Schmuggelnde Ordensfrauen

Von Nathalie Nad-Abonji |
Die Berliner Mauer hat auch vor kirchlichen Einrichtungen nicht halt gemacht. Der katholische Frauenorden der "Missionsschwestern zum heiligen Namen Mariens" war von einem Tag auf den nächsten von seinen Konventen im Osten abgeschnitten.
Ein Abend in der Familienferienstätte St. Ursula in Graal-Müritz an der Ostseeküste. Rund 15 "Missionsschwestern zum heiligen Namen Mariens" treffen sich in einer großen, weiß getünchten Kapelle. Sie feiern eine Vesper.

1920 braucht Erzbischof Helmut Berning Schwestern für die Diaspora seines Ordens, die in Mecklenburg liegt. An der Ostsee entsteht der erste Konvent. Aus dem ehemaligen Hotel "Müritzer Hof", wird das Kinderheim "St. Ursula". Bis heute arbeiten die "Missionsschwestern vom heiligen Namen Mariens" vorwiegend in Pflegeberufen und in der Seelsorge. Als Hebammen, Krankenschwestern und Erzieherinnen.

Die Schwestern verlassen die Kapelle in Richtung Speisesaal. Zeit für ein gemeinsames Abendbrot.

Zwischen 1920 und 1961 entstehen weitere Niederlassungen in Mecklenburg. Als im selben Jahr die Berliner Mauer gebaut wird, reagiert die Ordensleitung: Jeder Westkonvent soll für einen Ostkonvent zuständig sein. Einmal im Monat schicken die Ordensfrauen aus dem Westen ein Paket auf die andere Seite der Elbe. Schwester Gratia wärmt ihre Finger an einer Tasse Pfefferminztee und erinnert sich:

"In mir ist eine ganz tiefe Dankbarkeit. Die Unterstützung, die von den Kommunitäten waren - die haben immer Ostern, Weihnachten Pakete geschickt. Das war für uns immer eine große Hilfe."

In den Paketen sind Lebensmittel, Kaffee, Seife, Handtücher. Schwester Gratia ist heute 67 Jahre alt. In den 80er-Jahren darf sie erstmals in den Westen zum Generalkapitel reisen - der höchsten Versammlung des Ordens.

"Als ich das erste Mal da war und in ein großes Kaufhaus kam, die Preise sah... das habe ich gedacht: Mensch, das kostet so viel und was schicken die uns! Und unterstützen uns. Und wenn es oft so kleine Dinge waren, was wir nicht so bekamen. Aber das kostet alles Geld und viel Geld auch. Da bin ich erst mal zum überlegen gekommen. Nicht einfach so Wünsche aufschreiben können und hinschicken."

Schwester Katarina hört zu und nickt heftig mit dem Kopf. Die energische Frau sitzt auch am Abendbrottisch. Ab 1964 ist es den Rentnern der DDR erlaubt, für einige Tage im Jahr nach Westdeutschland zu reisen - eine Regelung, die auch für Ordensleute gilt:

""Die haben sich auch immer bemüht uns was mitzubringen, was an das Mutterhaus erinnert. Und wenn es - und da haben wir uns riesig drüber gefreut. Und wenn es ein Brot war vom Mutterhaus geschmiert. Das mag heute lächerlich klingen - das war für uns etwas ganz besonderes."

Schwester Katarina ist 55 Jahre alt. Damit gehört die gebürtige Rostockerin zu den jüngeren ihres Ordens.

"Wir haben immer gerechnet, wann wir 60 sind. Damit wir zum Mutterhaus fahren dürfen. Dann dürfte ich heute immer noch nicht fahren."

Schwester Katarina arbeitet zu jener Zeit als ambulante Krankenschwester - im größten Plattenbauviertel von Schwerin, dem "Großen Dreesch", wo die Missionsschwestern seit 1939 ebenfalls eine Niederlassung haben.

"Ich bin also als ambulante Krankenschwester auf dem Dreesch ja richtig bespitzelt worden. Wenn ich aus der Straßenbahn stieg, stieg der auch aus. Ich hatte ja sowieso nichts zu verlieren wie andere. Ich hatte keinen Arbeitsplatz zu verlieren. Ich konnte zu dem einfach sagen: Wissen sie, das müssen sie ein bisschen geschickter machen, das fällt zu doll auf. Und ich weiß nur hinterher hat Schwester Gemma mir das gesagt, vorher hat sie es mir nicht gesagt: Aber sie hatte oft Angst genug, dass ich nicht nach Hause komme. Und da hatte man noch kein Handy....wenn es denn bei einem Besuch später wurde... sie hat immer gedacht ich werde mal von der Straße weggefangen."

Schwester Katarina lehnt sich zurück und greift zur Glasschale mit dem Nachtisch - Pfirsichspalten aus der Dose.

Ortswechsel: Am selben Abend im Seniorenheim des Ordens in Meppen - unweit des Mutterhauses Kloster Nette. Dort leben drei Frauen, die wesentlich dazu beigetragen haben, die Spaltung der Glaubensgemeinschaft zu verhindern.

Bereits in den 60er Jahren findet die Ordensleitung eine clevere Möglichkeit, die Versorgung der Schwestern im Osten so gut es geht zu sichern. Es wird jeweils in Ost- und in West Berlin ein Konvent gegründet. Die Frauen leiten zwar einen Kindergarten und einen Hort - doch ihr tatsächlicher Auftrag ist ein anderer, verrät Schwester Constantia.

