Schönbohm: CDU braucht mehr starke Persönlichkeiten

Im Gespräch mit Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler |
Nach Ansicht des brandenburgischen Innenministers Jörg Schönbohm fehlt es der Union an prägnanten Persönlichkeiten in der Parteispitze. Die Menschen suchten nach Orientierung und wüssten auch einen "eckigen Knochen" zu schätzen, betonte der CDU-Politiker.
Deutschlandradio Kultur: Die schlechteste CDU Deutschlands befindet sich in Brandenburg. Das haben Ihre eigenen Parteifreunde, Kreisvorsitzende, gesagt. Ist der Befund richtig – hart, aber fair?

Jörg Schönbohm: Er ist insoweit richtig, dass wir das schlechteste Wahlergebnis aller Landesverbände bei der Bundestagswahl hatten. Aber dann endet auch die Analogie. Es war eine Gruppe von vier Mitgliedern des Landesvorstandes. Das ist das eine. Aber sie haben dieses im Zusammenhang mit den internen Diskussionen, die wir in der CDU über den weiteren Weg haben, gesagt. Das ist keine programmatische Diskussion, sondern da geht es um Personen und Personalentscheidungen, die wir vor anderthalb Jahren getroffen haben bei der Neuwahl des Landesvorstandes in meiner Nachfolge mit dem Landesvorsitzenden. Diese Diskussion haben wir jetzt vor der Sommerpause im Landesvorstand weitgehend aufgearbeitet. Ich denke, wir werden das im vierten Quartal des Jahres dann beenden, weil das dann auch die Vorbereitungszeit für den Landeswahlkampf ist, der im nächsten Jahr mit der Bundestagswahl zusammen geführt wird.

Deutschlandradio Kultur: Sicherlich wäre es schön, wenn Sie es für die CDU beenden könnten. Sie waren neun Jahre lang Landesvorsitzender dieser Partei in Brandenburg. Trotzdem, wenn man sich das Bild heute anschaut, ist das keine homogene Gruppe, die gut und geschlossen gemeinsam miteinander arbeitet. Was ist da falsch gelaufen?

Schönbohm: Das ist eine Debatte, die zum Teil etwas mit der Vergangenheit zusammenhängt, und eine Debatte, die mit der Auseinandersetzung unter der Altergruppe der Um-40-Jährigen zusammenhängt, die ihre Position jetzt festmachen wollen für den Zeitpunkt nach der Wahl 2009. Das ist menschlich bisweilen nicht erfreulich. Das muss ich schon sagen.

Deutschlandradio Kultur: Die sind etwas unklug, wie Sie meinen?

Schönbohm: "Unklug" ist noch zurückhaltend formuliert. Man kann auch sagen, sie sind sehr egoistisch. Denn eine Partei lebt ja davon, dass man zunächst mal das Gemeinsame definiert, die gemeinsamen Zielsetzungen verfolgt. Und natürlich denkt dann jeder an sich. Jeder möchte in der Partei etwas werden. Ich bin ja erst politisch tätig geworden nach einem erfolgreichen Berufsleben. Das ist also ein Sonderfall. Wenn man aber mit 35 Jahren in die Politik geht und Landtagsabgeordneter wird und das sozusagen zum Beruf macht, dann möchte man wissen, wo man am Ende dieses Berufslebens ist. Das kann ich verstehen.

Aber vor dem Hintergrund unseres Altersaufbaus, sage ich mal, haben wir für jeden Guten und Leistungsfähigen, der auch im Team spielt, einen Platz in der Politik, sei es ein Platz in der Opposition oder in der Regierung. Das wird im Augenblick etwas gestört. Damit setzen wir uns auseinander.

Deutschlandradio Kultur: Und Sie glauben, Sie werden dann einen Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl haben? Es gibt Stimmen in Ihrer CDU, die sagen, das schaffen wir vielleicht gar nicht, wir nehmen lieber ein Kompetenzteam und treten so gegen Platzeck an.

