Schlüsselwerk der Geschichtsschreibung
Er ist einer der großen europäischen Historiker: der Schweizer Jacob Burckhardt. Jetzt ist seine erste Publikation in einer kritischen Edition erschienen, die nichts an Aktualität eingebüßt hat. So erinnern die politischen Konflikte von heute auf unheimliche Weise an die spätrömische Zeit.
Jetzt ist Burckhardts erste Publikation "Die Zeit Constantins des Großen" in einer kritischen Edition erschienen.
Das 19. Jahrhundert war die Epoche, in der Einzelne wie Charles Darwin, die Brüder Grimm, die von Humboldts, Leopold von Ranke und Jacob Burckhardt geradezu gigantische Leistungen vollbracht haben. Jacob Burckhardts erstes Hauptwerk, "Die Zeit Constantins des Großen", erschien vor 130 Jahren und hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt.
Die Konflikte unserer Zeit, das Erstarken fundamentalistischer Strömungen, die verbreitete Radikalisierung durch den Rückgriff auf Religion und die Aufrufe zum Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen erinnern auf geradezu unheimliche Weise an die spätrömische Zeit, als das friedliche Nebeneinander von Juden, Christen und Heiden stetig ausgehöhlt wurde durch orthodoxe Fanatiker.
Wer sich heute - mit Jacob Burckhardt als Wegbegleiter - in die Zeit der Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert einführen lässt, bekommt detaillierte Einblicke in diejenigen Prozesse, die schließlich zur Machtübernahme der hierarchisch strukturierten römisch-christlichen Kirche geführt haben.
Bevor Jacob Burckhardt Konstantins Machtpolitik unter die Lupe nimmt, skizziert er die römische Kaiserpolitik des 2. und frühen 3. Jahrhunderts und rehabilitiert dann Diocletian, den als gnadenlosen Christenverfolger von der abendländischen Geschichtsschreibung gebrandmarkten Vorgängerkaiser von Constantin. Für Burckhardt ist Diocletian derjenige, der durch grundlegende Reformen den bereits sich beschleunigenden Zerfall der römischen Kaisermacht aufhielt und das Problem der Nachfolge auf dem Kaiserthron durch, wie Burckhardt das nannte, "sein System der Adoptionen" löste.
Die kaiserliche Macht wurde durch Diocletian auf jeweils zwei Schultern im westlichen und zwei im östlichen Teil des Imperiums verteilt. Ab jetzt galt das, wie auch immer manipulierbare, Erbrecht. Ohne Diocletian, so Burckhardt, hätte Constantin die Festigung des Reichs nicht leisten können. Durch die christliche Geschichtsschreibung wurde Constantin, der skrupellose Machtpolitiker, dem jedes Mittel recht war bei der Durchsetzung seines Machtanspruchs, zum von Legenden und Wundern verklärten göttlichen Instrument der Etablierung der noch vor Kurzem verfolgten Christenheit.
Das 19. Jahrhundert war die Epoche, in der Einzelne wie Charles Darwin, die Brüder Grimm, die von Humboldts, Leopold von Ranke und Jacob Burckhardt geradezu gigantische Leistungen vollbracht haben. Jacob Burckhardts erstes Hauptwerk, "Die Zeit Constantins des Großen", erschien vor 130 Jahren und hat nichts von seiner Aktualität eingebüßt.
Die Konflikte unserer Zeit, das Erstarken fundamentalistischer Strömungen, die verbreitete Radikalisierung durch den Rückgriff auf Religion und die Aufrufe zum Heiligen Krieg gegen die Ungläubigen erinnern auf geradezu unheimliche Weise an die spätrömische Zeit, als das friedliche Nebeneinander von Juden, Christen und Heiden stetig ausgehöhlt wurde durch orthodoxe Fanatiker.
Wer sich heute - mit Jacob Burckhardt als Wegbegleiter - in die Zeit der Wende vom 3. zum 4. Jahrhundert einführen lässt, bekommt detaillierte Einblicke in diejenigen Prozesse, die schließlich zur Machtübernahme der hierarchisch strukturierten römisch-christlichen Kirche geführt haben.
Bevor Jacob Burckhardt Konstantins Machtpolitik unter die Lupe nimmt, skizziert er die römische Kaiserpolitik des 2. und frühen 3. Jahrhunderts und rehabilitiert dann Diocletian, den als gnadenlosen Christenverfolger von der abendländischen Geschichtsschreibung gebrandmarkten Vorgängerkaiser von Constantin. Für Burckhardt ist Diocletian derjenige, der durch grundlegende Reformen den bereits sich beschleunigenden Zerfall der römischen Kaisermacht aufhielt und das Problem der Nachfolge auf dem Kaiserthron durch, wie Burckhardt das nannte, "sein System der Adoptionen" löste.
Die kaiserliche Macht wurde durch Diocletian auf jeweils zwei Schultern im westlichen und zwei im östlichen Teil des Imperiums verteilt. Ab jetzt galt das, wie auch immer manipulierbare, Erbrecht. Ohne Diocletian, so Burckhardt, hätte Constantin die Festigung des Reichs nicht leisten können. Durch die christliche Geschichtsschreibung wurde Constantin, der skrupellose Machtpolitiker, dem jedes Mittel recht war bei der Durchsetzung seines Machtanspruchs, zum von Legenden und Wundern verklärten göttlichen Instrument der Etablierung der noch vor Kurzem verfolgten Christenheit.
