Schlecht ausgebildet, schlecht bezahlt
Die Geschichte der jüdischen Volksschule in Deutschland ist bislang kaum erforscht. Eine neue Studie soll diese Lücke nun schließen.
Lesestunde in der vierten Klasse der Düsseldorfer Yizak-Rabin-Grundschule. Die 16 Mädchen und Jungen haben ideale Lernbedingungen. Sie werden optimal gefördert und gehören bei Wissenstests zu den Besten in Nordrhein-Westfalen.
Kein Vergleich zur Unterrichtssituation von 1824, als in den Preußischen Rheinprovinzen die Unterrichtspflicht für alle Kinder, gleich welcher Konfession, eingeführt wurde. Die Ausstattung der Volks- oder Elementarschule, wie sie damals hieß, war von erbärmlicher Ärmlichkeit, die von Beamten gleichwohl penibel verwaltet wurde, erklärt Prof. Gisela Miller-Kipp. So war für jeden Schüler im Klassenzimmer ein Platz von einem halben Quadratmeter vorgesehen.
"Und es musste da sein Haken für die Kleider und Mützen. Es mussten Bänke da sein. Es mussten Wandbilder da sein. Die wurden dann vorgeschrieben, unter anderem das Wandbild von Palästina. Aber auch eines von Deutschland. Es musste ein Kaiserbild da sein. Es musste eine Fibel da sein, ein Rechenbuch. Möglichst Anschauungsmaterial noch für naturkundlichen Unterricht, Halterungen für die Wandkarte."
Diese Ausstattung war der Idealzustand, - den jüdische Volksschulen in den Anfangsjahren kaum erreichten. Ein weiteres Problem: Bislang galt die religiöse Bildung als hohes Gut; die Vermittlung des ”niederen” Elementar-Wissens, wie Schreiben, Lesen und Rechnen indes wurde traditionell von äußerst schlecht bezahlten und nicht ausgebildeten ”Kinderlehrern” vermittelt. Nun aber mussten die jüdischen Gemeinden für Ausbildung und Anstellung von qualifizierten und vom Staat anerkannten jüdischen Pädagogen sorgen.
Das brachte einen tiefgreifenden Einschnitt ins jüdische Bildungsverständnis – und war ein finanzieller Kraftakt, den viele Familien, gerade auch in kleinen Gemeinden, oft nicht mittragen konnten.
"Dann fragen sich die jüdischen Gemeinden: Sind wir damit gut bedient, wollen wir die Schulen? Sind sie nicht eigentlich zu teuer? Das waren sie. Und dann schicken sie ihre Kinder wieder auf christliche Schulen."
Die jüdische Kinder auch ohne Weiteres aufnahmen – unter Achtung jüdischer Gebote und Feiertage. Um den Religionsunterricht kümmerten sich weiterhin die jüdischen Gemeinden.
So besuchten um 1840 rund 75 Prozent der jüdischen Kinder im Rheinland meist evangelische, aber auch katholische Schulen. In den nächsten Jahren sank ihr Anteil auf rund 50 Prozent. Das heißt, nur die Hälfte der jüdischen Jungen und Mädchen ging (zumindest zeitweise) auf eine jüdische Volksschule, erklärt Gisela Miller-Kipp.
"Denn die Schulinstitution 'jüdische Volksschule' ist im ganzen 19. Jahrhundert sehr unsicher. Es hat kaum ein Lehrer länger als zwei oder drei Jahre unterrichtet."
Oft wegen heftiger Streitigkeiten: Traditionell gesinnte Eltern ärgerten sich über liberale Ansichten und Lehrmethoden mancher Lehrer; sie schickten ihre Kinder deshalb auf christliche Schulen und übernahmen selbst den Religionsunterricht.
Liberale Eltern hingegen wollten ihren Kindern die soziale und berufliche Integration in die bürgerliche Gesellschaft erleichtern. Sie legten verstärkten Wert auf profane Bildungsinhalte und eine gute Allgemeinbildung, die ihnen die besser ausgestatteten, christlichen Schulen garantierten. Emanzipation durch Bildung also. Zu ungunsten jüdischer Schulen. Soweit die Historie.