Schönbohm: Ein Kompetenzteam fordern ist das eine, aber ich bin sicher, dass der Landesvorsitzende der CDU, der Wirtschaftsminister, einen Vorschlag machen wird. Der wird ein Team vorschlagen, aber einen Spitzenkandidaten oder eine Spitzenkandidatin. Das sind die beiden Möglichkeiten. Das wird dann im März – davon gehe ich aus – bei der Landesdelegiertenkonferenz – entschieden. Da werden sich alle einbringen können. Da haben wir schon gute Leute, die das dann auch nach vorne bringen können. Die werden da alle mitwirken.

Deutschlandradio Kultur: Aber gleichzeitig ist es doch ein Problem. Wie steht die CDU da, nicht nur in Brandenburg, also im Berliner Umland, auch in Berlin in der Großstadt selbst, aber auch in Gesamtostdeutschland? Allensbach hat gesagt, sie liegen bei 23 bis 24 % hinter der Linken und der SPD in Gesamtostdeutschland. Wie wollen Sie von da wegkommen, von dieser niedrigen Position für eine Volkspartei, die gar keine ist?

Schönbohm: Die SPD hat in Sachsen 9 % bei der letzten Wahl bekommen. Damit beschreiben Sie ein Problem, was wir alle haben. Das ist eine Herausforderung. Die hängt zum Teil auch mit der Stimmung zusammen. Die Stimmung ist schlechter als die Lage tatsächlich ist. Ich merke das aus vielen Zuschriften, wenn ich mich irgendwelchen Dingen etwas sehr klar geäußert habe, dass man sagt, nein, nein, das ist doch ganz anders. Wenn man sich mit den Fakten auseinandersetzt, haben wir die geringste Arbeitslosigkeit seit 1992. Die Haushaltseinkommen sind gestiegen. Die Lohnangleichung Ost-West ist im öffentlichen Dienst praktisch vollzogen. Der letzte Schritt fehlt noch. In der gewerblichen Wirtschaft ist er noch nicht vollzogen, aber das ist Sache der Tarifvertragsparteien. Wir hatten früher einen Lehrstellenmangel, heute haben wir nicht genug Auszubildende.

Deutschlandradio Kultur: Das müsste Ihnen doch helfen.

Schönbohm: Vollkommen richtig. Wenn man sich mal die objektive Lage ansieht, wie es besser geworden ist, dann ist die Stimmung schlechter. Es gab eine Umfrage in irgendeinem Institut, wo festgestellt wurde, dass der Grad der Zufriedenheit in Brandenburg am geringsten ausgeprägt ist, dass die Brandenburger am unzufriedensten sind. Ich glaube nicht, dass das mit dem Menschenschlag zusammenhängt. Ich weiß nicht, woran das liegt. Aber wir haben in ländlichen Räumen natürlich Schwierigkeiten mit Arbeit. Da gibt es nur den ländlichen Raum und sonst gibt es da wenig Arbeit. Aber das hat sich jetzt auch auf einem Niveau stabilisiert, dass jeder weiß, es ist berechenbar, es ist vorhersehbar. Von daher gesehen müssen wir uns in einer breiten Weise der Diskussion stellen. Es ist eine merkwürdige Missstimmung und mangelnde Bereitschaft, sozusagen Politik auch anzuerkennen. Manchmal ist es wirklich etwas ätzend und etwas mühsam. Aber man muss sich der Aufgabe stellen.

Deutschlandradio Kultur: Aber es ist nicht auch ein landsmannschaftliches Problem. Wir Berliner sagen, wenn wir loben wollen, "man kann nicht meckern".

Schönbohm: Ja sicher, das habe ich ja in Berlin erlebt. Ich meine, was mich in Berlin irritiert ist, dass im alten Westberlin die CDU nicht stärker ist. Die CDU hat mal im alten Westberlin lange Zeit die Regierungsmehrheit gestellt. Dass sie im Osten nicht so stark geworden ist, hängt vielleicht auch mit der Struktur Ostberlins zusammen, wo die PDS sehr stark ist. Und die PDS ist natürlich eine Stimmungspartei, die die Stimmung der Bevölkerung aufnimmt und diese auch instrumentiert. Schulessen muss freigegeben werden, Schülerbeförderung, alles soll es frei geben. Und wir müssen der Bevölkerung sagen, dass wir nur das ausgeben können, was wir verdienen. Und das ist ein Teil des Problems, weil viele nicht wissen, dass wir nur 50 % unserer Haushaltsmittel selbst verdienen. Die anderen bekommen wir von woanders.

