Schön langsam

Von Markus Böggemann · 17.06.2010
Die ersten Rezensenten ließ sie ratlos zurück: Beethovens "Sonate pour le Pianoforte et Violoncell" op. 102, Nr. 2 wollte sich partout nicht den Erwartungen fügen, die man an diese junge Gattung – Beethovens frühe Cellosonaten op. 5 von 1796 markieren ihren Beginn – zu richten gelernt hatte.
Mit dieser Widerborstigkeit entsprach sie allerdings einem Stereotyp, das ihrem hochberühmten Komponisten anhaftete: "Diese beyden Sonaten gehören ganz gewiss zu dem Ungewöhnlichsten und Sonderbarsten, was seit langer Zeit, nicht nur in dieser Form, sondern überhaupt, für das Pianoforte geschrieben worden ist. Alles ist hier anders, ganz anders, als man es sonst, auch sogar von diesem Meister selbst, empfangen hat", stellte 1818 die renommierte Leipziger Allgemeine musikalische Zeitung in ihrer Besprechung fest. Oder, mit den Worten einer anderen zeitgenössischen Kritik: "Man ist schon gewohnt, von diesem originellen Geiste, der gänzlich seinen eigenen Weg geht, etwas zu empfangen, das man gar nicht erwartet hat".

Ein solches Paradox der Rezeption – wie gewöhnt man sich an das, was man nicht erwartet? – bleibt für den Komponisten, dem es gilt, nicht folgenlos: Es setzt ihn unter Druck, fordert von ihm in jedem neuen Werk nie Dagewesenes, Exorbitantes, versagt ihm das Mittlere, Unaufregende und Unaufgeregte, vor allem aber die Wiederholung. Und wenn auch diese Erwartungshaltung durchaus im Sinne Beethovens war, wenn sie auch – nach allem, was wir davon wissen – seinen eigenen ästhetischen Kriterien entsprach: Es bleibt die Frage, wie sich einer solchen Forderung nach permanenter Überraschung und (Selbst-)Überbietung nachkommen lässt.

Im Fall von Beethovens Cellosonate op. 102, 2 liegt die Antwort in der Gewichtung ihrer einzelnen Teile: Es ist der zweite, der langsame Satz, Adagio con molto sentimento d'affetto, der durch seine Ausdehnung, seine musikalische Substanz und Ausdrucksintensität die Rahmensätze überragt. "Altes" Choral-Idiom und verzierungsfreudiger Instrumentalgesang lösen sich in ihm ab und gehen ineinander über, machen einem nach Dur aufgehellten Mittelteil Platz und kehren mit vertauschter Instrumentierung wieder.

Dass sein Schluss gleichsam vertagt und stattdessen direkt in das fugierte Finale übergeleitet wird, reduziert das Adagio indes nicht auf die Funktion einer langsamen Einleitung, sondern viel eher das Finale auf diejenige eines leicht verschrobenen Kehraus'. Dessen satztechnische Strenge teilt mit der expressiven Dringlichkeit des Adagio den retrospektiven Ton, die hörbar gemachte historische Tiefendimension der Musik.