Jeden Samstag fährt sie zu den Glaubensschwestern nach Ost-Berlin. Wenn möglich nutzt sie den Grenzübergang Friedrichstraße.

"Ich habe viel rüber geschmuggelt! Das muss ich also ehrlich sagen. Alles was das Mutterhaus dahin haben wollte an Papieren, an Büchern und Stoffen."

Heute ist Schwester Constantia 84 Jahre alt. Unter ihrer Haube lugen schlohweiße Haare hervor. Das Hörgerät ist kaum zu sehen. Die Mitschwestern geben sich Mühe, besonders laut und deutlich mit ihr zu sprechen. Kleinere Dinge, wie Bücher oder Schokolade schmuggelte Schwester Constantia in einer Rocktasche unter ihrer grauen Tracht.

"Sehen Sie mal, das habe ich heute noch! So einen Beutel. Da habe ich ein Taschentuch drin, ein Messer und einen Rosenkranz und so was alles."

Größere Lieferungen, wie zum Beispiel Stoffballen für die Ordenskleider, transportiert die couragierte Frau mit dem Auto. Sie werden im Kofferraum unter Planen versteckt. Bei solchen Aktionen ist oft Schwester Gosperta mit von der Partie.

"Ich habe gedacht, es sind Papiere weil sie vom Mutterhaus kam und mir sagte, ich solle gleich anfangen zu beten und nicht erst nach dem Zoo. Das heißt, wir sind nicht erst durch die Stadt gefahren und haben die Stadt hinter uns gelassen und haben dann gebetet, sondern sofort als wir einstiegen. Das war anders für mich. Und deswegen wusste ich auch: wir haben etwas Besonderes. Aber ich wusste nicht was und habe auch nicht gefragt."

Schwester Constantia: "Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Ich dachte, wenn die das weiß, dann fährt die erst gar nicht mit vor lauter Angst. Und für mich war das einfach eine Sicherheit."

Neben Schwester Constantia sitzt Schwester Rabbana. Die kleine, quirlige Frau kommt 1974 in die Großstadt. Auch sie fährt regelmäßig mit Schwester Constantia nach "drüben".

"Also diese Schikaniererei! Nicht, Schwester Constantia? Diese Schikaniererei da! Als wenn wir keine Deutschen wären, sondern Verbrecher. Und wir haben denen nichts getan."

Noch heute ist Schwester Rabbana entrüstet. Die drei Frauen haben seither nie mehr über ihre Erlebnisse in Berlin gesprochen. Ihre Kraft, so Schwester Constantia, kam durch die Verantwortung.

"Heute ist das ja reizlos. Das ist etwas ganz anderes, wenn man Angst haben muss, über die Grenze zu kommen und weiß: Die warten da drauf, dass du denen was mitbringst. Und wenn es nur ein Päckchen Kaffee ist. Da hat man einen ganz anderen Zug. Und so durch die Grenze zu kommen heimlich, schnell - das ist auch ein Sport."

1989 fällt die Berliner Mauer. Ein halbes Jahr später brechen die Frauen ihre Zelte in der Neuen Kantstrasse in Westberlin ab. Ihre Mission ist beendet.

Schwester Constantia: "Mir wurde das dann einfach zu viel. Die eigentliche Aufgabe, die uns so aufgebracht hat. Wo man die letzten inneren Kräfte gelassen hatte - die war vorbei."

Kindergarten und Hort werden von neuen Erzieherinnen übernommen. Schwester Constantia wird nach Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern versetzt, Schwester Rabbana und Schwester Gosperta gehen gemeinsam ins Ruhrgebiet.

In Graal-Müritz sorgen die Ereignisse um den November 1989 für große Aufregungen.

Schwester Gratia: "Im Fernsehen habe ich das dann nachher gehört und gesehen. Ich habe ausgerufen - das weiß ich noch - das kann nicht wahr sein! Das kann nicht wahr sein! Weil ich das nicht für möglich gehalten habe, dass die Mauer mal fällt."

Schwester Gratia muss heute noch nach Luft schnappen, wenn sie an diese Tage zurückdenkt.

"Als wenn alles wie Blei abfällt. Ganz komisch war das... innerlich dieser Mauerfall. Eine Art von Befreiung, die ich in Worte nicht ausdrücken kann."

Ihre erste Reise ins Mutterhaus nach Osnabrück ist Schwester Gratia bis heute unvergessen geblieben:

"Als ich das erste Mal den Boden vom Mutterhaus betrat. Ich kann es auch schlecht in Worte fassen, was mich da innerlich bewegte. Das erste Mal Mutterhausboden - westdeutscher Boden. Das war ja für mich sonst von den Gegebenheiten gar nicht möglich gewesen. Und jedes Mal wenn ich dort wieder ankomme ist so dieses erste... das ist Mutterhaus, hier ist Fundament, das ist meine Gemeinschaft in der ich zu Hause sein kann und darf."

Der Mauerfall sei für die "Missionsschwestern zum heiligen Namen Mariens" ein Geschenk Gottes gewesen, meinen Schwester Gratia und Schwester Katarina. Dass der Orden trotz 40 Jahre DDR nicht gespalten wurde, ist nicht zuletzt ein Verdienst der drei mutigen Berliner Schwestern.


Sammelportal 50 Jahre Mauerbau