Deutschlandradio Kultur: Haben Sie eigentlich das Gefühl, dass Sie von der Bundes-CDU genügend Unterstützung bekommen? Immerhin haben Sie eine Kanzlerin, die aus dem Osten kommt, mit hohen Popularitätswerten. Das könnte doch eigentlich auch Wasser auf Ihre Mühlen sein – ist es aber anscheinend nicht.

Schönbohm: Die Bundeskanzlerin hat natürlich eine Aufgabe. Sie ist Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe den Eindruck, dass sie von vielen Ostdeutschen nicht als eine "von uns" wahrgenommen wird. Einer von uns ist jemand, der die DDR-Erfahrung mit ihnen gemeinsam gemacht hat, durchlitten hat oder durchlebt hat, je nach dem, wie man das sieht. Die Bundeskanzlerin ist ja hier großgeworden, sie ist auch in Brandenburg großgeworden. Sie war hier in Berlin an der Akademie der Wissenschaften, ist in Leipzig promoviert worden. Von daher gesehen ist sie eine aus den neuen Ländern, aber sie wird so nicht wahrgenommen. Und die Bundesregierung macht ja eine ganze Menge für die neuen Bundesländer. Wenn ich mir den Solidarpakt angucke. Bund und westdeutsche Länder geben gemeinsam erhebliche Finanzmittel dafür aus. Wir bekommen in Brandenburg in diesem Jahr eine knappe Milliarde Euro.

Deutschlandradio Kultur: Aber die CDU profitiert nicht davon. Das ist doch das Problem.

Schönbohm: Die Kanzlerin wird ja auch von vielen mehr als Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen, denn als CDU-Vorsitzende. Die CDU wird sehr stark regional wahrgenommen. Wenn wir uns streiten, werden wir regional wahrgenommen. Aber das wird natürlich nicht goutiert.

Deutschlandradio Kultur: Aber ohne Ostdeutschland kann die Bundes-CDU auch die Bundestagswahlen nicht gewinnen. Das ist die leidvolle Erfahrung von 2005.

Schönbohm: Das ist absolut richtig. Die Bundes-CDU hat sich ja jetzt kürzlich in Halle getroffen und hat noch einmal deutlich gemacht, welche Punkte sie nutzen will, um die wirtschaftliche Entwicklung hier voranzubringen und die Differenz in der Wirtschaftskraft zwischen Ost und West zu schließen. Nur, das sind alles Maßnahmen, die kommen nicht so schnell an. Der Aufschwung, sagen viele Menschen, ist bei uns nicht angekommen. Er ist aber tatsächlich angekommen, weil die Arbeitslosenzahlen zurückgegangen sind. Er ist angekommen, weil wir Lohnerhöhungen haben. Aber der Aufschwung macht sich auch bemerkbar in den hohen Energiepreisen, unter denen die Bevölkerung gerade – wir haben viele Pendler – leidet. Dafür kann keine Bundesregierung und die Landesregierung nur begrenzt irgendwelche Maßnahmen treffen, um den Bürgern zu helfen. Dann sagen sie, guck mal, das ist die Lage. Wer hilft uns? Das ist eine Stimmung, das steht die Bundesregierung praktisch nicht durch. Das ist richtig.

Deutschlandradio Kultur: Sie beklagen ja auch, dass die CDU ihre Stammkundschaft teilweise verliert, weil sie dieses konservative Element, diese Volksnähe, dieses Gefühl, klare Orientierung zu geben, den Leuten nicht mehr geben kann. Ist das Ihr Vorwurf an den momentanen Zustand der Partei? Fehlt ihr da sozusagen die Seele?

Schönbohm: Was Sie jetzt eben gesagt haben, bezieht sich nicht auf die neuen Bundesländer. In den neuen Bundesländern ist es da anders. Wir haben 30 % Alleinerziehende. Wir haben bei uns in den neuen Ländern ganz andere Verhältnisse. Aber bezogen auf den Westen, denke ich, ist das schon richtig. Das ist ja eine Strategie der Union, zu versuchen, sich sozusagen neue Wählerschichten zu erschließen. Aber wenn man sich neue Wählerschichten erschließt, muss man aufpassen, dass man die Stammwähler nicht verliert. Wenn man sich mal die Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen anguckt, kann man feststellen: In Hessen hat die CDU Wähler an die SPD und FDP verloren. Aber sie hat praktisch nicht verloren an Nichtwähler. In Niedersachsen hat die CDU eine vergleichbar hohe Zahl an Nichtwähler verloren, weil sie nicht genug Bindungskraft entwickelt hat.

