Schockenhoff: Südkaukasus ist "eine Art Quittung" für das Kosovo

Andreas Schockenhoff im Gespräch mit Hans-Joachim Wiese |
Der Krieg im Südkaukasus ist nach Ansicht des CDU-Außenpolitikers Andreas Schockenhoff "eine Art Quittung" für die Anerkennung eines unabhängigen Kosovos durch den Westen. Russland teste gegenwärtig aus, wie weit es gehen könne, sagte der Koordinator für die deutsch-russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt.
Hans-Joachim Wiese: Das wird keine einfache Reise für Angela Merkel. Am Freitag will die Bundeskanzlerin den russischen Präsidenten Medwedew in Sotschi am schwarzen Meer treffen. Nicht ausgeschlossen, dass russische Truppen bis dahin nach Südossetien auch die abtrünnige georgische Provinz Abchasien besetzt haben, denn angegriffen haben sie nach russischen Angaben schon. Abchasien ist nur ungefähr 100 Kilometer von Sotschi entfernt. Vielleicht hört die Kanzlerin noch den Kanonendonner. – Am Telefon begrüße ich Andreas Schockenhoff. Er ist der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-russischen Beziehungen und stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Schönen guten Morgen, Herr Schockenhoff.

Andreas Schockenhoff: Guten Morgen, Herr Wiese.

Wiese: Der Westen hat Moskau zur Beachtung der territorialen Integrität Georgiens aufgefordert. US-Präsident Bush warnt Russland vor einer gefährlichen Eskalation. Die Deutschen haben ein Telefonat zwischen den russischen und georgischen Außenministern vermittelt. Alles eher schwache Reaktionen. Was kann Frau Merkel in Sotschi noch bewirken?

Schockenhoff: Ich glaube, dass Frau Merkel den Vier-Stufen-Plan der Europäischen Union in aller Deutlichkeit ansprechen muss. Russland kann kein Interesse an einer weiteren Eskalation haben, denn es gibt keine einseitige Abhängigkeit von russischer Energie. Auch Russland ist auf die Zusammenarbeit mit dem Westen angewiesen, auf Absatzmärkte, aber vor allem auf den Modernisierungspartner, wenn es ein wettbewerbsfähiger Industriestaat werden will. Das muss sie in aller Deutlichkeit ansprechen.

Vier-Stufen-Plan – das heißt erstens Feuerpause, zweitens dann die humanitäre Dimension, die Versorgung Verwundeter, die Versorgung der vielen Flüchtlinge, dann einen Truppenrückzug und schließlich neue Verhandlungen. Das klingt nach schwacher diplomatischer Münze, aber viel mehr Möglichkeiten haben wir nicht.

Wiese: Aber Russland, zumindest Ministerpräsident Putin hat diesen Plan schon kalt lächelnd zurückgewiesen.

Schockenhoff: Ja, aber ich glaube, dass Russland austestet, wie weit es gehen kann. Sie haben das vorhin im Vorspann gesagt: es wird eine äußerst schwierige Reise für die Kanzlerin. Aber die Bundeskanzlerin hat eben auch in der Vergangenheit gezeigt, dass sie Probleme anspricht, dass sie nicht um die Konfrontation zu verschärfen, aber auch nicht um die Probleme herumzureden die Dinge auf den Punkt bringt. Ich glaube, dass sie diejenige ist, die die notwendige Autorität hat.

Wiese: Aber welche Druckmittel über die Autorität hinaus hat sie, Herr Schockenhoff? Sie haben die Energielieferungen angesprochen. Der Westen ist doch komplett abhängig von russischen Energielieferungen.

Schockenhoff: Diese Abhängigkeit besteht in beiden Richtungen. Russland ist mindestens so abhängig von dem Abnehmer im Westen. Aber wir sollten das nicht so theoretisch machen. Wir sollten jetzt auch nicht mit irgendwelchen Druckmitteln drohen. Ich glaube, dass wir in einer Fehleinschätzung der Situation auch in diese heiße Kriegsphase gekommen sind. Es gibt einen Zwischenweg zwischen Machtlosigkeit und zwischen irgendwelchen auch militärischen Eskalationen, die wirklich nicht zur Debatte stehen.

