Schlechte Kunst für eine gute Sache?
Mit einer Kultur, die zur Ware geworden ist, haben weder künstlerische Arbeit noch moralische Wertung etwas zu tun. Das sagte nicht Marx, das erkannte Kurt Tucholsky. Und der höchst realistische Spötter warnte Mitte der Zwanziger seine Schriftstellerkollegen: Wer beim Schreiben ans Honorar denke, sei ein Schmierer. Wer aber beim Vertrieb nicht an sein Honorar denke, ein Dummkopf.
Jetzt tritt ver.di an, nicht mehr nur als Dienstleistungsorganisation ihre künstlerisch tätigen Mitglieder vor Dummheiten bei Vertrieb und Vermarktung zu bewahren, als Gewerkschaft will sie auch ein "kulturpolitisches Mandat" wahrnehmen. Und das hat für den ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske fast schon strategische Bedeutung:
Frank Bsirske: "Weil zu den stabilsten Motiven der Arbeiterbewegung immer der Wunsch gehört hat, gegen die Verletzung des Gerechtigkeitsgefühls anzugehen. Kurz: Die moralische Dimension muss in den Blick genommen werden und der moralischen Dimension gewerkschaftlichen Handelns muss eine zentrale Rolle gegeben werden."
Damit folgt der Kollege Bsirske einer allumfassend, um nicht zu sagen: furchtbar breit angelegten Kultur-Definition von Oskar Negt. Für den hannoverschen Soziologen bezeichnet Kultur ganz einfach "die Art, wie die Menschen leben". Und weil sich die Gewerkschaften ganz allgemein – nicht nur die Interessenvertretung der Künstler – über Arbeitsbedingungen hinaus auch um "Lebenszusammenhänge" kümmern sollen, könnte ein neuer Kulturkampf bevorstehen. So ähnlich wie damals, Anfang der Achtziger, als die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen dem Serien-Autor Heinz G. Konsalik einen "Kriegspreis" verlieh – dessen zugegeben eher durchschnittlichen Landser-Romane also moralisch, keineswegs ästhetisch wertete. So etwas verschreckt selbst wohlmeinende Geister wie den Schriftsteller Christoph Hein:
Christoph Hein: "Die Gewerkschaft hat sich eigentlich um die Person, also in dem Falle um die Künstler, Arbeiter oder Angestellte, zu kümmern, nicht um das Produkt: Die Zusammensetzung der Mischung für Stahl oder Brot ist nicht Sache der Gewerkschaft, sie hat sich für die Rechte der Bäcker und Eisengießer einzusetzen. Sie hat sich für die Künstler einzusetzen, hat aber mit der Kunst nichts zu tun, das muss sie nicht interessieren!"
Mehr noch: In seinem Plädoyer für die absolute Autonomie der Künste wies der Soziologe Moshe Zuckermann überzeugend nach, dass sich insbesondere eine Interessenvertretung der "Kulturschaffenden" mit den hehren Ansprüchen an eine bessere Moral oder gar der Forderung nach einer sozialen Utopie in unauflösliche Widersprüche verstrickt:
Moshe Zuckermann: "Wenn eine Gewerkschaft ihre Funktion erfüllen will, wie geht sie dann mit der Tatsache um, dass auch diejenigen, die der Kunstautonomie entgegenstehen, nämlich die Beschäftigten der Kulturindustrie, eben auch einen Anspruch auf gewerkschaftliche Vertretung haben."
Schließlich vertritt ver.di vor allem jene, die nach Zuckermanns Auffassung die Kunst verraten, nicht willentlich, sondern weil sie sich mit einem Job in der "Kulturindustrie" durchschlagen müssen. Und glücklicherweise ist die Gewerkschaft ja auch nachsichtig, stellt keine "schwarze Liste" jener Mitglieder auf, die als Filmvorführer, Musicaltänzer oder Werbefotografen tagtäglich mit der Verbreitung von Schund und Kitsch gegen das kulturelle Mandat verstoßen. In Schweden etwa, dem musterhaften Sozialstaat, hat ja auch niemand den Schlagerexport boykottiert, als die Plattenausfuhr der Gruppe "Abba" die Wirtschaftskraft von Volvo um ein Mehrfaches übertraf. Aber eben diese Gewerkschaftsorientierung am ökonomischen Wohlergehen ihrer Mitglieder kann bei Künstlern zu schädlichen Nebenwirkungen führen, warnt Arnfried Astel, der schlicht als "Dichter" an der ver.di-Konferenz teilnahm:
Arnfried Astel: "Scheinbar wird die ökonomische Armut bekämpft, und die will ich auch nicht kleinreden, nur – es ist das schlimmste Schicksal eines Schriftstellers, eines Dichters, eines Künstlers, nichts zu sagen zu haben und trotzdem die Miete bezahlen zu müssen."