Aus ihr leitet die Düsseldorfer Erziehungswissenschaftlerin nun einen Bildungsauftrag für heute ab. Mit Blick auf derzeitige Gründungen von Schulen durch jüdische Gemeinden gibt sie zu bedenken:
"Dahinter müssen doch andere Interessen stecken. Ich kann doch meine Kinder genauso gut auf die allgemeinbildenden Schulen schicken.
Denn wenn 'Integration in die Gesellschaft' gemeint ist 'über Bildung', fängt das in der Schule an. Da werden die Kinder integriert, wenn sie gemeinsam in die Schule gehen. Alle Kinder des Volkes müssen zumindest vier Jahre lang in die selbe Schule gehen! Die Eltern bekommen Kontakt. Ganz natürlich wächst da gesellschaftliche Integration. Während unterschiedliche Schulkarrieren immer separierend wirken."
Ihr Hochschulkollege Stefan Rohrbacher, Professor für Jüdische Studien und Mitglied des Gemeinderates der jüdischen Gemeinde Düsseldorf argumentiert da differenzierter:
"Ich finde die Frage, die Frau Miller-Kipp stellt, natürlich sehr berechtigt. Man muss sich das überlegen. Aber es darf keine, denke ich, rasche, abschließende Antwort geben. Es ist eine Frage der Wahlfreiheit, die wir für unsere Kinder auch wahrnehmen müssen. Wir wollen keine Segregation zum einen und wir wollen gute Schulen.""
Die vor allem eines bieten: qualifizierte Förderprogramme. Damit Kinder, die meist aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion kommen, nicht nur jüdisches Leben , sondern auch schnell und gut Deutsch lernen. Mit Lehrern, die zudem auf besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten eines jeden Schülers optimal eingehen können. Dafür ist die jüdische Schule in Düsseldorf bekannt.
"Es sind nämlich nicht nur jüdische Kinder, die die Yizak-Rabin-Schule besuchen. Sondern es besuchen immer auch, soweit Plätze frei sind, nicht-jüdische Kinder, übrigens auch muslimische Kinder diese Schule. Und sie üben dort nicht zuletzt Zusammenleben, Toleranz, Verständnis für das jeweils Andere."
Kein Vergleich zur Unterrichtssituation von 1824, als in den Preußischen Rheinprovinzen die Unterrichtspflicht für alle Kinder, gleich welcher Konfession, eingeführt wurde. Die Ausstattung der Volks- oder Elementarschule, wie sie damals hieß, war von erbärmlicher Ärmlichkeit, die von Beamten gleichwohl penibel verwaltet wurde, erklärt Prof. Gisela Miller-Kipp. So war für jeden Schüler im Klassenzimmer ein Platz von einem halben Quadratmeter vorgesehen.
"Und es musste da sein Haken für die Kleider und Mützen. Es mussten Bänke da sein. Es mussten Wandbilder da sein. Die wurden dann vorgeschrieben, unter anderem das Wandbild von Palästina. Aber auch eines von Deutschland. Es musste ein Kaiserbild da sein. Es musste eine Fibel da sein, ein Rechenbuch. Möglichst Anschauungsmaterial noch für naturkundlichen Unterricht, Halterungen für die Wandkarte."
Diese Ausstattung war der Idealzustand, - den jüdische Volksschulen in den Anfangsjahren kaum erreichten. Ein weiteres Problem: Bislang galt die religiöse Bildung als hohes Gut; die Vermittlung des ”niederen” Elementar-Wissens, wie Schreiben, Lesen und Rechnen indes wurde traditionell von äußerst schlecht bezahlten und nicht ausgebildeten ”Kinderlehrern” vermittelt. Nun aber mussten die jüdischen Gemeinden für Ausbildung und Anstellung von qualifizierten und vom Staat anerkannten jüdischen Pädagogen sorgen.
Das brachte einen tiefgreifenden Einschnitt ins jüdische Bildungsverständnis – und war ein finanzieller Kraftakt, den viele Familien, gerade auch in kleinen Gemeinden, oft nicht mittragen konnten.
