Schlager aus der Jugend

Von Cornelia Saxe |
Der Göttinger Schnulzenchor tritt vorwiegend in Altenheimen und auf Geburtstagen auf. Nach dem Motto "Singen stärkt Leib und Seele" ist er im Allgemeinen Sportclub Göttingen (ASC) beheimatet. Alle zwei Wochen treffen sich dort mehr als 60 Seniorinnen und Senioren, um deutsche Schlager aus ihrer Jugend zu singen. Die 73-jährige Initiatorin Margot Köhler wurde 2008 für ihr ehrenamtliches Engagement im Verein mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.
Hans Rummelsberger: "Valencia! Geraschel, Rufen: Oh Valencia! Nr. 4, nein 11!"

Lied: "Valencia, deine Augen saugen mir die Seele aus dem Leib, deine Lippen sind die Klippen meines Lebens holdes Weib."

Teilnehmerin: "Ein Oldie, ganz alte Lieder, so Gassenhauer, so würde ich es sagen, oder Ohrwurm, die man summt, mitträllert – das sind für mich Schnulzen."

Teilnehmer: "Lieder aus der guten alten Zeit!"

Hans Rummelsberger ruft: "Noch mal!"

Chor singt: "Valencia!"

Zehn Männer und gut 40 Frauen trällern an einem Freitagvormittag in Göttingen mit geröteten Wangen die Liebeslieder ihrer Jugend. Geprobt wird wenig, korrigiert wird kaum. Das gemeinsame Singen ist Zweck der Übung. Die 60- bis über 90-Jährigen schunkeln in den Reihen und strahlen die Frische von Teenagern aus. Wer dabei nicht fehlen darf, ist Bienchen, ein Kurzhaardackel.

Besitzer: "Unser Bienchen ist jetzt 16 Monate alt. Der ist jedes Mal dabei."

Margot Köhler: "Und wenn wir falsch singen, dann weint sie!"

Besitzer: "Fängt sie an zu quieken!"

Hans Rummelsberger: "Es ist noch ein bisschen früh, wir haben noch nicht das richtige Tempo, das kriegen wir aber noch!"

Am Anfang dürfen sich die, die zuletzt Geburtstag hatten, ein Lied wünschen. Helmut ist gerade 77 geworden und wünscht sich "So wie Du".

Lied "So wie du": "So wie du, soll meine Liebe sein, so wie du, dann lacht der Sonnenschein, meine Wünsche werden wahr, wie wunder-, wunder-, wunderbar, und Frühling ist für uns das ganze Jahr."

Helmut revanchiert sich und lässt ein Körbchen mit Kümmerlingen und Pflaumenschnäpschen durch die Reihen wandern. Eine gute Gelegenheit, um ein Prost zu singen:

"Überall auf der Welt scheint die Sonne, Prost!"

Und bei dieser guten Stimmung macht es auch gar nichts, dass Hans Rummelsberger, der Mann an Keyboard und Akkordeon, statt dem von einer Jubilarin gewünschten "Eine Reise ins Glück" das Lied "Tulpen aus Amsterdam" anstimmt.

Hans Rummelsberger: "Geht los jetzt!"

Lied: "Eine Reise ins Glück, wünsche ich mir so sehr, eine Reise mit dir an das blaue Meer"

Hans Rummelsberger: "Man hat mich angesprochen auf der Beerdigung meines Vorgängers. Auf dem Parkplatz haben mich Freunde angesprochen, die in diesem Schnulzenchor waren. Mensch du, wir suchen einen Chorleiter! Ich sagte: Ich bin aber kein Chorleiter! Ich bin zwar Musiker, aber das ist nichts für mich, nein, nein! Und abends rief mich Margot Köhler an und hat gesagt: Wir sind ja auch kein richtiger Chor! Wir singen ja unterstes Niveau! Kommen Sie doch mal vorbei und hören Sie sich das mal an!"

Hans Rummelsberger ist seit sieben Jahren dabei. Der Mann mit einem Akkordeon auf der Gürtelschnalle ist zusammen mit der 73-jährigen Margot Köhler Herz und Seele des Schnulzenchores. Die groß gewachsene Frau ist elegant in Schwarz und Violett gekleidet.
Vor mehr als 20 Jahren hat sie den Chor gegründet.

Margot Köhler: "Leider hatte mein Mann mit 40, also sprich 1975, einen schweren Autounfall und ist seitdem auch schwer behindert. Und so konnte ich nie arbeiten. Er hätte dann in ein Heim gemusst. So habe ich meinen Mann betreut, meine Kinder groß gezogen und habe mir hier mein Umfeld gesucht und gefunden."

Jubilarin ruft: "Danke!"

M. Köhler: "Bitte schön! Und es sind immer vier Takte dazwischen!"

Bei all der Lebensfreude, die der Chor beim Singen versprüht – in der Pause und beim Abschied ist viel von Krankheit oder dem Verlust des Ehepartners die Rede. Für eine Teilnehmerin ist der Chor zum Beispiel wichtig:

Teilnehmerin: "... weil er viel von meinem Kummer aufgefangen hat. Ich habe nach dem Tod meines Mannes einfach hier eine Gemeinschaft gefunden, die mir sehr geholfen hat, damit fertig zu werden. Dies ist genau das, was so meinen Vorstellungen entspricht. Weil ich finde, wir singen sehr locker, sehr frei, ohne unentwegt angeleitet zu werden, eine bestimmte Art und Weise des Gesangs beizubehalten."

Lied: "Lebe dein Leben, so wie’s dir gefällt, dafür bist du auf dieser Welt, lebe dein Leben, es zählt jeder Tag …"

Um im Schnulzenchor zu singen, muss man weder Noten lesen können noch eine besonders gute Stimme haben. Im Moment besteht allerdings sowieso Aufnahmestopp. Denn bei mehr als 60 sangesfreudigen Seniorinnen und Senioren und einem Dackel platzt der Probenraum fast aus den Nähten.

Lied "Wochenend und Sonnenschein": Wochenend und Sonnenschein und dann mit dir im Wald allein, weiter brauch ich nichts zum glücklich sein, Wochenend und Sonnenschein."

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.