Schlossbesuch ohne Eintritt

Von Carolin Pirich |
Schloss Neuschwanstein kann nicht nur real, sondern auch per Mausklick besucht werden: Ein Doppel-DVD zeigt in einer dreidimensionalen Animation die Burgen und Schlösser Ludwigs II. und gibt dem Nutzer Informationen über die Geschichte der Bauwerke.
Auf dem Bildschirm breiten sich die Gebirgskette im Königswinkel bei Füssen aus. Hellblau Himmel und Seen, grau und kantig die Felsen. Sie wirken beinahe so realistisch wie auf einem Foto, nur die Kontraste sind schärfer und die Farben sogar noch am Horizont klar und kräftig.

Zwischen den dunkelgrünen Tannen ragen spitze Türme auf. Man fliegt sie an wie in einem Computerspiel. Mit den Pfeilen auf der Tastatur geht es vorwärts, nach oben oder unten, aus der Vogelperspektive immer näher zum Ziel: Schloss Neuschwanstein zum Beispiel. Marie Licht hat den Landschaftsteil der DVDs mit gestaltet und schwärmt:

"Sie haben die Möglichkeit, Autos zu erkennen, kleinste Informationen im Bild zu erkennen, was eigentlich wahnsinnig ist, wenn man bedenkt, dass diese Bilder aus dem Flugzeug aufgenommen wurden, wie gut die Berggipfel getroffen sind, wie realistisch alles aussieht."

Die Grundlage der Bilder liefert die Technik des DLR, des Deutschen Instituts für Luft- und Raumfahrt. Ein Tag lang wurde bei wolkenlosem Himmel das bayerische Alpenvorland abgeflogen und mit einer hochauflösenden Stereo Kamera abfotografiert. Das DLR hat die Kamera entwickelt, um den Mars zu kartieren.

"Bevor die Kamera auf den Mars geschickt wurde, wurden Tests auf der Erde durchgeführt, im bayerischen Alpenraum, weil die DLR im München ihren Sitz hat. Unser Geschäftsführer hat die Bilder gesehen und gesagt: Da muss etwas mit passieren. Das ist eine Qualität, an die Google Earth nie herankommt, wenn wir immer so schön mit denen verglichen werden."

Per Mausklick können die Namen der Bergketten eingeblendet werden: Das Wettersteingebirge östlich von Schloss Neuschwanstein zum Beispiel, im Süden die Stubaier und Ötztaler Alpen. Ein weiterer Klick und man sieht Wanderwege mit Aussichtspunkten. Höhenprofile werden angezeigt, Parkplätze gefunden und Berggasthäuser mitsamt Telefonnummern und Öffnungszeiten abgerufen. Die Informationen können dann entweder ausgedruckt mitgenommen oder auf ein kleines GPS-Gerät überspielt werden.

Die blühende Fantasie des bayerischen Königs ließ Gebäude wie aus einem Märchenbuch entstehen. Mit Schloss Neuschwanstein zum Beispiel machte der technikbegeisterte König seine Traumwelten zur Realität. Andere sind nur Pläne geblieben, wie der Chinesische Sommerpalast oder das mittelalterliche Schloss Falkenstein, das König Ludwig in einer übermäßig verspielten gotischen Version wieder auferstehen lassen wollte.

Mehr Informationen werden auf Wunsch auf kleinen Karten eingeblendet. Auf einen Sprecher hat man hier verzichtet.

"Die vorgesehene Ringmauer, die mit mehreren Türmchen versehen war, sollte sowohl die Burganlage als auch den ganzen Felsrücken einfassen."

Auf der zweiten DVD betritt man nicht nur bestimmte Räume der realisierten Gebäude virtuell, sondern erkundet sogar Gärten der nicht existenten Schlösser. Bei den nicht realisierten Bauten wie dem chinesischen Sommerpalast halfen Kunsthistoriker, Historiker und Pläne. Sie gaben Hinweise darauf, wie sich der König die Gebäude vorstellte. Hier kann man das Efeulabyrinth des chinesischen Palastes besuchen, in Abendrotstimmung. Bevor der König die Pläne jedoch umsetzen lassen konnte, wurde er als "seelengestört" entmündigt.

"Der König, der auch am chinesischen Hofzeremoniell interessiert war, hätte sich hier wenigstens die Erinnerung an eine bestimmte Form unumschränkten Herrschertums verschaffen können."

Für die fotorealistischen 3D-Simulationen der gebauten Schlösser hat ein Laserscanner die Räume abgemessen und eine sogenannte Punktwolke geliefert, ähnlich den Knotenpunkten eines Gitternetzes. Dalibor Karacic hat an den virtuellen Schlössern mit gebaut.

"Wenn man diese Punkte dann hat, dann werden die Algorithmen drübergesetzt, die diese Punkte zusammenfügen. Sie kennen doch früher im Malbuch diese Punkte, die man hat verbinden müssen. Und das machen die Algorithmen. Dann hat man ein vollständiges Modell, wo dann immer noch manuell nach gearbeitet werden muss."

Bis ins kleinste Detail wurden zum Beispiel die Wandmalereien mit Themen aus Wagner-Opern im virtuellen Schloss Neuschwanstein umgesetzt. Im Thronsaal schwebt der virtuelle Besucher durch den Kronleuchter hindurch hoch auf die Galerie, die ein realer Besucher nicht betreten darf. Er kann aus dem Fenster auf die Felsen blicken oder hinunter in den Saal oder er steuert kleine blaue "Is" an, hinter denen sich mehr Informationen verbergen.

"Der Thronsaal in Form einer byzantinischen Kirche scheint mit kostbarsten Steinen und Mosaiken ausgestattet zu sein. Die Säulen sind jedoch aus gefärbtem Stuck und die Darstellungen nur gemalt."

In Zukunft soll ein virtuelles Bayern entstehen, eine Parallelwelt, die dem echten Bayern täuschend ähnlich ist. Man will das gesamte kulturelle Erbe Bayerns mithilfe der Weltraumtechnik virtuell konservieren und Besuchern auf einer Internetplattform zugänglich machen.