"Dann fragen sich die jüdischen Gemeinden: Sind wir damit gut bedient, wollen wir die Schulen? Sind sie nicht eigentlich zu teuer? Das waren sie. Und dann schicken sie ihre Kinder wieder auf christliche Schulen."
Die jüdische Kinder auch ohne Weiteres aufnahmen – unter Achtung jüdischer Gebote und Feiertage. Um den Religionsunterricht kümmerten sich weiterhin die jüdischen Gemeinden.
So besuchten um 1840 rund 75 Prozent der jüdischen Kinder im Rheinland meist evangelische, aber auch katholische Schulen. In den nächsten Jahren sank ihr Anteil auf rund 50 Prozent. Das heißt, nur die Hälfte der jüdischen Jungen und Mädchen ging (zumindest zeitweise) auf eine jüdische Volksschule, erklärt Gisela Miller-Kipp.
"Denn die Schulinstitution 'jüdische Volksschule' ist im ganzen 19. Jahrhundert sehr unsicher. Es hat kaum ein Lehrer länger als zwei oder drei Jahre unterrichtet."
Oft wegen heftiger Streitigkeiten: Traditionell gesinnte Eltern ärgerten sich über liberale Ansichten und Lehrmethoden mancher Lehrer; sie schickten ihre Kinder deshalb auf christliche Schulen und übernahmen selbst den Religionsunterricht.
Liberale Eltern hingegen wollten ihren Kindern die soziale und berufliche Integration in die bürgerliche Gesellschaft erleichtern. Sie legten verstärkten Wert auf profane Bildungsinhalte und eine gute Allgemeinbildung, die ihnen die besser ausgestatteten, christlichen Schulen garantierten. Emanzipation durch Bildung also. Zu ungunsten jüdischer Schulen. Soweit die Historie.
Aus ihr leitet die Düsseldorfer Erziehungswissenschaftlerin nun einen Bildungsauftrag für heute ab. Mit Blick auf derzeitige Gründungen von Schulen durch jüdische Gemeinden gibt sie zu bedenken:
"Dahinter müssen doch andere Interessen stecken. Ich kann doch meine Kinder genauso gut auf die allgemeinbildenden Schulen schicken.
Denn wenn 'Integration in die Gesellschaft' gemeint ist 'über Bildung', fängt das in der Schule an. Da werden die Kinder integriert, wenn sie gemeinsam in die Schule gehen. Alle Kinder des Volkes müssen zumindest vier Jahre lang in die selbe Schule gehen! Die Eltern bekommen Kontakt. Ganz natürlich wächst da gesellschaftliche Integration. Während unterschiedliche Schulkarrieren immer separierend wirken."
Ihr Hochschulkollege Stefan Rohrbacher, Professor für Jüdische Studien und Mitglied des Gemeinderates der jüdischen Gemeinde Düsseldorf argumentiert da differenzierter:
"Ich finde die Frage, die Frau Miller-Kipp stellt, natürlich sehr berechtigt. Man muss sich das überlegen. Aber es darf keine, denke ich, rasche, abschließende Antwort geben. Es ist eine Frage der Wahlfreiheit, die wir für unsere Kinder auch wahrnehmen müssen. Wir wollen keine Segregation zum einen und wir wollen gute Schulen.""
Die vor allem eines bieten: qualifizierte Förderprogramme. Damit Kinder, die meist aus Ländern der ehemaligen Sowjetunion kommen, nicht nur jüdisches Leben , sondern auch schnell und gut Deutsch lernen. Mit Lehrern, die zudem auf besonderen Fähigkeiten und Fertigkeiten eines jeden Schülers optimal eingehen können. Dafür ist die jüdische Schule in Düsseldorf bekannt.
"Es sind nämlich nicht nur jüdische Kinder, die die Yizak-Rabin-Schule besuchen. Sondern es besuchen immer auch, soweit Plätze frei sind, nicht-jüdische Kinder, übrigens auch muslimische Kinder diese Schule. Und sie üben dort nicht zuletzt Zusammenleben, Toleranz, Verständnis für das jeweils Andere."