"Ein sich damals radikal verändernder Zeitgeist"
Es nimmt nicht Wunder, dass Burckhardts "Constantin" ihm von Theologenseite den Vorwurf der "Infamie" und "Perfidie" einbrachte. In aller Klarheit und analytischer Genauigkeit zerpflückt Burckhardt die kirchenhistorischen Verfälschungen der Fakten. Der scharfsichtige Constantin beäugte die religiösen Fanatiker jedweder Couleur misstrauisch, spielte sie gegeneinander aus, soweit es ging. Bis zum Schluss hielt er es eher mit den Heiden als den zur Machtübernahme drängenden Christen.
Wie angewidert nicht nur Constantin, sondern auch Burckhardt von der streckenweise gnadenlosen Brutalität rivalisierenden christlicher Faktionen war, schwingt in der lapidaren Mitteilung mit, dass nach den Auseinandersetzungen zweier um ein (lukratives) Bischofsamt kämpfender Gangs in der betreffenden Basilika 137 Leichen gezählt wurden. Durch seine mitreißend erzählte "culturgeschichtliche Gesamtschilderung" der Zeit Constantins gelingt es Burckhardt, überzeugend aufzuzeigen, wie der sich damals radikal verändernde Zeitgeist - und nicht eine göttliche Vorsehung - die Voraussetzungen dafür schuf, dass das Christentum zur exklusiven Staatsreligion des römischen Imperiums werden konnte.
Die auf diesseitigen Genuss und seichte Vergnügungen (an denen auch viele der neuen Christen Gefallen zeigten) fokussierte Gesellschaft, versank langsam in eine tiefe Depression, aus der es keinen Ausweg zu geben schien. Durch die neue dynamische christliche Staatsreligion wurde der römische Reichsgedanke revitalisiert. Es war diese neue Konstellation, die dann durch das Mittelalter hindurch die Idee des universalen römischen Imperiums weiter entwickelte - im Guten wie im Schlechten.
Genau hier setzt der Herausgeber dieses Buchs an: Ihm kommt es darauf an, dass Burckhardts "Constantin" - im Kontext von heute - als primäre Erkenntnisquelle erkannt und genutzt wird. Mit seinen Frankfurter Studenten, auch muslimischen, arbeitet Leppin an der Aufarbeitung der von damals stammenden Altlasten. Da in der Geschichte - wie den Naturwissenschaften - das Prinzip von Ursache und Wirkung gilt, wirkt es (nicht nur) für Muslime heute entkrampfend und erhellend, zu erfahren, dass es Christen waren, die den Begriff vom "Heiligen Krieg" nicht nur geprägt, sondern auch durch die systematische Zerstörung von Heiligtümern Andersgläubiger in die Praxis umgesetzt haben.
Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr
Wie angewidert nicht nur Constantin, sondern auch Burckhardt von der streckenweise gnadenlosen Brutalität rivalisierenden christlicher Faktionen war, schwingt in der lapidaren Mitteilung mit, dass nach den Auseinandersetzungen zweier um ein (lukratives) Bischofsamt kämpfender Gangs in der betreffenden Basilika 137 Leichen gezählt wurden. Durch seine mitreißend erzählte "culturgeschichtliche Gesamtschilderung" der Zeit Constantins gelingt es Burckhardt, überzeugend aufzuzeigen, wie der sich damals radikal verändernde Zeitgeist - und nicht eine göttliche Vorsehung - die Voraussetzungen dafür schuf, dass das Christentum zur exklusiven Staatsreligion des römischen Imperiums werden konnte.
Die auf diesseitigen Genuss und seichte Vergnügungen (an denen auch viele der neuen Christen Gefallen zeigten) fokussierte Gesellschaft, versank langsam in eine tiefe Depression, aus der es keinen Ausweg zu geben schien. Durch die neue dynamische christliche Staatsreligion wurde der römische Reichsgedanke revitalisiert. Es war diese neue Konstellation, die dann durch das Mittelalter hindurch die Idee des universalen römischen Imperiums weiter entwickelte - im Guten wie im Schlechten.
Genau hier setzt der Herausgeber dieses Buchs an: Ihm kommt es darauf an, dass Burckhardts "Constantin" - im Kontext von heute - als primäre Erkenntnisquelle erkannt und genutzt wird. Mit seinen Frankfurter Studenten, auch muslimischen, arbeitet Leppin an der Aufarbeitung der von damals stammenden Altlasten. Da in der Geschichte - wie den Naturwissenschaften - das Prinzip von Ursache und Wirkung gilt, wirkt es (nicht nur) für Muslime heute entkrampfend und erhellend, zu erfahren, dass es Christen waren, die den Begriff vom "Heiligen Krieg" nicht nur geprägt, sondern auch durch die systematische Zerstörung von Heiligtümern Andersgläubiger in die Praxis umgesetzt haben.
Besprochen von Hans-Jörg Modlmayr
Jacob Burckhardt: Die Zeit Constantins des Großen, Band 1 der Kritischen Gesamtausgabe Jacob Burckhardt Werke, Hg.: von Hartmut Leppin, Manuela Keßler, Mikkel Mangold
C.H. Beck, München 2013
641 Seiten, 148,00 Euro
C.H. Beck, München 2013
641 Seiten, 148,00 Euro