Das ist immer die Frage einer Partei: Wie prononciert bin ich? Ich habe Sorge, dass wir gerade im Bereich im Süden Deutschlands, in Baden-Württemberg, zum Teil in Hessen, zum Teil auch in Nordrhein-Westfalen aus Sicht der Bundespartei einen Teil dieser Stammwähler verlieren, weil sie das Gefühl haben, die CDU ist in den Emotionalitäten, die eine Partei auch ausmacht, nicht mehr ihre Partei, weil die Inhalte, die richtig waren, nicht mehr so vertreten werden.

Deutschlandradio Kultur: Was sind das für Wähler, nach denen Sie streben? Wenn man mal anguckt, wer Sie noch wählt, das sind ältere Menschen und Menschen, die ängstlicher geworden sind, für die sich die soziale Frage stellt – ob zurecht oder zu unrecht. Aber das aufstrebende Bürgertum findet sich nicht mehr bei der CDU.

Schönbohm: Ob das mit dem aufstrebenden Bürgertum so richtig ist, weiß ich jetzt nicht. Aber in den neuen Ländern wählen uns die Alten auch nicht. Die wählen SPD oder Linkspartei. Natürlich brauchen wir das aufstrebende Bürgertum. Das ist auch ein Teil, dass wir sagen, wir wollen das Betreuungsangebot erweitern. Das zielt ja auch auf dieses aufstrebende Bürgertum, sozusagen Doppelverdiener mit Kindern.

Die Sorge, die damit entsteht, ist, dass wir ein Familienbild entwerfen, das bedeutet: Nur die Mutter, die nach der Geburt des Kindes alsbald zur Arbeit geht, ist ein besonders geschätztes Mitglied der Gesellschaft. Und die Mutter, die zu Hause bleibt, sich um die Kinder kümmert, ist das Heimchen am Herd. Das ist ein fataler Eindruck, der manchmal erweckt wurde. Das ist aber zum Teil auch von Frau von der Leyen korrigiert worden. Das war wohl nicht beabsichtigt, aber es war das Ergebnis eines Teils ihrer öffentlichen Argumentation, wo sie sagte, dass die Männer Wickelmonate machen sollten, um irgendwann zu begreifen, wie man Kinder erzieht. Und die Frauen sollten doch möglichst schnell nach der Geburt arbeiten gehen. All das ist ja zum Teil auch wieder von der Bundespolitik abgeräumt worden.

Die Menschen sind verunsichert, weil sie Orientierung suchen in dieser sich verändernden Welt. Unsere Gesellschaft driftet ja auseinander. Wir hatten früher einen sehr starken Mittelstand. Es gibt ja Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass der Mittelstand weniger wird. Entweder geht er zu den Besserverdienenden oder sinkt ab in die weniger Verdienenden. Aus dieser Sorge heraus suchen die Menschen Orientierung. Ich denke, eine Partei muss diese Orientierung durch Persönlichkeiten geben, Inhalte in der Politik und Programme. Inhalte in der Politik sind natürlich Arbeit und auch das Thema Familienpolitik. Ich glaube, da machen wir eine Menge. Es ist Gesellschaftspolitik. Das Thema Bildungspolitik ist praktisch Ländersache. Und dann die Frage der Wirtschaftspolitik.

Die Bundeskanzlerin hat ja in ihrer Regierungserklärung gesagt, "mehr Freiheit wagen". Viele in der Wirtschaft fragen, gerade aus dem Bürgertum, die Sie angesprochen haben: Wo wagen wir denn mehr Freiheit? Wir wollen mehr Freiheit haben.