Dieses Bonmot, das durchaus mehr Nachdenken verdient hätte, signalisierte immerhin, dass die Zeit jenes plakativen Agitprop vorbei ist, mit dem Klaus Staeck vor Jahrzehnten die Gründung des VS, des gewerkschaftlichen Verbands der Schriftsteller, einläutete. Für Frank Werneke, den stellvertretenden ver.di-Vorsitzenden, bleiben die alten Parolen allerdings aktuell:
Frank Werneke: "Durchsetzung von sozialen Interessen der Künstler ist aus meiner Sicht Bestandteil der Kulturpolitik und nicht ein Nebenfeld. Denn dass die These, dass Armut Großes gebiert, eine falsche Verlegerweisheit ist, hat Klaus Staeck schon anlässlich der Gründung des VS vor vielen Jahren auf den Punkt gebracht, und diese Aussage bleibt weiterhin richtig."
Johanno Strasser, Generalsekretär des PEN, setzt dagegen weniger auf materielle Aspekte und hofft auf grundlegende Umwälzungen in der Arbeits-Kultur:
Johanno Strasser: "Wenn es so ist, dass alle abschließend definierbaren Tätigkeiten im Marksektor wegrationalisiert werden, und dann die nicht abschließend definierbaren Tätigkeiten übrig bleiben - erfinden, kommunizieren, pflegen, trösten, mit Menschen umgehen und ähnliche Dinge mehr – dann kann man daraus auch eine Utopie einer künftigen Arbeitsgesellschaft entwickeln."
Aber wo wird es dabei hingehen mit den "Künstlern und der Gewerkschaft" – denn so lautetet ja das Thema. Trost in der Literatur, Augenpflege durch Maler, Kommunizieren als Sache der Musik – das wäre eine Vereinnahmung, die der heftig attackierten Instrumentalisierung durch die Kulturindustrie nicht nachsteht. Von Autonomie der Kunst kann dann keine Rede mehr sein, ganz gleich ob für die einen der Markt bestimmt oder für die anderen die Moral. Und so musste am Ende der Vorsitzende Frank Bsirske ein irritierendes Machtwort sprechen:
Frank Bsirske: "Natürlich wünschen wir uns Kunst als eingreifende, eigensinnige Kritik des Bestehenden. Aber ich glaube, dass es auch ein Recht auf Selbstzwecke gibt in der Kunst. Und Gewerkschaft auch verstehen muss, dass es dieses Recht auf Autonomie jenseits von den eigenen Verständnissen und Zugängen gibt und dass es erhalten bleiben muss."
Frank Bsirske: "Weil zu den stabilsten Motiven der Arbeiterbewegung immer der Wunsch gehört hat, gegen die Verletzung des Gerechtigkeitsgefühls anzugehen. Kurz: Die moralische Dimension muss in den Blick genommen werden und der moralischen Dimension gewerkschaftlichen Handelns muss eine zentrale Rolle gegeben werden."
Damit folgt der Kollege Bsirske einer allumfassend, um nicht zu sagen: furchtbar breit angelegten Kultur-Definition von Oskar Negt. Für den hannoverschen Soziologen bezeichnet Kultur ganz einfach "die Art, wie die Menschen leben". Und weil sich die Gewerkschaften ganz allgemein – nicht nur die Interessenvertretung der Künstler – über Arbeitsbedingungen hinaus auch um "Lebenszusammenhänge" kümmern sollen, könnte ein neuer Kulturkampf bevorstehen. So ähnlich wie damals, Anfang der Achtziger, als die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen dem Serien-Autor Heinz G. Konsalik einen "Kriegspreis" verlieh – dessen zugegeben eher durchschnittlichen Landser-Romane also moralisch, keineswegs ästhetisch wertete. So etwas verschreckt selbst wohlmeinende Geister wie den Schriftsteller Christoph Hein:
Christoph Hein: "Die Gewerkschaft hat sich eigentlich um die Person, also in dem Falle um die Künstler, Arbeiter oder Angestellte, zu kümmern, nicht um das Produkt: Die Zusammensetzung der Mischung für Stahl oder Brot ist nicht Sache der Gewerkschaft, sie hat sich für die Rechte der Bäcker und Eisengießer einzusetzen. Sie hat sich für die Künstler einzusetzen, hat aber mit der Kunst nichts zu tun, das muss sie nicht interessieren!"
