wöllner stapft bergab. Den Wanderweg. Immer weiter Richtung Abgrund. Grüne Weste, Hose mit Seitentaschen, sicherer Schritt.
" Ich bin der erste Vorsitzende vom Erzgebirgszweigverein Geyer, dann bin ich noch seit 1992 der Ortswegewart, der zuständig ist für die Beschilderung der gesamtem Wanderwege in der Region."
Wöllner weiß, wo es langgeht. Weiter bergab. Durch den Wald. Links und rechts des Weges wachsen Blaubeerbüsche.
" Wenn man hier aufgewachsen ist, dann man schon ein wehes Gefühl, wenn die ursprünglichen Dinge hier mehr und mehr zugeschlossen werden."
Zehn Prozent der Bevölkerung hat Geyer seit der Wende verloren. 32 Vereine gibt es noch, fast alle haben Nachwuchsprobleme. Der 68 jährige zuckt mit den Schultern, drückt den Rücken durch. Es muss weitergehen.
"Unser Wald ist 1200 ha groß und in dieser Fläche haben wir 120 km Wanderwege."
Steil ragen die Felsformationen empor. Zerklüftet. Vereinzelt mit Bäumen bewachsen. Durch den Abgrund führt der Lehrpfad. Natürliches Wachstum auf Bergbauruinen.
" Zwergstraucharten, Flechten, Moose, über 100 Pflanzenarten, Lebensgemeinschaften von Pilzen und Moosen, Rentier- und Becherflechten."
65 Käferarten, Dukatenfalter, Feuerfalter, Weinbergschnecken, zwölf Heuschrecken-Arten. Alles hier unten. In der Binge.
" Wir haben hier sehr viele Dinge. Zum Beispiel Lurche und Kriechtierarten und Kreuzottern,…"
Ein Paradies. Für Naturliebhaber. Und Wanderfreunde. Sie müssen nur kommen. Nach Geyer. Heinz Wöllner wartet.
"Wir sehen trotzdem aber optimistisch in die Zukunft, es kann ja nicht alles den Berg runterlaufen, es muss sich ja auch mal zum Guten wenden... "
"Auf diesem Bild sieht man die Ansicht unserer Stadt, .... "
Geyer ganz groß. Im Ratssaal. Im Goldrahmen. Davor Bürgermeister Dr. Joachim Weiss.
"Die Ansicht mit vielen rauchenden Schornsteinen, die bezeugen, dass es viele kleine Betriebe hier gegeben hat. Und es ist auch noch die Eisenbahn zu sehen, die es bis 1966 gegeben hat."
Ansichten der Vergangenheit. Von 1920. Als die Schornsteine noch rauchten. Und die Eisenbahn noch fuhr.
"Die wirtschaftliche Lage ist bei uns doch ein Stück angespannt, das merkt man am Besuch der Gaststätten, die teilweise nur noch am Wochenende geöffnet haben. Es ist einfach zu wenig Geld unter die Leute."
Seit 15 Jahren regiert Weiss hier. Jedes Jahr sterben in Geyer doppelt so viele Menschen, wie geboren werden. 18 Prozent beträgt die Arbeitslosigkeit,
"Nach der Wende haben wir gehofft, mit dem Tourismus ein deutliches zweites Standbein aufbauen zu können. Das wurde uns auch von dem einen oder anderen Berater erzählt."
Joachim Weiss lehnt sich aus dem Fenster. Im großen Jugendstilrathaus. Blickt auf dem Marktplatz. Dahinter ragen der große Wachturm und der Kirchturm empor.
"An unserem Markt wird zur Zeit kräftig gebaut, viel Baufahrzeuge, es wird die Strasse gebaut, Kabel verlegt, Gas verlegt, alles was möglich ist, läuft zur Zeit."
Eine neue Infrastruktur für Geyers Mitte. Der Bürgermeister lächelt. Ein wenig gequält. Vor ihm wackelt eine winzige Pflanze im Wind. Einsam steht sie im großen Blumenkübel.
"Sparmaßnahme, weil der Markt doch diesmal bebaut wird, kommen ja nicht so viele Leute vorbei, haben wir die Bepflanzung gespart."
