"Schneckentempo können wir uns da nicht leisten"

Norbert Röttgen im Gespräch mit Christopher Ricke · 20.10.2011
Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) fordert einen zügigen Um- und Ausbau der Stromnetze. Nur so könne die Energiewende gelingen. Zugleich ermuntert er die Europäer, sich als Herausforderer gegenüber den Bremsern beim Klimaschutz zu sehen und die Vorreiterrolle auszubauen.
Christopher Ricke: Die Zeit läuft, sie läuft möglicherweise davon. Wenn Ende November im südafrikanischen Durban die Weltklimakonferenz beginnt, dann kann man die Erwartungen wahrscheinlich gar nicht tief genug schrauben, damit man nachher noch ein positives Ergebnis finden kann. Das Klimaschutzabkommen von Kyoto läuft aus, mit dem Nachfolgeabkommen sieht es schlecht aus. Nach der Pleite von Kopenhagen droht nun die Niederlage von Durban. Ich sprach mit Bundesumweltminister Norbert Röttgen, der möglicherweise schon qua Amt zu Optimismus verpflichtet ist, und ich frug ihn: Herr Röttgen, gibt es denn noch so etwas wie Zweckoptimismus?

Norbert Röttgen: Der Fortschritt ist eine Schnecke, auch im Klimaschutz. Ich finde, dass man darunter auch leiden darf, weil ja die Probleme größer werden, aber es gibt keine Alternative zu dem Prozess, innerhalb der Vereinten Nationen auf eine globale Herausforderung eine Antwort zu finden. Die Flinte ins Korn zu werfen, ist ja sozusagen keine Lösungsstrategie, und darum muss man schrittweise vorankommen, auch wenn es mühsam ist und Zeit kostet.

Ricke: Die Einzigen, die etwas schneller gehen wollen, so kann man den Eindruck haben, sind die Europäer, die Europäer kämpfen ernsthaft gegen den Klimawandel – warum ist es uns denn nicht gelungen, die anderen mitzunehmen?

Röttgen: Es ist richtig, Europa ist die Region in der Welt, die dieses Thema am konsequentesten angeht. Es ist ja auch eine bestimmte Vorstellung von Wirtschaft und Zukunftsgestaltung dahinter. Manche sagen, ich bin in einer aktuellen Wettbewerbssituation, ich kann mir Investitionen in moderne neue Technologien nicht leisten. Wir sagen, wir müssen diese Kurzfristigkeitsorientierung der Politik überwinden. Die Finanzmärkte lehren es uns doch, dass dieses Kurzfristigkeitsdenken uns an den Rand des Abgrund führen kann, und wir müssen heute so entscheiden, dass wir sowohl wirtschaftliche Entwicklung haben, aber gleichzeitig die Lebensgrundlagen der nächsten Generation aufrechterhalten.

Es ist also ein Konflikt zwischen einer kurzfristigen wirtschaftlichen Orientierung und einer langfristigen. China ist etwas anders, im eigenen Land ist China sehr entschlossen, auf diese Technologien zu setzen, sie fördern sie sehr offensiv, wenden sie an, aber sie wolle sich nicht in internationale Verpflichtungen begeben, weil die Wachstumsfrage für China eine ganz elementare ist, wo sie nicht sozusagen unter dem Primat von internationalem Recht stehen wollen, also eine sehr komplexe Situation.

Ricke: Jetzt ist in dieser Woche ja die deutsche Industrie Ihnen ein wenig in den Rücken gefallen. Wenn die erklärt, für alle Industrieländer sollten vergleichbare verbindliche absolute Minderungsziele gelten, die EU dürfe sich nicht einseitig zu weiteren Zielen verpflichten, dann heißt es doch auch, lasst uns mit dem Klimaschutz in Ruhe, und das von der deutschen Industrie.

Röttgen: Also einerseits, andererseits. Einerseits muss man auch mal eine Lanze für die deutsche Industrie brechen, die auf diesem Gebiet ja selber durch ihre eigenen Innovationen, auch übrigens durch den Kostendruck, durch steigende Rohstoffpreise und anderes, eine sehr moderne, innovationsstarke Industrie ist und da auch viel macht.

Andererseits aber ist die Frage, wenn andere Regionen – ob es die USA, ob es China oder andere Länder sind – bei dem Thema sich nicht engagieren, dann ist die Frage, was bedeutet das für die Europäer. Machen wir dann auch nichts, dann lösen wir doch das Problem nicht. Ich glaube, wir müssen eine ökonomisch-technologische Antwort geben, nämlich wir sollten uns so verstehen, dass wir die Herausforderer, die wirtschaftlichen Herausforderer anderer Länder sind, indem wir auf diese modernen Technologien setzen. Also nicht zurückfallen lassen auf das gleiche niedrige unangemessene Niveau, sondern im Gegenteil, wir sollten China, USA wirtschaftlich, technologisch herausfordern, denn in dieser Modernisierung liegt zugleich die Grundlage für Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft.