Das ist unser Problem. Wenn Sie gucken, wir reden immer über Migration, dass wir hier Zuwanderung von qualifizierten Leuten brauchen. Wir müssten erst mal etwas tun, und zwar sehr konsequent die Frage beantworten: Warum wandern qualifizierte Leute ab? Da kenne ich Beispiele. Dieses Land der Chancen müssen wir deutlicher machen. Das "mehr Freiheit wagen" müssen wir den Menschen mehr ermöglichen. Dieser Impetus, glaube ich, ist nicht stark genug und wird von vielen vermisst.

Und dann gibt es einen Teil unserer Bevölkerung, die haben Angst vor mehr Freiheit. Die sagen, mehr Freiheit heißt, man wird allein gelassen. Das ist das, was Jürgen Rüttgers in NRW macht. Der sagt: Ich bin der Arbeiterführer. Ich nehme die Sorgen und Nöte des so genannten "kleinen Mannes" auf. Das sind ja alles Männer und Frauen, die stehen früh auf. Die gehen zur Arbeit. Sie zahlen brav ihre Steuern. Sie machen all das, was der Staat von ihnen will. Das sind die Träger unserer Gesellschaft. Deren Sorgen und Nöte müssen wir auch ernst nehmen.

Deutschlandradio Kultur: Ist Jürgen Rüttgers der Mann der Zukunft für die CDU? Oder suchen Sie den Konservativen, die Persönlichkeit, die der CDU noch zusätzlich Salz in die Suppe gibt?

Schönbohm: Ich glaube, wenn einer ein Spitzenpolitiker ist, also Ministerpräsident oder Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler, dann kann er weder ein ausgeprägter Konservativer, noch ein Wirtschaftsliberaler, noch ein Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberflügel sein, sondern dann muss er auf 360 Grad anspielbar sein. Er muss für alle da sein.

In einer Partei ist es wichtig, dass wir Männer und Frauen haben, mit denen die Menschen verbinden, für welche Inhalte die Politik steht. Bei Ludwig Erhard war es klar – jetzt rückblickend gesehen. Damals war es vielleicht auch nicht so ganz klar, weil es ja nicht ganz einfach war, was man damals gemacht hat.

Deutschlandradio Kultur: Der könnte sich heute nicht im Kabinett halten, so wie der sich verhalten hat.

Schönbohm: Nein. Wenn Sie nachlesen, "Wohlstand für alle", das Buch will ich jedem mal zur Pflichtlektüre machen, auch Leuten in der CDU, da kann man lesen, wie die CDU Erfolg gehabt hat. Und ein Kernsatz in diesem Buch von Erhard ist sinngemäß: Wir wollen nicht den Sozialbürger, der heute seine Steuern bezahlt und in der nächsten Woche in Demut einen Teil dieser Steuern als Sozialfondgeld wiederkriegt. Das ist es nicht. Wir wollen den freien, selbst verantwortlichen Bürger. Und diesen Geist müssen wir wieder versuchen zu stärken.

Deutschlandradio Kultur: Was fehlt Ihnen in der CDU? Braucht die CDU mehr Überzeugungstäter? Die taz, die linke Tageszeitung hat Sie mal beschrieben und gesagt, Schönbohm sei kein Meinungschamäleon, anders als die großen Jungs Pofalla und Kauder. Sind es die Persönlichkeiten auf der konservativen Seite, die die CDU braucht, damit sie als Volkspartei wieder deutlich über 40 % kommen kann?

Schönbohm: Erfreulicherweise haben wir ja eine Bundeskanzlerin, unsere Bundesvorsitzende der CDU, mit einer hohen Zustimmungsquote. Die CDU dümpelt bei rund 35 %. Die SPD hat Werte unter 30 %. Also, für unser Gemeinwesen ist das nicht in Ordnung. Dass es der SPD so schlecht geht, ist nicht gut für unser Gemeinwesen. Und dass es uns nicht besser geht, ist für die CDU nicht gut und, ich glaube, auch fürs Gemeinwesen nicht. Also gibt es offensichtlich keinen inneren Zusammenhang zwischen dem positiven Bild der Zustimmung zur Bundeskanzlerin und der Zustimmung zur Partei. Wenn dieser Sachverhalt richtig ist, muss man auch daraus die Konsequenzen ziehen.