Keine Pflanzen im Blumentopf. Kneipen, die nur noch am Wochenende geöffnet sind. Bibliothek und Tourismus-Büro zusammengelegt. Aktuelle Ansichten aus Geyer.
"Es ist nicht so gekommen, wie wir uns das erwartet und erhofft haben."
Und in Geyer hat die alte Hoffnung einen aktuellen Preis. Und der Bürgermeister daher einen unbezahlten Zweitjob. Als Geschäftsführer. Im Spaßbad. Das steht riesengroß, wie ein silbernes Ufo, auf der grünen Wiese. Am Ortsrand von Geyer.
Beruhigende Pianomusik klingt aus den Boxen. Mehr als 1.000 Umkleide-Schränke warten auf die Besucher. "Außer Betrieb" steht am blauen Kassenautomaten. Der noch auf D-Mark-Stücke wartet.
Sieben Gäste warten im großen Bade vor der Kunstfelsformation auf die große Welle. Die kommt hier jede halbe Stunde.
"Ich selber habe eigentlich auf ein zweites Wirtschaftswunder gehofft. Und danach sind auch Entscheidungen in den ersten Jahren gefallen, die wir getroffen haben, um speziell auch im Tourismus die Nase vorn zu haben."
Wellenbad, Riesenrutsche, Sauna - dazu 80 Prozent Subventionen aus öffentlichen Kassen. Da konnte die Kommune nicht widerstehen. So entstand Geyers Ana Mare. Hinter dem Kunstwort, ein Spaßbad. Im Erzgebirge. Für 40 Millionen.
"So wurde ein Freizeitbad errichtet, das für die Touristen ein Anziehungspunkt ist. "
Nur dass einige Nachbarkommunen auch das Spaßbaden als Touristen-Attraktion entdeckten. Und mit ihren Bädern ebenfalls vom Land gefördert wurden. Nun locken drei Bäder im nahen Umkreis. Zuviel Spaß für zuwenig Besucher:
"... die Besucherzahlen sind leider rückläufig, zum Glück hat es eine Stabilisierung von 2003 zu 2004 gegeben."
Und Geyer muss zahlen. Aus dem eh kleinen Stadtsäckel. Für die Betriebskosten. Die durch den Betrieb nicht gedeckt werden.
" Es sind immer noch zuwenig Gäste. Und es ist ein nicht unerheblicher Zuschuss, der geleistet werden muss."
Geyer muss zahlen, Weiss hat keine Wahl. Denn wenn das Bad Pleite geht, muss die Stadt die Fördermittel zurückzahlen. Der Bürgermeister zeigt auf den großen grünen Safe in seinem Büro. Nichts drin, sagt er, außer Akten. An der schweren Tür aber hängt ein kleinen Glücksbringer. Ein Geier im Rettungsring.
"Das ist das Maskottchen von Ana Mare, das ist der Fridolin, da ist ein Geier, weil es ist der Ort Geyer. Aber es ist eigentlich nicht der Pleitegeier."
Sondern ein Hoffnungsträger. Das der Spaß irgendwie weitergeht. In Geyer. Dem Ort über dem die Raubvögel kreisen.
Der Dachs glotzt, der Erpel reckt den Hals, das Wildschwein gähnt. Erzgebirgische Tierwelt. Ausgestopft und angenagelt. An die Vertäfelung der Waldschänke:
"Wo viele Stadtkinder sich freuen und fragen, was ist denn das für ein Tier? Und dann kann man erklären: Das ist ein Dachs, das ist ein Fuchs. Und die ganzen Vögel und alles."
Uwe Gerlach dreht sich um die eigene Achse. Überall Tiere. Sogar die Lampen baumeln an Geweihen.
"Das sind alles alte Postkarten, sogar damals schon in bunt. Die stammen alle von 1906."
Gleich am Eingang hängen sie. Die alten Postkarten Neben dem Plakat: "100 Jahre Waldschänke"
"Ich würde sagen, die Zeiten sind wirklich schlechter geworden. Der Einheimische, das merkt man ganz deutlich, ist kein Fortgeher, wir leben wirklich nur noch vom Fremdenverkehrsamt. Von den ganzen Touristen, die sich hier wohl fühlen."