Und das sieht man ja auch jetzt, Deutschland ist ja nicht ohne Grund die wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft, auch innerhalb Europas, weil wir auf Innovation und Modernisierung setzen. Das ist meine Option, wir fordern die anderen heraus – diese Sprache wird auch verstanden.

Ricke: Es ist die Erfahrung, dass man sich manchmal nur einer großen Herausforderung stellen kann, und die große Herausforderung dieser Tage ist sicherlich die Weltfinanzkrise. Jetzt ist aber dem Weltklima die Finanzkrise herzlich egal, die Menschen beschäftigt aber wahrscheinlich eher Griechenland, der Euro, die Banken, die Weltfinanzkrise, man beschäftigt sich zurzeit nicht so sehr mit der Klimaerwärmung. Hat sich das Fenster der weltweiten Aufmerksamkeit für das Thema Klima vielleicht schon wieder geschlossen?

Röttgen: Das glaube ich nicht. Wenn man von der Welt spricht, muss man auch von denen sprechen, die schon heute unter Klimawandel leiden, unter Wetterextremen, unter Überflutungen, über Versteppung, Verdürrung mit Flüchtlingskonflikten und Flüchtlingsströmen. Auch bei vielen Menschen auch in Deutschland ist dieses Thema keineswegs weg, sondern es ist sehr präsent im Bewusstsein in Deutschland allemal. Und man kann sich eben nicht die Herausforderungen aussuchen, sondern man muss sie, gerade wenn sie existenziell sind, dann eben auch parallel bestehen und beantworten.

Und im Übrigen sind es eigentlich der Art nach relativ parallele Herausforderungen. Es sind globale Herausforderungen, wo es darum geht, dass man eine weltweite Ordnung für gutes Wirtschaften, für Zukunftsgestaltung braucht – ob in den Finanzmärkten, die auf Kosten der Zukunft der Kinder gelebt haben, oder in der Staatsverschuldung auf Kosten der nächsten Generation oder durch Ökoschulden auf Kosten der nächsten Generation.

Es geht um das große Projekt der Nachhaltigkeit, heute so zu leben, dass wir auch leben können und auch gut leben können, aber dabei nicht die Lebensgrundlagen unserer Kinder aufzehren. Ob Finanzmärkte oder Wirtschaft, Realwirtschaft und Natur, es ist eigentlich die gleiche, strukturell gleiche Herausforderung, auf die es globale Antworten bedarf.

Ricke: Zu der Nachhaltigkeitsdiskussion gehört ja auch die deutsche Energiewende, die ist nicht unbedingt klimabedingt. Raus aus der Atomkraft gilt ja nicht wegen des Klimawandels, sondern wegen Fukushima. Aber auch hier gibt es Probleme, zum Beispiel wenn wir uns jetzt die Debatte über die Stromtrassen ansehen. Ist das auch so ein Bereich, wo es nur im Schneckentempo vorangeht und vorangehen darf?

Röttgen: Nein, Schneckentempo können wir uns da nicht leisten. Allerdings, wir machen diese Energiewende, wir haben uns zu ihr entschlossen, auch um eine langfristig klimaverträgliche Stromproduktion zu erreichen, denn wir wollen ja zwei Säulen errichten: Einmal Energieeffizienz, also gar nicht mehr Rohstoffe verbrauchen, und erneuerbare Energien, in der Endausbaustufe 80 Prozent, das trifft dann auch fossile Kraftwerke, die wir ersetzen wollen. Also es hat auch sehr viel mit Klimaverträglichkeit zu tun.

Aber diese neue Form der Stromversorgung und Stromproduktion braucht Netze, braucht intelligente Netze, und darum kann man nicht gleichzeitig gegen alles sein, gegen Kernkraftwerke, gegen Kohlekraftwerke und auch beim Netzausbau nicht voranmachen. Das ist der am nächsten und dringendste limitierende Faktor für den Ausbau der Erneuerbaren, die Netze und die Netzkapazitäten, Netzstabilität, da müssen wir ran, da können wir uns Schneckentempo nicht leisten, sonst wird die Energiewende im Schneckentempo stattfinden, und das wollen wir nicht.

Ricke: Werden wir die Energiewende vor der Klimawende umgesetzt haben?

Röttgen: Das eine ist ein Teil des anderen. Auch in der Klimapolitik, sagen die Wissenschaftler weltweit, gibt es einen Scheitelpunkt. Wir müssen bis 2020 eine Wende erreicht haben darin, dass wir mit viel weniger CO2-Ausstoß leben und wirtschaften. Wir haben einen begrenzten Deponieraum in der Atmosphäre, und auch in der Energiepolitik ist es so, dass die nächsten zehn Jahre eine ganz wichtige Grundsteinlegung sind. Also beide Prozesse verlaufen ziemlich parallel.

Ricke: Bundesumweltminister Norbert Röttgen, vielen Dank!

Röttgen: Ich bedanke mich sehr!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.