Lindaunisbrücke in Schleswig-Holstein

Das marode Nadelöhr

09:42 Minuten
Die Lindaunisbrücke, eine Klappbrücke über der Schlei in Schleswig-Holstein, hebt sich.
Die Lindaunisbrücke an der Schlei wird mehrere Jahre lang immer wieder gesperrt sein. © imago images/Shotshop
Von Johannes Kulms · 30.11.2021
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Die Lindaunisbrücke über die Schlei verkürzt den Menschen im Norden Schleswig-Holsteins lange Wege. Ohne sie geht so gut wie nichts. Schon lange ist sie marode. Jetzt wird endlich neu gebaut, aber die Brücke muss dafür immer wieder gesperrt werden.
Wer die Lindaunisbrücke überquert, kann schnell ein Gefühl der Enge empfinden. Denn das 120 Meter lange Bauwerk über die Schlei ist nur einspurig. Seit bald 100 Jahren teilen sich Autos, Busse, LKW und Trecker die Querung über den Ostseefjord, zusammen mit Fußgängern, Radfahrern und sogar Zügen.
Doch seit dem 1. November geht es nur noch zu Fuß oder mit dem Rad über die Schlei. Hilke Möller transportiert gerade mit einer Sackkarre eine Ladung gestapelter Blumenkisten auf das südliche Ufer.
Die Floristin bringt die Kisten zum Obsthof Stubbe. Sie kommt aus Rabenkirchen-Faulück. Das ist eigentlich nur ein paar Minuten entfernt. Mit dem Auto würde sie derzeit dennoch eine Dreiviertelstunde brauchen. Deshalb lässt sie das Auto an der Brücke stehen und schiebt lieber.

Eine Stunde Umweg

Hilke Möller weiß, dass es die vielen Pendlerinnen und Pendler in der Region deutlich härter trifft. Wer zur Arbeit in Eckernförde oder zur Schule in Süderbrarup will, muss nun einen Umweg nehmen, über die nächste Brücke in Kappeln oder die Fähre bei Missunde.
Bis zur Wiederfreigabe der Brücke im Mai sitzen viele nun jeden Tag eine Stunde länger im Auto oder im Schienenersatzverkehr und fahren Dutzende Kilometer Umweg.
Die Lindaunisbrücke liegt auf halber Strecke zwischen Eckernförde und Süderbrarup. 1927 wurde sie eingeweiht. Eines der Brückenelemente ist klappbar, sodass auch die Schiffe durchkommen. Doch schon lange ist das Bauwerk überaltert, immer wieder kommt es zu Störungen.

Der Neubau wurde schon 1984 beantragt

 „Der erste Antrag auf Neubau einer Brücke ist im Jahre 1984 gestellt worden. Wir haben jetzt das Jahr 2021. Jetzt wird es Zeit, dass wir darangehen", sagt Thomas Detlefsen. Er ist seit 13 Jahren Bürgermeister der Gemeinde Boren, die am nördlichen Schleiufer direkt an die Stahlbrücke grenzt.
„Vor zehn Jahren durfte ich dann mit dem damaligen Wirtschaftsminister Austermann hier direkt an der Brücke das damals auch ausbaldowern, dass wir hier zu einem Neubau kommen. Ich bin sehr froh, dass es jetzt realisiert wird!“, sag der CDU-Mann. Er steht nun in der Mitte der Schleibrücke. Vor seinen Augen schaukeln mehrere Boote und Arbeitspontons. Sie bereiten den Bau einer neuen Lindaunisbrücke vor, die zwölf Meter neben der alten errichtet wird.

