Schlafplatz Audimax

Von Simone Schlosser |
Seit mehr als einer Woche besetzen Studierende deutschlandweit die Hörsäle der Universitäten. Die Studenten der Univerisität Potsdam gehörten zu den ersten, die sich mit ihren Kommilitonen in Österreich solidarisierten, von denen die Protestwelle ausging. Sie haben einen konkreten Forderungskatalog verfasst.
"Träume brauchen Freiräume statt Lernräume." Das ist der Spruch auf einem Transparent, das seit mehr als einer Woche im Audimax der Universität Potsdam hängt. Eigentlich hatte ein Streikkomitee aus Studierenden abgelehnt, den zentralen Hörsaal zu besetzen, weil sie befürchteten, nicht genug Leute dafür motivieren zu können, aber…

Katja: "…dann kam die Vollversammlung. Die ging nicht nur zwei Stunden, wie angesetzt, sondern vier Stunden. Es wurde viel geredet. Und es wurde viel formal geredet, aber die Leute ließen sich einfach nicht tot reden und blieben hier. Und dementsprechend haben wir an dem Abend einen konstruktiven Dialog darüber begonnen, was Bildung eigentlich ist, und was hier schief läuft. Und haben uns dann daraufhin dazu entschlossen, genau diesen Raum für genau diese Gespräche zu nutzen."

Katja studiert Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie. Seit mehr als einer Woche lebt sie in dem besetzten Hörsaal, zusammen mit hundert anderen Studierenden, dem festen Kern. Eine richtige Wohngemeinschaft seien sie mittlerweile geworden, meint Katja. Gegessen wird in der Mensa. Oder jemand kocht. Und jeden Tag kommen neue Besetzer dazu, wie Sebastian. Der angehende Lehrer ist am Wochenende im Audimax eingezogen. Als er anfing zu studieren hatte die Universität Potsdam in der Lehrerausbildung einen sehr guten Ruf. Mittlerweile hat sich das geändert, meint Sebastian, vor allem durch die Umstellung der Studiengänge auf Bachelor und Master...

Sebastian: "Das Problem an dem Bachelor-Studium ist in meinen Augen, dass Inhalte gepresst werden, und es nur noch auf die Quantität ankommt: wie kann ich in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Texte lesen, und die ganze Qualität der Lehrveranstaltung darunter massiv leidet. Es ist eigentlich der Gegensatz von Quantität zu Qualität. Und das Wort Studieren von Latein Studaere, also Eifer, das wird hier verraten, ganz klar."
Die Besetzer jedenfalls sind mit vollem Eifer dabei. Zwischendurch besuchen sie brav ihre Lehrveranstaltungen. Und wer nicht in die Vorlesung muss, der beteiligt sich an den Workshops.

Die Wände des Hörsaals sind beklebt mit Ergebnispapieren. An der Tür hängt eine Liste der besetzten Universitäten. Nach Österreich und Deutschland ist jetzt auch die Universität Basel besetzt, und an der Wand hängt eine Solidaritätsbekundung aus Polen. Fast überall richten sich die Proteste gegen die Folgen der Hochschulreform: weniger Elite und mehr Lehre, weniger vollgestopfte Studiengänge, bessere Studienbedingungen. In Potsdam ist Platzmangel ein besonderes Problem, sagt Sebastian.

Sebastian: "Große Vorlesungen, insbesondere im historischen Institut, finden in einem Raum statt für 120 Leute. Die Leute sitzen draußen auf dem Gang in einem Halbkreis um die Tür herum und versuchen noch einige Worte zu ergattern. Oder sind um den Professor, der hat dann wie eine Legehenne zwei Quadratmeter Platz, um sich da vorne mit seiner Vorlesung mit den Studenten auseinander zu setzen."

Die meisten Dozenten unterstützen den Protest der Studierenden. Einige halten bewusst ihre Veranstaltungen in dem besetzten Hörsaal ab. Von der Unileitung erwarten die Studenten eine klare Zusage, dass ihre Anliegen ernst genommen werden. So lange das nicht geschehe, bleibe das Audimax besetzt, erklärt Katja.

Katja: "Wir gehen auf jeden Fall, wenn wir sehen, dass nicht nur Dialogbereitschaft signalisiert wird, sondern dass die Probleme auch wirklich angegangen werden. Weil es gibt halt Sachen, die lassen sich nicht von heute auf morgen ändern, das ist uns auch klar, aber wir wollen uns nicht nur mit leeren Worten abspeisen lassen und sind dann wieder ruhig."