Pferdezucht, Kremserfahrten, Wanderungen, Pfingstfest, Sommerfest, Waldmarkt - so versucht Gerlach die Touristen zu locken. Oma mangelt die Wäsche, Opa schmeißt die Pension, Gerlach und Frau die Gaststätte. Die Kinder helfen mal hier, mal da. Der einzige freie Tag ist Heiligabend ...
" Man muss halt immer wieder nach vorne gehen, dass hilft halt alles nischt. Man kann den Kopf nicht in den Sand stecken, man muss sagen, es geht weiter. Und jeder zieht mit an. Und macht das Beste draus, also geht’s nach vorn. Und wir Erzgebirgler stehen eigentlich zusammen, dafür sind wir Erzgebirgler ... "
Darum plant heute Abend hier Geyers-Gastwirt-Stammtisch neue Aktionen. Gerlach hat schon eigene Postkarten drucken lassen, mal mit Waldschänken-Silhouette, mal in Weihnachtsbaum-Form. Nicht in Lübeck . Sondern im tschechischen Karlsbad. Und das ist nur der Anfang. Auch kulinarisch soll Geyer in Zukunft Zeichen setzen. Musikalisch untermalt …
"Jeder macht das Speckfett im Erzgebirge und überall anders, warum probieren wir nicht einfach mal das beste Speckfett zu küren und nen Speckfettkönig rauszusuchen."
"Nun ist es dieses Jahr das erste mal soweit, das jeder sein Speckfett abgeben kann. Und wir da natürlich dann durch eine Jury, die aus dem Publikum gewählt wird, verkosten."
" Und natürlich wird zu diesem Tag auch die Nationalhymne gespielt, die Speckfettbemme."
Beim ersten deutschen Speckfettbrot-Wettbewerb. Fettige Grüsse aus Geyer...
" Ansichtskarten in Geyer gibt's in Hülle und Fülle, wir haben ja verschiedenen Motive, schauen wir doch unser Denkmal, das Naturdenkmal, die Binge oder die Greifensteine."
Birgit Wallenta in der Tourismusinformation. Vor ihren Postkarten.
" Ne sehr gelungen Aufnahme im Advent, natürlich der schönsten Zeit im Erzgebirge, die Laurentiuskirche und unser Turmmuseum."
Eine Postkarte nach der anderen zieht sie hervor. Grüsse aus Geyer. Bestimmt 30 Motive. Alles Restbestände. Alle im Angebot. Aber keine Lübecker ...:
" Aber Ansichtskarten haben wir noch weiter, Bergbaudenkmäler in Greifenbachtal, Halden, Berge, Stollen ... alles ist dabei vertreten."
Und wird verkauft. Nur wie gesagt. Aber keine mehr vom Lübecker Hersteller … die Grüsse aus Geyer.
" Wir hätten uns natürlich gefreut, wenn die Firmen an uns herangetreten wäre und gesagt hätte: Verkauft ihr die Ansichtskarten? Braucht ihr die noch? Wir hätten sie bestimmt genommen... "
Trotzig blickt Birgit Wallenta.
"Aber wir wissen nicht mal, um welche Motive es sich handelt. Ich kann mir nicht erklären, dass diese Karten eingestampft werden."
Motiv-Forschung. In Geyer. Durch die Chefin der Tourismus-Information.
" Ja natürlich werden Ansichtskarten verkauft, ja natürlich."
In Geyer. Aus Geyer. Mit Geyer. Dem Erzgebirgsstädtchen Mit 4500 Einwohnern und 320 Gästebetten
" Unsere Zielgruppen sind ja Familie mit Kindern, Wanderer, Aktivurlauber und Senioren."
Alle also. Mehr als 30.000 Übernachtungen zählte Geyer pro Jahr in Spitzenzeiten. Dann kam der Knick. Der erste:
" Wir hatten den ersten Knick mit dem Hochwasser in Sachsen, wo man sagte, halb Sachsen ist ertrunken, ins Erzgebirge kommen wir eh nicht mehr. "
Land unter in Sachsen. Weniger Touristen in Geyer.
" Und den zweiten Knick hatten wir mit der Einführung des Euro; so ehrlich muss man sein, da sind die Besucherzahlen zurückgegangen."