Plötzlich bewegte sich die Brücke

Die neue Brücke wird zwei Spuren für die Autos haben, sowie eine geschützte Spur für Radler und Fußgänger. Auch die Züge können die Querung weiter nutzen. Eigentlich sollte 2023 alles fertig sein. Doch dann passierte im vergangenen Sommer etwas.
Durch die Vorbereitungen für den Neubau hatte sich die alte Brücke um wenige Millimeter bewegt. Zudem wurde festgestellt, dass sich der Klappmechanismus nicht mehr zuverlässig nutzen ließ. „Da war im Juni erst einmal Schicht im Schacht für die Region", berichtet Detlefsen. "Weil wir uns das nicht haben vorstellen können, dass solche Dinge, die da aufgetreten sind, auch einmal irgendwo zu Papier gestanden haben.“

Provisorium bis 2025

Eigentümer der alten Lindaunisbrücke ist die Deutsche Bahn. Durch die Ereignisse des vergangenen Sommers ist nun klar: Es wäre zu gefährlich, in den nächsten Jahren die alte Brücke weiter zu nutzen und parallel Bohrungen und Rammarbeiten für das neue Bauwerk voranzutreiben.
Nach Rücksprache mit allen Beteiligten gibt es nun eine neue Planung: Der Neubau soll erst zwei Jahre später eröffnen – nämlich Ende 2025. Bis dahin wird drei Jahre hintereinander die Brücke jeweils für ein halbes Jahr für PKW und Züge gesperrt.
Ein Stresstest für die gesamte Region sei das, sagt Thomas Detlefsen, der jeden Tag Anrufe von verzweifelten Pendlern bekommt. „Aber kein Mensch konnte mir bis heute eine wirkliche Alternative dazu erklären. Dieses alte Brückenteil steht auf einer 18 Meter starken Muschelkalkschicht, die instabil ist. Alles, was an dieser Brücke nachbarschaftlich gemacht ist, kann jederzeit dazu führen, dass sie sich verwindet oder zur Seite kippt. Das wollen wir natürlich nicht. Somit müssen wir uns im Moment in unser Schicksal fügen.“

Das Geschäft bricht ein

In sein Schicksal fügen muss sich irgendwie auch Johann Peter Kruse. Er betreibt am südlichen Schleiufer einen Obsthof. Im Sommer kommen Einheimische, Touristinnen und Touristen gerne hierher, um Erdbeeren und Himbeeren zu pflücken oder den Hofladen und das Café zu besuchen.
Kruses Betrieb liegt nur wenige Schritte vom Brückenende entfernt. 2015 habe die Deutsche Bahn bei ihm zum ersten Mal das Bauvorhaben präsentiert. "Und da hieß es auf Nachfrage der Anwohner, wie oft die Brücke gesperrt wird: maximal drei Tage, wenn die neue Trasse an die alte angebunden wird.“
Damals sei von einer Fertigstellung bis 2019 die Rede gewesen, sagt Kruse. „Jetzt heißt es 2025. Da glauben wir natürlich auch nicht dran. Das ist schade eigentlich, dass man sich auf nichts verlassen kann.“ 
Knappe 30 Prozent Umsatzeinbruch verzeichne sein Betrieb seit der Brückensperrung. Noch sei dies nicht existenzbedrohend. Doch irgendwann sei das eigentlich für Missernten angelegte finanzielle Polster aufgebraucht, sagt Kruse und schaut auf seinen leeren Suppenteller.

Der Baugrund ist ein Problem

Wie bei vielen Bauprojekten sei auch hier an der Schlei der Baugrund das Hauptproblem, sagt Henry Benedict. „Wir wussten, dass wir sehr weichen Grund und Boden haben. Was wir nicht wussten, ist, dass der Grund auf der Süd- und auf der Nordseite so unterschiedlich reagiert.“
Benedict ist bei der Deutschen Bahn zuständig für die Infrastrukturprojekte in Schleswig-Holstein. Er ist natürlich nicht glücklich damit, dass die Planung für die Lindaunisbrücke neu organisiert werden musste. Doch das jetzige Ergebnis sei ein Kompromiss nach Abstimmung mit allen Beteiligten in der Region.
Einerseits verlängere sich jetzt zwar die Bauzeit. Andererseits würden Zeitfenster geschaffen für Arbeiten an dem Projekt, die nicht die Gründung der Brücke gefährdeten, erklärt Benedict. Der Vorteil dieses Verfahrens sei, dass alle Baugenehmigungen weiterhin gültig seien.
Henry Benedict ist zuversichtlich, dass der neue Zeitplan zur Fertigstellung der neuen Schleibrücke nun aufgehen wird: „Eingeplant haben wir eigentlich großteilig die Risiken, die auftreten können, sodass ich davon ausgehe, 2025 ist verlässlich." Auch die inzwischen auf 84 Millionen Euro gestiegenen Kosten für den Neubau hält die Bahn für vertretbar. Schließlich werde die neue Brücke deutlich breiter als die alte.

