Schlagzeilen wie Hammerschläge
03.07.2008
Jonny Glynn erzählt in seinem Roman "Sieben Tage" von einem Massenmörder, der seine Inspiration aus den Medien bezieht. Er tötet und protokolliert jede einzelne seiner Taten fein säuberlich bei einer Tasse Tee. Doch Gut und Böse liegen nah beieinander: Am Ende wird aus dem Monster gar ein Held.
Peter Crumb streift durch London, bis er im Park eine junge Frau entdeckt. Er folgt ihr bis zu einem Zeitschriftenladen, in dem sie arbeitet. Am Abend kehrt er zurück. Er holt seinen Hammer hervor, schwingt ihn "mit Leidenschaft und Geschick" und erschlägt erst die junge Frau und anschließend ihre Mutter, die überraschend aus dem hinteren Teil des Geschäftes hervortritt.
"Ein schöner Anblick war es nicht." Den blutigen Hammer lässt er einfach liegen und schert sich auch nicht um die Fingerabdrücke, denn: "In sieben Tagen bin ich tot."
Damit ist der Rahmen abgesteckt. Jonny Glynns Roman "Sieben Tage" erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich selbst umbringen will, und in der letzten Woche seines Lebens eine Reihe grausamer Morde begeht. Nach der Verkäuferin und ihrer Mutter prügelt Peter Crumb eine Prostituierte zu Tode, ersticht ein Ehepaar mit einem Fleischermesser und macht sich kurz darauf mit einem Chirurgenbesteck auf zum nächsten Massaker.
Fein säuberlich protokolliert er "bei einer Tasse Earl Grey" jede einzelne seiner Taten, während er gegen Ausländer hetzt und auf die "verdammte Liberalität der Mittelschichten" schimpft. So spricht einiges dafür, dass dieses in Großbritannien gefeierte Debüt ein weiterer Abkömmling von Bret Easton Ellis Splatter-Klassiker "American Psycho" ist: wahllose Morde vor dem Hintergrund der tödlichen Langeweile eines postmodernen Lebensentwurfs.
Doch Jonny Glynn geht es um etwas anderes. Sein literarischer Exzess ist eine Antwort auf die seltsame Moral einer "verrotteten Gesellschaft", die einen Mord "für unverzeihlich hält", sich gleichzeitig allerdings begeistert auf Zeitungsmeldungen und Fernsehberichte aus aller Welt stürzt, in denen "das Blut so munter fließt wie Bier aus dem Zapfhahn".
Peter Crumb spielt dieses Spiel einfach mit. Den Grund dafür erfährt man nur am Rande. Seine eigene Tochter ist Opfer eines Verbrechens geworden, und nachdem ihr Martyrium in den Zeitungen immer wieder aufs Neue ausgebreitet worden ist, findet Crumb aus dem Labyrinth der düsteren Schlagzeilen nicht mehr heraus. Jeden Morgen wirft einen Blick auf die Titelseite der "Daily Mail" und nimmt Horrormeldungen wie "Frauenleiche in Müllsack entdeckt" als Anregung für einen eigenen Mord:
"Die Schlagzeile von morgen - und auch die von übermorgen - wird genauso lauten wie die von heute - alles wird sich wiederholen."
Auch als Leser kann man sich dieser ewigen Wiederkunft des Schrecklichen kaum entziehen. Nach Stichverletzungen und zertrümmerten Schädelknochen lauert man begierig auf die nächste Gräueltat, und die größte Grausamkeit dieses überraschend intelligent gemachten Buches besteht darin, dass Jonny Glynn genau diese Erwartungshaltung nicht erfüllt.
Die Gleichung "sieben Tage, sieben Morde" geht nicht auf, und durch einen kleinen Eingriff ins Handlungsgefüge macht er aus seinem "Monster" Peter Crumb am Ende sogar noch einen strahlenden Helden im Krieg gegen den Terror. Im 21. Jahrhundert liegen Gut und Böse eben gefährlich nahe beieinander. Unter diesen Bedingungen werden Zyniker wie Jonny Glynn zu großen Moralisten.
Rezensiert von Kolja Mensing
Jonny Glynn: Sieben Tage
Aus dem Englischen von Hennig Ahrens
S. Fischer, Frankfurt am Main 2008
261 Seiten, 18,90 Euro
"Ein schöner Anblick war es nicht." Den blutigen Hammer lässt er einfach liegen und schert sich auch nicht um die Fingerabdrücke, denn: "In sieben Tagen bin ich tot."
Damit ist der Rahmen abgesteckt. Jonny Glynns Roman "Sieben Tage" erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich selbst umbringen will, und in der letzten Woche seines Lebens eine Reihe grausamer Morde begeht. Nach der Verkäuferin und ihrer Mutter prügelt Peter Crumb eine Prostituierte zu Tode, ersticht ein Ehepaar mit einem Fleischermesser und macht sich kurz darauf mit einem Chirurgenbesteck auf zum nächsten Massaker.
Fein säuberlich protokolliert er "bei einer Tasse Earl Grey" jede einzelne seiner Taten, während er gegen Ausländer hetzt und auf die "verdammte Liberalität der Mittelschichten" schimpft. So spricht einiges dafür, dass dieses in Großbritannien gefeierte Debüt ein weiterer Abkömmling von Bret Easton Ellis Splatter-Klassiker "American Psycho" ist: wahllose Morde vor dem Hintergrund der tödlichen Langeweile eines postmodernen Lebensentwurfs.
Doch Jonny Glynn geht es um etwas anderes. Sein literarischer Exzess ist eine Antwort auf die seltsame Moral einer "verrotteten Gesellschaft", die einen Mord "für unverzeihlich hält", sich gleichzeitig allerdings begeistert auf Zeitungsmeldungen und Fernsehberichte aus aller Welt stürzt, in denen "das Blut so munter fließt wie Bier aus dem Zapfhahn".
Peter Crumb spielt dieses Spiel einfach mit. Den Grund dafür erfährt man nur am Rande. Seine eigene Tochter ist Opfer eines Verbrechens geworden, und nachdem ihr Martyrium in den Zeitungen immer wieder aufs Neue ausgebreitet worden ist, findet Crumb aus dem Labyrinth der düsteren Schlagzeilen nicht mehr heraus. Jeden Morgen wirft einen Blick auf die Titelseite der "Daily Mail" und nimmt Horrormeldungen wie "Frauenleiche in Müllsack entdeckt" als Anregung für einen eigenen Mord:
"Die Schlagzeile von morgen - und auch die von übermorgen - wird genauso lauten wie die von heute - alles wird sich wiederholen."
Auch als Leser kann man sich dieser ewigen Wiederkunft des Schrecklichen kaum entziehen. Nach Stichverletzungen und zertrümmerten Schädelknochen lauert man begierig auf die nächste Gräueltat, und die größte Grausamkeit dieses überraschend intelligent gemachten Buches besteht darin, dass Jonny Glynn genau diese Erwartungshaltung nicht erfüllt.
Die Gleichung "sieben Tage, sieben Morde" geht nicht auf, und durch einen kleinen Eingriff ins Handlungsgefüge macht er aus seinem "Monster" Peter Crumb am Ende sogar noch einen strahlenden Helden im Krieg gegen den Terror. Im 21. Jahrhundert liegen Gut und Böse eben gefährlich nahe beieinander. Unter diesen Bedingungen werden Zyniker wie Jonny Glynn zu großen Moralisten.
Rezensiert von Kolja Mensing
Jonny Glynn: Sieben Tage
Aus dem Englischen von Hennig Ahrens
S. Fischer, Frankfurt am Main 2008
261 Seiten, 18,90 Euro