Wiese: Militärische Eskalation steht in der Tat nicht zur Debatte. Das würde ja Krieg bedeuten. Aber Druckmittel muss doch trotzdem da sein und ein solches hat doch der Westen nicht. Sonst würde es ja angewendet werden. Also womit will der Westen drohen, wenn nicht mit Wirtschaftssanktionen, die aber letzten Endes die russische Seite überhaupt nicht beeindrucken werden?

Schockenhoff: Kurzfristig vielleicht nicht, aber langfristig liegt die Zukunft Russlands in Europa und nicht irgendwo anders. Das muss auch deutlich gemacht werden.

Wiese: Herr Schockenhoff, will nicht Moskau genau diese Abhängigkeit des Westens zementieren, indem es die Kaukasus-Region destabilisiert? Die russische Regierung hat doch nie akzeptiert, dass der Westen sein Öl und Erdgas über Pipelines bezieht, die durch Georgien verlaufen und Russland umgehen. Ist das nicht der eigentliche Grund für diesen Krieg?

Schockenhoff: Das ist das große geostrategische Spiel, dass es keinen Energiekorridor gibt, der nicht von Moskau kontrolliert wird. Vielleicht haben wir im Westen auch manchmal die Situation falsch eingeschätzt. Dass Russland jetzt in einer neuen imperialen Art und Weise auftritt, ist in der Tat eine neue Realität in der Weltpolitik, aber es kommt nicht von ungefähr. Ich glaube, dass deshalb auch der Versuch von Georgiens Staatspräsident Saakaschwili, mit einem militärischen Handstreich eine schwelende Konfliktsituation zu lösen, eine fatale Fehleinschätzung war.

Wiese: Aber das ist schon erstaunlich, Herr Schockenhoff, dass auch die Bundesregierung, wie Sie sagen, offensichtlich die Situation, auch die russische mögliche Reaktion falsch eingeschätzt hat, wo doch die Bundesregierung immer betont, wie gute Kontakte und Beziehungen sie zu Russland hat.

Schockenhoff: Wir müssen doch mal ehrlich sagen, was wir für Möglichkeiten haben und welche Möglichkeiten wir nicht haben. Es gibt ja Spannungen, die nicht einfach dadurch ausgeräumt sind, dass man eine bestimmte Auffassung hat oder dass wir jetzt in Talkshows oder in irgendwelchen Diskussionsrunden sagen, was eigentlich richtig ist oder nicht. Nein! Es gibt schwierige Spannungen, die wir nicht von heute auf morgen lösen können, sondern wo diplomatisches Geschick und auch ein langer Atem notwendig sind und wo man zunächst einmal darauf achten muss, Fehler zu vermeiden.

Wiese: Bekommt der Westen jetzt die Quittung für sein Verhalten in der Frage des Kosovo, in der Frage der Anerkennung des Kosovo? Genau dieses will der Westen jetzt in Georgien mit Abchasien und Südossetien nicht vollziehen.

Schockenhoff: Ich glaube, dass Moskau sehr zynisch versucht, eine bestimmte Situation auszunutzen. Die Amerikaner stehen vor einem Wahlkampf, vor einem Wechsel der Administration. Sie sind im Irak, in Afghanistan gebunden. Wir haben im Kosovo mit der Anerkennung natürlich nicht vor Ort die Probleme gelöst. Und das jetzt auszunutzen für ein eigenes Spiel, das ist in der Tat eine Art Quittung. Aber wir hatten im Kosovo keine andere Möglichkeit. Im Kosovo hatten wir Anfang der 90er Jahre die Bürgerkriegsflüchtlinge, die Asylbewerber bei uns und wir sind dadurch auch in Europa unmittelbar destabilisiert worden. Also es ist kein Spiel, das am grünen Schreibtisch entschieden wird, sondern es ist ein Spiel, wo wir unmittelbar auch betroffen sind. Die Krise ist in Europa und erfordert ein bedachtes, aber trotzdem energisches politisches Handeln.

Wiese: Andreas Schockenhoff, der Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-russischen Beziehungen. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Schockenhoff.

Das Gespräch mit Andreas Schockenhoff können Sie bis zum 12. Januar 2009 in unserem Audio-on-Demand-Angebot nachhören. MP3-Audio