Das bedeutet: Die Persönlichkeiten, die die CDU nach außen vertreten, müssen deutlich erkennbarer werden in ihrer Programmatik und ihrer Persönlichkeit. Das ist einmal die Aufgabe des Generalsekretärs selbstverständlich. Der bemüht sich ja auch redlich. Und dann ist die Frage: Wer sind die anderen Persönlichkeiten, die dieses tun. Ich sagte schon, Ministerpräsidenten als Spitzenpolitiker müssen sozusagen für die ganze Bevölkerung da sein. Die können dieses qua Amt nur zum Teil leisten. Die Bundesminister werden, wie der Stern gerade festgestellt hat, in der Öffentlichkeit nicht ausreichend wahrgenommen. Und unser Problem ist, wir haben nicht genug profilierte Persönlichkeiten, die bestimmten Politikfeldern zugeordnet werden, dass die Bevölkerung, dass ein so genannter Konservativer mal sagt, Donnerwetter, bei dem fühle ich mich aufgehoben, und dass die Arbeitnehmer sagen, Donnerwetter, bei dem fühle ich mich aufgehoben. Da gibt es den Landesminister Laumann, der da ein hohes Ansehen hat. Der ist auch im Präsidium der CDU, aber er spielt nicht auf der Bundesebene mit. Das ist ein Teil unseres Problems. Wir haben keine oder nicht ausreichend Persönlichkeiten für die verschiedenen Flügel und Positionen in der CDU als Volkspartei, die dieses nach außen glaubhaft vertreten können.

Ich nehme mal so einen Mann wie Wolfgang Schäuble als Bundesinnenminister, dem ja immer law & order und alles Mögliche vorgeworfen wird. Der steht aber für eine Politik der Sicherheit für die Freiheit. Damit wir unsere Freiheit richtig wahrnehmen, können wir nur mit Sicherheit machen. Das ist eine Position, die bei der CDU sehr fest verankert ist. Aber die öffentliche Zustimmung bekommt er zu seinen Positionen auch in begrenztem Maße. Er kämpft drum. Aber da kommt Glaubwürdigkeit. Das ist das, was ich im Grunde genommen einfordere, diese Glaubwürdigkeit, die zum Beispiel Wolfgang Schäuble da vertritt.

Deutschlandradio Kultur: Lassen Sie mich noch mal nachfragen. Sie sagen, zum Teil hat die CDU schon die richtigen Inhalte. Und Sie sagen, die richtigen Köpfe müssten die auch noch repräsentieren. Ist das eine Frage des persönlichen Lebenswandels? Nimmt der Wähler dem CDU-Politiker übel, wenn er kinderlos ist, wenn der CDU-Politiker in zweiter Ehe verheiratet ist, wenn er homosexuell ist? Ist das das Problem?

Schönbohm: Nein, das glaube ich nicht. Nach meinem Eindruck möchte der Wähler wissen, ob jemand für eine Position steht und dann kämpft. Wenn jemand geschieden ist, das kann doch jemand beurteilen. Wenn jemand keine Kinder hat, ich glaube, da maßt sich der Wähler auch kein Urteil an, weil jeder aus seiner eigenen Lebenswelt, Bekanntschaft oder Freundschaft Erfahrungen hat, dass Ehen auseinandergehen oder – von mir aus auch – dass jemand homosexuell oder lesbisch ist. Ich glaube, das ist nicht das Problem. Das Problem ist die Glaubwürdigkeit für Inhalte, die Konsequenz und das Standvermögen. Und daraus kommt dann Glaubwürdigkeit. Dann sagen sie, das ist zwar ein harter Hund oder es ist ein eckiger Knochen, wie auch immer, aber bei dem wissen wir, wo wir dran sind und der macht auch das, was er sagt, und er sagt, was er macht, und er steht zu seinem Wort. Das ist natürlich auf Bundesebene schwerer als auf Landesebene, das ist mir schon klar, aber ein bisschen mehr davon täte uns, glaube ich, gut.

Deutschlandradio Kultur: Friedrich Merz, der ehemalige CDU-Fraktionschef, sagt: Die CDU müsse "wieder stärker Reformpartei sein". Und er hat gesagt, sie müssen "den Linkskurs etwas korrigieren." Geht es darum?