Hochwasser und Euro - zusammen macht das 4.000 Übernachtungen weniger pro Jahr. Für Geyer.
" Wir hatten vor allem auch von den Gäste aus den Altbundesländern gelebt, die ihren zweiten oder dritten Urlaub bei uns gemacht haben. Und dieses Potential ist doch zurückgegangen."
Die Altbundesbürger fehlen. Und jetzt auch noch die Postkarten. Produziert in Lübeck. Bei Deutschlands größtem Postkartenhersteller.
Heinz Wöllner stapft nach oben. Stufe für Stufe. Bis zu dem Geländer. Das ihn vom Abgrund trennt.
"Und was wir hier vor uns haben, dieses große Loch ist in etwa entstanden …"
Das große Loch. Von Geyer. Der Abgrund zerklüftet. Der Berg zusammengebrochen. Vor mehr als 200 Jahren. Eine Folge des Silberbergbaus.
" Das ist wirklich eine Besonderheit, das Wahrzeichen der Stadt Geyer,... "
Das große Loch. Der Vergangenheit. Ein Naturdenkmal. Die Binge. "Berg- und Bingestadt" - so wirbt Geyer um Touristen.
Wöllner stapft bergab. Den Wanderweg. Immer weiter Richtung Abgrund. Grüne Weste, Hose mit Seitentaschen, sicherer Schritt.
" Ich bin der erste Vorsitzende vom Erzgebirgszweigverein Geyer, dann bin ich noch seit 1992 der Ortswegewart, der zuständig ist für die Beschilderung der gesamtem Wanderwege in der Region."
Wöllner weiß, wo es langgeht. Weiter bergab. Durch den Wald. Links und rechts des Weges wachsen Blaubeerbüsche.
" Wenn man hier aufgewachsen ist, dann man schon ein wehes Gefühl, wenn die ursprünglichen Dinge hier mehr und mehr zugeschlossen werden."
Zehn Prozent der Bevölkerung hat Geyer seit der Wende verloren. 32 Vereine gibt es noch, fast alle haben Nachwuchsprobleme. Der 68 jährige zuckt mit den Schultern, drückt den Rücken durch. Es muss weitergehen.
"Unser Wald ist 1200 ha groß und in dieser Fläche haben wir 120 km Wanderwege."
Steil ragen die Felsformationen empor. Zerklüftet. Vereinzelt mit Bäumen bewachsen. Durch den Abgrund führt der Lehrpfad. Natürliches Wachstum auf Bergbauruinen.
" Zwergstraucharten, Flechten, Moose, über 100 Pflanzenarten, Lebensgemeinschaften von Pilzen und Moosen, Rentier- und Becherflechten."
65 Käferarten, Dukatenfalter, Feuerfalter, Weinbergschnecken, zwölf Heuschrecken-Arten. Alles hier unten. In der Binge.
" Wir haben hier sehr viele Dinge. Zum Beispiel Lurche und Kriechtierarten und Kreuzottern,…"
Ein Paradies. Für Naturliebhaber. Und Wanderfreunde. Sie müssen nur kommen. Nach Geyer. Heinz Wöllner wartet.
"Wir sehen trotzdem aber optimistisch in die Zukunft, es kann ja nicht alles den Berg runterlaufen, es muss sich ja auch mal zum Guten wenden... "
"Auf diesem Bild sieht man die Ansicht unserer Stadt, .... "
Geyer ganz groß. Im Ratssaal. Im Goldrahmen. Davor Bürgermeister Dr. Joachim Weiss.
"Die Ansicht mit vielen rauchenden Schornsteinen, die bezeugen, dass es viele kleine Betriebe hier gegeben hat. Und es ist auch noch die Eisenbahn zu sehen, die es bis 1966 gegeben hat."
Ansichten der Vergangenheit. Von 1920. Als die Schornsteine noch rauchten. Und die Eisenbahn noch fuhr.
"Die wirtschaftliche Lage ist bei uns doch ein Stück angespannt, das merkt man am Besuch der Gaststätten, die teilweise nur noch am Wochenende geöffnet haben. Es ist einfach zu wenig Geld unter die Leute."