Mehr noch: In seinem Plädoyer für die absolute Autonomie der Künste wies der Soziologe Moshe Zuckermann überzeugend nach, dass sich insbesondere eine Interessenvertretung der "Kulturschaffenden" mit den hehren Ansprüchen an eine bessere Moral oder gar der Forderung nach einer sozialen Utopie in unauflösliche Widersprüche verstrickt:
Moshe Zuckermann: "Wenn eine Gewerkschaft ihre Funktion erfüllen will, wie geht sie dann mit der Tatsache um, dass auch diejenigen, die der Kunstautonomie entgegenstehen, nämlich die Beschäftigten der Kulturindustrie, eben auch einen Anspruch auf gewerkschaftliche Vertretung haben."
Schließlich vertritt ver.di vor allem jene, die nach Zuckermanns Auffassung die Kunst verraten, nicht willentlich, sondern weil sie sich mit einem Job in der "Kulturindustrie" durchschlagen müssen. Und glücklicherweise ist die Gewerkschaft ja auch nachsichtig, stellt keine "schwarze Liste" jener Mitglieder auf, die als Filmvorführer, Musicaltänzer oder Werbefotografen tagtäglich mit der Verbreitung von Schund und Kitsch gegen das kulturelle Mandat verstoßen. In Schweden etwa, dem musterhaften Sozialstaat, hat ja auch niemand den Schlagerexport boykottiert, als die Plattenausfuhr der Gruppe "Abba" die Wirtschaftskraft von Volvo um ein Mehrfaches übertraf. Aber eben diese Gewerkschaftsorientierung am ökonomischen Wohlergehen ihrer Mitglieder kann bei Künstlern zu schädlichen Nebenwirkungen führen, warnt Arnfried Astel, der schlicht als "Dichter" an der ver.di-Konferenz teilnahm:
Arnfried Astel: "Scheinbar wird die ökonomische Armut bekämpft, und die will ich auch nicht kleinreden, nur – es ist das schlimmste Schicksal eines Schriftstellers, eines Dichters, eines Künstlers, nichts zu sagen zu haben und trotzdem die Miete bezahlen zu müssen."
Dieses Bonmot, das durchaus mehr Nachdenken verdient hätte, signalisierte immerhin, dass die Zeit jenes plakativen Agitprop vorbei ist, mit dem Klaus Staeck vor Jahrzehnten die Gründung des VS, des gewerkschaftlichen Verbands der Schriftsteller, einläutete. Für Frank Werneke, den stellvertretenden ver.di-Vorsitzenden, bleiben die alten Parolen allerdings aktuell:
Frank Werneke: "Durchsetzung von sozialen Interessen der Künstler ist aus meiner Sicht Bestandteil der Kulturpolitik und nicht ein Nebenfeld. Denn dass die These, dass Armut Großes gebiert, eine falsche Verlegerweisheit ist, hat Klaus Staeck schon anlässlich der Gründung des VS vor vielen Jahren auf den Punkt gebracht, und diese Aussage bleibt weiterhin richtig."
Johanno Strasser, Generalsekretär des PEN, setzt dagegen weniger auf materielle Aspekte und hofft auf grundlegende Umwälzungen in der Arbeits-Kultur:
Johanno Strasser: "Wenn es so ist, dass alle abschließend definierbaren Tätigkeiten im Marksektor wegrationalisiert werden, und dann die nicht abschließend definierbaren Tätigkeiten übrig bleiben - erfinden, kommunizieren, pflegen, trösten, mit Menschen umgehen und ähnliche Dinge mehr – dann kann man daraus auch eine Utopie einer künftigen Arbeitsgesellschaft entwickeln."
Aber wo wird es dabei hingehen mit den "Künstlern und der Gewerkschaft" – denn so lautetet ja das Thema. Trost in der Literatur, Augenpflege durch Maler, Kommunizieren als Sache der Musik – das wäre eine Vereinnahmung, die der heftig attackierten Instrumentalisierung durch die Kulturindustrie nicht nachsteht. Von Autonomie der Kunst kann dann keine Rede mehr sein, ganz gleich ob für die einen der Markt bestimmt oder für die anderen die Moral. Und so musste am Ende der Vorsitzende Frank Bsirske ein irritierendes Machtwort sprechen:
Frank Bsirske: "Natürlich wünschen wir uns Kunst als eingreifende, eigensinnige Kritik des Bestehenden. Aber ich glaube, dass es auch ein Recht auf Selbstzwecke gibt in der Kunst. Und Gewerkschaft auch verstehen muss, dass es dieses Recht auf Autonomie jenseits von den eigenen Verständnissen und Zugängen gibt und dass es erhalten bleiben muss."