Schönbohm: Friedrich Merz fehlt uns natürlich an allen Ecken und Enden, aber er hat sich so entschieden, das muss man akzeptieren. Das ist das, was ich vorher sagte. Ich komme darauf zurück. In der Regierungserklärung hat Frau Merkel den entscheidenden Satz gesagt: "Mehr Freiheit wagen." Wo wagen wir denn mehr Freiheit? Dieses Mehr-Freiheit-wagen ist für mich der zentrale Punkt, der im Grunde genommen nicht so richtig eingelöst wird. Wenn Friedrich Merz daran erinnert, zur Freiheit gehört die Verantwortung. Von daher gesehen ist das die Diskussion, die in der Union geführt wird. Ich denke, es ist auch richtig, dass die Union diese Diskussion führt.

Deutschlandradio Kultur: Ich kann Sie auch anders fragen: Wie viel CDU steckt in der Kanzlerin?

Schönbohm: Die CDU können Sie nicht auf ein, zwei, drei, vier Eigenschaften reduzieren. Die Bundeskanzlerin ist 1990 in die CDU eingetreten. Sie hat sozusagen ihr politisches Leben in der CDU gestaltet. Sie repräsentiert die CDU in all ihren Facetten. Daher kann man sie keinem Flügel zuordnen. Man könnte nicht sagen, sie ist konservativ oder wirtschaftsfreundlich oder so. Sie hat sich zu all dem geäußert, wie es ihre Aufgabe ist. Darum umfasst sie die CDU sozusagen, ohne aber einem Flügel anzugehören.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben wiederholt gesagt, Sie fürchten, dass rechts von der CDU eine konservative Partei entstehen könnte. Das verstehe ich nicht ganz. Oskar Lafontaine haben wir doch schon. Wir haben doch schon einen, der den Populismus fährt. Nur ein Populismus von rechts könnte doch der CDU gefährlich werden.

Schönbohm: Die Wahlbeteiligung geht ja immer weiter zurück. Die Umfragen der CDU sind bei 35 % und bei der SPD 25 %. Das sind dann zusammen 60 %. Die beiden großen Parteien kommen in der Bundestagswahl vielleicht auf 70 %. Das wäre schon sehr viel, vom heutigen Maßstab aus gemessen.

Dann sind immer noch 30 % über. Ich glaube, dass es bei der CDU um die Frage geht, ob es uns gelingt, die Wähler, die früher CDU gewählt haben, wieder zur Wahl zu bekommen. Das sind die Wähler, die unzufrieden sind. Die sagen auf der einen Seite, "mehr Freiheit wagen", und auf der anderen Seite aber auch etwas anderes: Wir wollen mehr Freiheit haben, aber wir wollen auch sozusagen gesicherte Rahmenbedingungen haben – Thema Familie usw.

Da, glaube ich, könnte sich eine solche Partei etablieren, wobei der Schwerpunkt vermutlich auf dem Thema Familie, Verhältnis zur Nation, was bedeutet Integration, diese ganzen Fragen – nicht im Sinne von nationalistisch, sondern Nation in Europa. Wie definieren wir unsere nationalen Interessen in Europa? Überlegen Sie mal die Unruhe, die über uns gekommen ist seit Irland. Wenn wir über den Vertrag von Lissabon in Deutschland abgestimmt hätten, da bin ich mir nicht sicher, wie das Ergebnis ausgegangen wäre. Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl ist doch sehr gering, immer so um die 30, 35 %.

Deutschlandradio Kultur: Sie argumentieren viel zu seriös. Wenn ich gegen Sie als konservative Partei antrete, schaffe ich es nur populistisch, nicht mit Argumenten. Denn die Argumente haben Sie doch oder haben doch die Volksparteien.

