Schlager von der weißen Taube

02.05.2008
Kein anderes Lied auf der Welt ist so oft aufgenommen worden wie "La Paloma". Sebastián Iradiers Schlager von der weißen Taube hat seit seiner Entstehung Mitte des 19. Jahrhunderts schon ungezählte Wiederauferstehungen erlebt. Sigrid Faltin und Andreas Schäfler setzen sich mit der wechselvollen Geschichte dieser "Ursonate des Pop" auseinander.
Wer in Deutschland "La Paloma" hört, der denkt automatisch an Hamburg: An die "Große Freiheit Nr. 7", an Hans Albers in seiner Paraderolle als singender Seemann mit großem Herz und an seinen Epigonen Freddy Quinn, der mit dem gleichen Lied knapp 20 Jahre später noch einmal einen Riesenhit feiern konnte. 2004, zum 815. Hafengeburtstag, hat Quinn das Lied wieder gesungen, gemeinsam mit 85.000 Menschen, die damit einen neuen Weltrekord aufstellten.

Als Seemanns-Shanty über den Abschiedsschmerz und die ungewisse Hoffnung auf ein Wiedersehen, so kennen die Deutschen dieses Lied. Dabei war "La Paloma" ursprünglich eine frivole Schnulze mit exotischem Touch. Der baskische Komponist Sebastiàn Iradier (1809 – 1865) hat das Stück als kubanische Habanera komponiert, irgendwann zwischen 1855 und 1857. Das genaue Datum ist unbekannt, genauso wie der Ort der ersten Aufführung. Dafür weiß man aber, wo das Lied seinen Siegeszug begonnen hat: In Mexiko rührte "La Paloma" den habsburgischen Kaiser Maximilian zu Tränen, während seine republikanischen Gegner zur gleichen Melodie Spottlieder auf ihren ungeliebten Regenten sangen.

Später dann kam die weiße Taube zurück nach Europa, und verbreitete sich von dort als Marsch oder Wiener Walzer in der ganzen Welt. Ungezählte Geschichten lassen sich über "La Paloma" erzählen: Über rumänische Dorfkapellen, die das Lied als Begräbnis – Choral entdeckt haben, über Cowboys in Hawaii, die das Lied am Strand auf ihren Steel Guitars klimpern, oder über einen afghanischen Popstar der 70er Jahre, der mit Iradiers Komposition den Aufbruch in die Moderne wagte.

Alle diese Anekdoten haben Sigrid Faltin und Andreas Schäfler in ihrem sehr amüsanten Buch "La Paloma – Das Lied" zusammengetragen. Was ursprünglich als Recherche für einen Dokumentarfilm begann, wurde zu einem weltumspannenden Suchspiel nach immer neuen Variationen und Verwendungsformen dieses Liedes. Am traurigsten und zugleich am beeindruckendsten ist dabei sicher die Geschichte des jüdischen Jazz-Gitarristen Coco Schumann, der 1943 ins Konzentrationslager kam und der noch an der Rampe von Auschwitz für gelangweilte Angehörige der SS "La Paloma" spielen musste.

"La Paloma – Das Lied" ist aufgebaut wie ein Episoden – Film. Auch wenn die Gründlichkeit der Recherche manchmal ein wenig zu kurz kommt, verzeiht man den Autoren aufgrund der enormen Faktenfülle und der Farbigkeit ihrer Schilderungen: Von Lanchego, dem baskischen Dörfchen, in dem der Komponist Sebastian Iradier 1809 geboren wurde, springen Faltin und Schäfler nach Kuba, Mexiko, Rumänien, Hawaii, Afghanistan, Sansibar und schließlich wieder zurück nach Mexiko, wo "La Paloma" erst vor kurzem im Präsidentschaftswahlkampf wieder eine wichtige Rolle gespielt hat.

Ergänzt wird das Buch durch einige Betrachtungen aus musikalischer Perspektive von Klaus Doldinger und Eugene Chadbourne sowie durch eine kommentierte La Paloma – Diskografie von Kalle Laar. Die schönste Überraschung aber birgt der "Zusatz-Band". In einem weiteren Papp-Schuber verbergen sich nämlich auf 4 CDs über 100 Einspielungen von "La Paloma" – von der allerersten bekannten Aufnahme von Emilio de Gorgoza aus dem Jahr 1900 bis in die Gegenwart.

Rezensiert von Carsten Beyer

Sigrid Faltin/Andreas Schäfler: La Paloma - Das Lied,
marebuchverlag, Hamburg
187 Seiten incl. 4 Audio-CDs mit La Paloma Versionen von u. a. Elvis Costello, Amon Düül II, Caterina Valente, Coco Schumann, Bill Ramsey, Charlie Parker, Hans Albers u. v. a., 48 Euro