Schneekugel

Vom Nippes zum Sammelobjekt

Zahlreiche "Schneekugeln" stehen in Wien in einem Raum des Familienunternehmens Erwin Perzy. Seit mehr als 100 Jahren produziert die Familie Perzy im 17. Wiener Bezirk "Schneekugeln", die bei Kindern Verzückung und bei den erwachsenen Besitzern schöne Erinnerungen auslösen.
© picture alliance / dpa / Christian Fürst
Von Laf Überland |
Um 1900 in Wien wurde die erste Schneekugel hergestellt – der rieselnde Gries durch reinen Zufall entdeckt. Die Galerie Aedes zeigt in der Ausstellung „Architektur in der Schneekugel“ die Sammlung eines Zwölfjährigen. Ob sich hier Neues entdecken lässt?
Träume in Dosen, Aquarien der Sehnsucht: Die Schneekugel-Renaissance befördert leider keine wirklich neuen Inhalte in den künstlichen Schnee.
Aber aus den arabischen Emiraten wurde von Lehrern bekannt, dass sie im Naturkundeunterricht Schneekugeln hervorholen, damit die Kinder der Wüste eine Vorstellung vom Winter in den kühleren Regionen kriegen.
Die Schneekugel erfreut die Herzen von groß und klein, rührt mit Erinnerungen in den Herzen der Alten – und zaubert ein staunendes Glitzern in die Augen der Jungen. Den zwölfjährigen Schneekugelsammler Bené Feireiss allerdings – in der Eröffnung seiner eigenen Schneekugelausstellung in der seriösen Architekturgalerie seiner Oma, Aedes –, ihn rührt eher das Getümmel und Getöse dieser Weihnachtsfeier, die Schneekugelei lässt den Jungen dagegen ein bisschen kühl.
„Ja also von mir kam's nicht, sondern meine Eltern sind gereist, und dann haben sie mir Schneekugeln mitgebracht, und so hat sich dann die Sammlung immer erweitert. Und so weit ist es jetzt. Und überall wo sie waren haben sie mir eine mitgebracht.“
Wann die erste Schneekugel hergestellt wurde, ist übrigens nicht bekannt: Alchemisten spielten mit derlei Unterhaltungskram, und aus dem 19. Jahrhundert werden sie öfters erwähnt – meist als weiterentwickelte Briefbeschwerer-Glaskugel, in der sich was bewegt. Die Schneekugel, wie wir sie heute kennen, wurde allerdings um 1900 in Wien neuerfunden.
Damals sollte ein für seine präzisen chirurgischen Instrumente bekannter Werkzeugmacher namens Erwin Perzy helleres Licht in die noch gaslampendüsteren Operationssäle bringen. Er experimentiert mit der so genannten Schusterlampe: Das war ein birnenförmiges, mit Wasser gefülltes Glas, das das Licht wie eine Lupe bündelte, und die Lichtausbeute reichte für die Schuster, die in Leder – aber nicht für Chirurgen, die in Fleisch schnitten.
Also gab Perzy verschiedene Materialien ins Wasser: Glasperlen – die verstärkten zwar das licht, rieselten aber sofort auf den Boden des Glases. Aus der Küche über der Werkstatt holte er Gries – das machte zwar die Lampe überhaupt nicht heller, aber etwas anderes passierte: Der Gries saugte sich voll – und schwebte dann ganz langsam nach unten: Es schneite!
Erste Kugeln als Andenken an eine Pilgerfahrt
Und davon war der Herr Perzy so angetan, dass er für einen Freund, der vor der Wallfahrtskirche in Mariazell Andenken verkaufte, als Geschenk zu Weihnachten eine Glaskugel mit Gries und einer Nachbildung der Kirche bastelte. Und natürlich stellte der Freund die Schneekugel an seinen Stand, und bald wollten alle Pilger so was haben. Und so entstand dann die moderne Schneekugel tatsächlich als Andenken an die Pilgerfahrt. Dann kamen Andenken an Städte hinzu: und nach dem Zweiten Weltkrieg friedliche Motive zur Weihnachtszeit...
Eine herzige Geschichte, die inzwischen leider zum Klischee verstorben ist, obwohl es angeblich eine Renaissance der Schneekugelei gibt – wenn auch wohl eher als Trash-Gewerbe-Bewegung...
„Die Schneekugel verkörpert ein Stück der ganzen Welt, verkleinert auf Nippesformat, was beim Betrachten Erinnerungen an besondere Orte und Begebenheiten weckt“, schreibt die Galeristin. Und tatsächlich: Als Reisemitbringsel erfüllte die Schneekugel früher den gleichen Zweck wie heute das T-Shirt. Aber wäre der Titel „Architektur in der Schneekugel“ eigentlich eine Herausforderung, jetzt wirklich experimentelle, zeitgenössische Architektur, wie sie die Aedes-Galerie in ihren Ausstellungen zeigt, dort rein zu bringen.
Denn eigentlich wäre die Schneekugel genau die richtige Präsentationsform, um sich in ein Ausstellungsstück zu versenken: Man muss ja Zeit haben, um eine Schneekugel wahrzunehmen – bis zu zwei Minuten rieselt der Schnee in den Guten, aus Wien.
Stattdessen bevölkern die Schüttelgläser weiterhin: Drachen oder Schlümpfe, tanzende Schweine, Clowns, Teddybären, Riesenrad und Schwarzwaldklinik, Wichtel und Kristallherzen, Segelboote oder Vampirgebisse – an Schwachsinn scheint es nichts zu geben, was nicht in die Schneekugel reinpasst. Und der Skitourismus bestellte berieselte Snowboards, Ronald Reagan seine Reagan-Ranch und die Obamas eine Miniversion der First Family – mit Hund.
Heutzutage können Schneekugeln Musik abspielen, mit beweglichen Teilen und Innenbeleuchtung prunken, und es gibt auch Schüttelgläser ohne Schütteln, bei denen ein batteriebetriebenes Motörchen den Schnee verwirbelt ohne Ende – aber das geht natürlich völlig am Wesen der Schneekugel vorbei: Schneekugeln wollen geschüttelt werden!
„Hab ich gesehen: Schneekugel-Apps, da schüttelst Du das iPhone… / Habe ich noch nie von gehört, aber: Witzig! / Würdest Du auch haben wollen? / Ja, auf jeden!“
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