Schönbohm: Der Wurm muss dem Fisch schmecken. Die Argumente muss der Bürger aufnehmen. Jetzt argumentiere ich ja nur, um zu erklären, wie ich zu der Auffassung komme. Wenn sich eine solche Partei bilden sollte, was ich nicht weiß, also, auf jeden Fall nicht vor 2009, das halte ich für ausgeschlossen, aber nach 2009. Von dem Wahlergebnis 2009 hängt es ab, wie sich das Parteiensystem insgesamt weiterentwickelt. Die Partei links von der SPD hat ja doch einen unglaublichen Erfolg gehabt, sehr populistisch, und hat der SPD Wähler abgenommen. Wenn wir immer weniger Zustimmung haben, kommt doch automatisch die Frage, das ist die alte Frage, die Strauß mal mit Kreuth gestellt hatte. Als er von der Ausdehnung der CSU nach Norden sprach, war ja die Überlegung: Wie kann ich einen Teil des Wählerklientel für die CSU gewinnen, dass sie die CDU nicht mehr bekommt? Die Frage ist ja nicht so brandneu. Ich meine nicht, dass sich die CSU jetzt nach Norden entwickelt, sondern dass sich neben der CDU-CSU eine Partei etablieren könnte, die dann versucht die Nichtwähler zu gewinnen und die, die vielleicht nur noch grummelnd zur CDU gehen und sagen, na ja, was sollen wir denn machen, ist ja das Beste, wenn die CDU stärker wird.

Deutschlandradio Kultur: Hoffen wir mal, dass wir da keine schlafenden Hunde wecken.

Schönbohm: Will ich auch nicht, um Gottes Willen. Aber sie schnarchen schon.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt einen konservativen national denkenden Schriftsteller, mit dem Sie sich viele Jahre intensiv beschäftigt haben, Ernst Jünger – umstrittener Autor sicherlich. Was fasziniert Sie an ihm? Warum haben Sie sich so intensiv mit ihm auseinandergesetzt?

Schönbohm: Ich habe einen Lehrer gehabt in den letzten drei Schuljahren bis zum Abitur, bei dem wir uns sehr intensiv mit den Fragen der Ideologien seit der Französischen Revolution auseinandergesetzt haben und mit den Utopien von Thomas Morus, Campanella, bis hin zu Platon.

In dem Zusammenhang habe ich als erstes Buch "Waldgang" von Ernst Jünger gelesen – das Leben in der Diktatur – und dann "Auf den Marmorklippen". Das waren die beiden ersten Bücher, die ich von Ernst Jünger in der Abiturklasse gelesen habe, die mich sehr beeindruckt haben, vom Stil und vom Inhalt her. Und das Buch "In Stahlgewittern", was alle immer mit Ernst Jünger in Verbindung bringen, habe ich erst relativ spät gelesen, viele Jahre später. Ich habe "Heliopolis" gelesen. Was mich daran fasziniert, ist die Entwicklung dieses Mannes, der sich ja vom erfolgreichen Zugführer des 1. Weltkrieges dann in den 20er Jahren sehr stark national entwickelt hat, dann aber auch sozial im Sinne der Arbeiter, sein berühmtes Buch. Man hat versucht ihn für den Nationalsozialismus zu gewinnen, was er strikt abgelehnt hat. Man kann nicht sagen, dass er im Widerstand war, aber er war wohl in der inneren Emigration. Ein Teil seiner Bücher wurde dann im "Dritten Reich" nicht mehr veröffentlicht. Wie er dann nach dem Zweiten Weltkrieg in seinen Büchern versucht hat darüber zu reflektieren, all das hat mich fasziniert. Ich habe jetzt gerade seine Biographie noch mal mit großem Interesse gelesen. Ich werde noch einiges von ihm lesen, weil mich der Stil fasziniert. Und ich finde, er ist ein Schriftsteller, der oft verkannt und reduziert wurde auf "Das Wäldchen", auf "Sturm" und solche Schriften, die auch wichtig waren, die sozusagen seinen Ruhm begründet haben, die aber sein Werk nicht allein ausmachen.

Deutschlandradio Kultur: Sind es die Irrtümer, die Ihnen, aber auch uns erspart geblieben sind, über die er schreibt und zu denen er sich auch bekennen musste?

Schönbohm: Das ist ein Teil davon. Ich habe mir oft die Frage gestellt, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn unsere Mutter mit uns nicht 45 aus der Mark Brandenburg geflohen wäre. Die Frage, wie ich mein Leben in einer Diktatur eingerichtet hätte, hat mich sehr lange beschäftigt und ich habe darauf keine Antwort gefunden. Ich weiß es auch nicht. Eine Antwort gibt für mich Jüngers "Waldgang", "Auf den Marmorklippen", das ist ein Teil der Antworten, die ich aber nicht für mich persönlich in Anspruch nehmen kann.

Deutschlandradio Kultur: Herr Schönbohm, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.