Seit 15 Jahren regiert Weiss hier. Jedes Jahr sterben in Geyer doppelt so viele Menschen, wie geboren werden. 18 Prozent beträgt die Arbeitslosigkeit,
"Nach der Wende haben wir gehofft, mit dem Tourismus ein deutliches zweites Standbein aufbauen zu können. Das wurde uns auch von dem einen oder anderen Berater erzählt."
Joachim Weiss lehnt sich aus dem Fenster. Im großen Jugendstilrathaus. Blickt auf dem Marktplatz. Dahinter ragen der große Wachturm und der Kirchturm empor.
"An unserem Markt wird zur Zeit kräftig gebaut, viel Baufahrzeuge, es wird die Strasse gebaut, Kabel verlegt, Gas verlegt, alles was möglich ist, läuft zur Zeit."
Eine neue Infrastruktur für Geyers Mitte. Der Bürgermeister lächelt. Ein wenig gequält. Vor ihm wackelt eine winzige Pflanze im Wind. Einsam steht sie im großen Blumenkübel.
"Sparmaßnahme, weil der Markt doch diesmal bebaut wird, kommen ja nicht so viele Leute vorbei, haben wir die Bepflanzung gespart."
Keine Pflanzen im Blumentopf. Kneipen, die nur noch am Wochenende geöffnet sind. Bibliothek und Tourismus-Büro zusammengelegt. Aktuelle Ansichten aus Geyer.
"Es ist nicht so gekommen, wie wir uns das erwartet und erhofft haben."
Und in Geyer hat die alte Hoffnung einen aktuellen Preis. Und der Bürgermeister daher einen unbezahlten Zweitjob. Als Geschäftsführer. Im Spaßbad. Das steht riesengroß, wie ein silbernes Ufo, auf der grünen Wiese. Am Ortsrand von Geyer.
Beruhigende Pianomusik klingt aus den Boxen. Mehr als 1.000 Umkleide-Schränke warten auf die Besucher. "Außer Betrieb" steht am blauen Kassenautomaten. Der noch auf D-Mark-Stücke wartet.
Sieben Gäste warten im großen Bade vor der Kunstfelsformation auf die große Welle. Die kommt hier jede halbe Stunde.
"Ich selber habe eigentlich auf ein zweites Wirtschaftswunder gehofft. Und danach sind auch Entscheidungen in den ersten Jahren gefallen, die wir getroffen haben, um speziell auch im Tourismus die Nase vorn zu haben."
Wellenbad, Riesenrutsche, Sauna - dazu 80 Prozent Subventionen aus öffentlichen Kassen. Da konnte die Kommune nicht widerstehen. So entstand Geyers Ana Mare. Hinter dem Kunstwort, ein Spaßbad. Im Erzgebirge. Für 40 Millionen.
"So wurde ein Freizeitbad errichtet, das für die Touristen ein Anziehungspunkt ist. "
Nur dass einige Nachbarkommunen auch das Spaßbaden als Touristen-Attraktion entdeckten. Und mit ihren Bädern ebenfalls vom Land gefördert wurden. Nun locken drei Bäder im nahen Umkreis. Zuviel Spaß für zuwenig Besucher:
"... die Besucherzahlen sind leider rückläufig, zum Glück hat es eine Stabilisierung von 2003 zu 2004 gegeben."
Und Geyer muss zahlen. Aus dem eh kleinen Stadtsäckel. Für die Betriebskosten. Die durch den Betrieb nicht gedeckt werden.
" Es sind immer noch zuwenig Gäste. Und es ist ein nicht unerheblicher Zuschuss, der geleistet werden muss."
Geyer muss zahlen, Weiss hat keine Wahl. Denn wenn das Bad Pleite geht, muss die Stadt die Fördermittel zurückzahlen. Der Bürgermeister zeigt auf den großen grünen Safe in seinem Büro. Nichts drin, sagt er, außer Akten. An der schweren Tür aber hängt ein kleinen Glücksbringer. Ein Geier im Rettungsring.
"Das ist das Maskottchen von Ana Mare, das ist der Fridolin, da ist ein Geier, weil es ist der Ort Geyer. Aber es ist eigentlich nicht der Pleitegeier."
