Schockenhoff: Westen darf Korruption in Russland nicht tatenlos hinnehmen

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Birgit Kolkmann · 22.01.2009
Nach Ansicht des stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Andreas Schockenhoff, muss der Westen Russland energischer zum Kampf gegen die Korruption anhalten. Derzeit herrsche in Russland ein "Klima der Einschüchterung, des Zynismus, der Apathie", sagte Schockenhoff.
Birgit Kolkmann: Montag in Moskau: Am helllichten Tag werden auf offener, belebter Straße die junge Journalistin Anastasia Baburowa und der Menschenrechtsanwalt Stanislav Markelov niedergeschossen. Der Anwalt stirbt sofort, die Journalistin kurz darauf. Bis heute hat die Moskauer Polizei angeblich keine konkreten Hinweise auf die Identität des Täters, Zeugen gibt es angeblich ebenfalls keine.

Beide Opfer waren Kollegen der vor zwei Jahren ermordeten regimekritischen Journalistin Anna Politkowskaja, auch sie hatte für die kremlkritische Zeitung Nowaja Gaseta gearbeitet. Deren Chefredakteur war gestern auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin bei einer Pressekonferenz, und er erhob schwere Vorwürfe gegen die Ermittler, forderte Premier Putin zur Aufklärung des Doppelmords auf.

Mit dabei war auch der CDU/CSU-Bundestagsfraktionsvize Andreas Schockenhoff, er ist Koordinator für die deutsch-russische Zusammenarbeit. Guten Morgen in der Ortszeit, Herr Schockenhoff!

Andreas Schockenhoff: Guten Morgen!

Kolkmann: Herr Schockenhoff, war das aus Ihrer Sicht ein eindeutig politisches Verbrechen?

Schockenhoff: Es war ein politisches Verbrechen – nicht gegen unliebsame Journalisten, die die Politik in Russland kritisieren, sondern gegen Journalisten, die das Thema Korruption bearbeiten. Derjenige, der in Russland heute den Sumpf der Korruption beleuchtet, lebt gefährlich und muss um sein Leben fürchten.

Kolkmann: EU-Kommissionspräsident Barroso hat ja gestern durch seinen Sprecher ebenfalls appellieren lassen an die russische Führung, dass Verbrechen aufgeklärt werden und Journalisten, die sich eben für Menschenrechte engagieren, die kritisch berichten, auch über Korruption, die müssten in Russland um Leib und Leben fürchten. Das ginge so nicht. Glauben Sie, das wird in Russland gehört?

Schockenhoff: Es wird gehört. In Russland selber gibt es ein Klima der Einschüchterung, ein Klima des Zynismus, der Apathie, dass solche Zustände hingenommen werden. Nur wenn wir international darauf aufmerksam machen und wenn in Russland bekannt wird, dass wir das nicht gleichgültig hinnehmen, kann es ein Klima geben, das diesen Journalisten Schutz bietet.

Kolkmann: Können die Ermittlungsbehörden denn nun nicht mehr über den Täter herausfinden oder wollen sie es nicht? Was hat der Chefredakteur der Nowaja Gaseta gestern in Berlin berichtet?

Schockenhoff: Er hat eindeutig gesagt: Wenn der Apparat will, dann kann darüber was herausgefunden werden. Es ist ja nicht der erste Fall. Journalisten können in Russland frei ihre Meinung äußern, Journalisten können über die Politik kritische Beiträge auch veröffentlichen. Aber in dem Moment, wo sie die Hintergründe der Korruption beleuchten – und Korruption hat natürlich mit dem Apparat zu tun, Korruption hat mit der Verflechtung zwischen Politik und privatem Interesse zu tun –, in dem Moment leben sie gefährlich. Also, man darf also nicht generell sagen, kritische Journalisten lebten in Russland gefährlich, aber diejenigen, die der Korruption auf den Grund gehen, die werden von Auftragsmördern gezielt liquidiert.

Kolkmann: Was, glauben Sie, können Sie als westlicher Parlamentarier für diese kritischen Journalisten und Menschenrechtler tun?

Schockenhoff: Wir müssen zeigen, dass wir sehr genau diese Dinge zur Kenntnis nehmen und dass wir nicht einfach sagen, das ist ein inneres Problem Russlands. Nein, es ist eine Frage der Modernisierung Russlands. Wir sprechen von Modernisierung. Modernisierung ist nicht eine wissenschaftlich-technische Frage, sondern Modernisierung ist eine Frage des gesellschaftlichen Klimas. Modernisierung ist eine Frage der Offenheit, ob Meinungsäußerungen möglich sind oder ob Meinungsäußerungen gefährlich sind.

Kolkmann: Wie verträgt es sich eigentlich, dass in der vergangenen Woche der russische Ministerpräsident Putin im Kanzleramt von Angela Merkel mit allen Ehren empfangen worden ist und gleichzeitig Sie als Unionspolitiker in der Parteistiftung einen doch regimekritischen Chefredakteur empfangen, der ganz klar sagt: Die russische Führung, die könnte diesen Fall aufklären, will es aber nicht?

Schockenhoff: Wir sagen nichts anderes als die Bundeskanzlerin. Wir müssen das nur öffentlich machen. Die Bundeskanzlerin hat diese Kritik gegenüber Medwedew auch klar geäußert. Es gibt ja auch eine Diskrepanz zwischen dem, was Medwedew selbst in Reden äußert. Er hat ganz klar sich zum Ziel gesetzt, dem Rechtsnihilismus, wie er es selbst nennt, Einhalt zu gebieten, Rechtsstaatlichkeit, Schutz der Bürger, mehr Freiheitsrechte durchzusetzen. Aber das klingt wie leere Worthülsen. Ich glaube nicht, dass Medwedew lügt, wenn er das sagt, ich glaube, dass er selbst gegenüber dem Apparat, gegenüber den Verhältnissen in einem großen Maße machtlos ist.

Und gerade deshalb müssen wir diese Dinge ansprechen, wir müssen sie öffentlich machen. Wir müssen zeigen, dass Russland sich dadurch selbst schadet, dass Russland nicht im Ausland angeschwärzt wird, sondern dass Russland nur, wenn es entschieden vorgeht gegen solche Verhältnisse, eine Chance hat, diese Modernisierung durchzusetzen, die eben eine umfassende sein muss und sich nicht nur auf technische oder wirtschaftliche Fragen beschränken darf.

Kolkmann: Sie haben eben angesprochen, dass Medwedew, der Präsident, wahrscheinlich in einer gewissen Beziehung machtlos ist. Das würde bedeuten, dass es mafiose Strukturen gibt, die weitgehend in einem rechtsfreien Raum agieren in Russland.

Schockenhoff: Das große Problem ist die Krake der Korruption, der Alltagskorruption, die heute alle Lebensbereiche erreicht hat. Man kann keinen Termin beim Arzt bekommen. Ein Russe glaubt nicht, dass es bei uns in Westeuropa Menschen gibt, die noch nie einen Polizisten bestochen haben, weil das zum alltäglichen Leben gehört. Und wenn dort nicht entschieden vorgegangen wird, dann versäumt Russland eine Chance, wirklich ein moderner, ein pluraler, ein wettbewerbsfähiger Staat zu werden, und das schadet zuerst dem eigenen Anspruch, Großmacht zu sein, ernstgenommen zu werden, auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden.

Kolkmann: Positionen des CDU/CSU-Vizefraktionsvorsitzenden Andreas Schockenhoff, er ist auch Koordinator für die deutsch-russische Zusammenarbeit. Ich bedanke mich für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur.

Schockenhoff: Dankeschön!