Marode Infrastruktur

Der Fehler sei schon viel früher passiert, sagt Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Bernd Buchholz. „Diese Brücke hätte viel früher saniert werden müssen", kritisiert er. "Die Tatsache, dass, wenn man jetzt eine Gründung für eine neue Brücke macht, die alte Brücke darunter erheblich leidet und dann auch soweit abkippt wie in diesem Sommer und soweit weggedrückt wird, dass die Gleise nicht mehr so zueinanderstehen, dass man einen Zug darüberfahren lassen kann: So etwas passiert, wenn die Infrastruktur so marode ist, dass es eine Katastrophe wird.“
Natürlich hätte man die alte Brücke auch sprengen können. Aber dann wäre eben fünf Jahre lang an der Stelle gar keine Querung über die Schlei möglich gewesen, sagt der FDP-Mann. Doch am Ende müsse eine Lösung für alle Interessen gefunden werden.

Die nächste Sperrung kommt

Im Mai wird die halbjährige Sperrung aufgehoben, auch um den gerade im Sommer boomenden Tourismus an der Schlei nicht zu gefährden. Im nächsten Herbst würde dann die nächste halbjährliche Sperrung kommen.
Doch immerhin sollen dann an beiden Enden der Brücke provisorische Bahnsteige stehen und Züge bis an die Schlei ranfahren können. Die 8000 Pendlerinnen und Pendler, die jeden Tag die Verbindung von Flensburg nach Kiel nutzen, müssten dann lediglich 150 Meter zu Fuß über die Brücke laufen und in den Zug am anderen Ufer steigen.
Eine interessante Idee, findet Andreas Peters. Doch wegen der langen Wege zum Bahnhof ist für ihn das Pendeln mit dem Zug zu seiner Arbeit auf dem Marinestützpunkt in Eckernförde zeitlich nur schwer machbar.
Statt 32 Kilometer hat Peters derzeit einen 49 Kilometer langen Weg zur Arbeit. Die Sperrung der Lindaunisbrücke schlauche, sagt Peters. „Ich vermute, es sind Tausende von Pendlern, die da jeden Tag drüberfahren und die jetzt viel Zeit, Geld und Kraftstoff verschwenden, um ihren Weg zur Arbeit und zurück zu schaffen.“

Bundeswehr als Helfer? Juristisch bedenklich

Der Marine-Soldat hätte es besser gefunden, die Lindaunisbrücke in einem Rutsch neu zu bauen und dafür die bestehende Brücke für eine kürzere Zeit komplett zu sperren. Natürlich hat auch er die Diskussion über manch unkonventionelle Idee gehört. Zum Beispiel: eine provisorische Pionierbrücke zu errichten, die die Bundeswehr auch für Katastrophenfälle wie jetzt im Ahrtal bereithält.
Neben dem technischen Aspekt gebe es da wohl aber noch den juristischen, sagt Peters. „Das wäre dann Einsatz der Bundeswehr im Inneren, das muss gemäß Grundgesetz abgesetzt sein, und dafür brauchen wir einen Katastrophenfall oder Ähnliches.“ 
Bei allem Pendlerleiden ist Peters klar: Von einer Katastrophe sollte man bei der Lindaunisbrücke wohl besser noch nicht sprechen. Viel Geduld ist in den nächsten Jahren aber weiterhin gefragt. Und gutes Schuhwerk.

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