Sondern ein Hoffnungsträger. Das der Spaß irgendwie weitergeht. In Geyer. Dem Ort über dem die Raubvögel kreisen.
Der Dachs glotzt, der Erpel reckt den Hals, das Wildschwein gähnt. Erzgebirgische Tierwelt. Ausgestopft und angenagelt. An die Vertäfelung der Waldschänke:
"Wo viele Stadtkinder sich freuen und fragen, was ist denn das für ein Tier? Und dann kann man erklären: Das ist ein Dachs, das ist ein Fuchs. Und die ganzen Vögel und alles."
Uwe Gerlach dreht sich um die eigene Achse. Überall Tiere. Sogar die Lampen baumeln an Geweihen.
"Das sind alles alte Postkarten, sogar damals schon in bunt. Die stammen alle von 1906."
Gleich am Eingang hängen sie. Die alten Postkarten Neben dem Plakat: "100 Jahre Waldschänke"
"Ich würde sagen, die Zeiten sind wirklich schlechter geworden. Der Einheimische, das merkt man ganz deutlich, ist kein Fortgeher, wir leben wirklich nur noch vom Fremdenverkehrsamt. Von den ganzen Touristen, die sich hier wohl fühlen."
Pferdezucht, Kremserfahrten, Wanderungen, Pfingstfest, Sommerfest, Waldmarkt - so versucht Gerlach die Touristen zu locken. Oma mangelt die Wäsche, Opa schmeißt die Pension, Gerlach und Frau die Gaststätte. Die Kinder helfen mal hier, mal da. Der einzige freie Tag ist Heiligabend ...
" Man muss halt immer wieder nach vorne gehen, dass hilft halt alles nischt. Man kann den Kopf nicht in den Sand stecken, man muss sagen, es geht weiter. Und jeder zieht mit an. Und macht das Beste draus, also geht’s nach vorn. Und wir Erzgebirgler stehen eigentlich zusammen, dafür sind wir Erzgebirgler ... "
Darum plant heute Abend hier Geyers-Gastwirt-Stammtisch neue Aktionen. Gerlach hat schon eigene Postkarten drucken lassen, mal mit Waldschänken-Silhouette, mal in Weihnachtsbaum-Form. Nicht in Lübeck . Sondern im tschechischen Karlsbad. Und das ist nur der Anfang. Auch kulinarisch soll Geyer in Zukunft Zeichen setzen. Musikalisch untermalt …
"Jeder macht das Speckfett im Erzgebirge und überall anders, warum probieren wir nicht einfach mal das beste Speckfett zu küren und nen Speckfettkönig rauszusuchen."
"Nun ist es dieses Jahr das erste mal soweit, das jeder sein Speckfett abgeben kann. Und wir da natürlich dann durch eine Jury, die aus dem Publikum gewählt wird, verkosten."
" Und natürlich wird zu diesem Tag auch die Nationalhymne gespielt, die Speckfettbemme."
Beim ersten deutschen Speckfettbrot-Wettbewerb. Fettige Grüsse aus Geyer...
" Ansichtskarten in Geyer gibt's in Hülle und Fülle, wir haben ja verschiedenen Motive, schauen wir doch unser Denkmal, das Naturdenkmal, die Binge oder die Greifensteine."
Birgit Wallenta in der Tourismusinformation. Vor ihren Postkarten.
" Ne sehr gelungen Aufnahme im Advent, natürlich der schönsten Zeit im Erzgebirge, die Laurentiuskirche und unser Turmmuseum."
Eine Postkarte nach der anderen zieht sie hervor. Grüsse aus Geyer. Bestimmt 30 Motive. Alles Restbestände. Alle im Angebot. Aber keine Lübecker ...:
" Aber Ansichtskarten haben wir noch weiter, Bergbaudenkmäler in Greifenbachtal, Halden, Berge, Stollen ... alles ist dabei vertreten."
Und wird verkauft. Nur wie gesagt. Aber keine mehr vom Lübecker Hersteller … die Grüsse aus Geyer.
" Wir hätten uns natürlich gefreut, wenn die Firmen an uns herangetreten wäre und gesagt hätte: Verkauft ihr die Ansichtskarten? Braucht ihr die noch? Wir hätten sie bestimmt genommen... "