Schlaf

"Zum Glück müssen Politiker keine Lastwagen fahren"

Müde! Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag; Aufnahme vom Juni 2012
Müde! Bundeskanzlerin Angela Merkel im Bundestag; Aufnahme vom Juni 2012 © picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Der Chronobiologe Achim Kramer im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 13.02.2015
Sogenannte Leistungsträger scheinen vor allem eins gemeinsam zu haben: Sie schlafen sehr wenig. Zu wenig, meint der Chronobiologe Achim Kramer. Wer über mehrere Tage ein Schlafdefizit angehäuft habe, sei nur noch eingeschränkt leistungsfähig.
Vier Stunden - so viel Schlaf scheinen sich viele Politiker, Manager und andere Leistungsträger maximal pro Nacht zu gönnen. Nach Ansicht von Schlafforschern ist das zu wenig.
Zwar sei das Schlafbedürfnis von Person zu Person unterschiedlich, sagt der Chronobiologe Achim Kramer von der Berliner Charité. "Es gibt tatsächlich Leute, die kommen auch mit fünf Stunden aus." Aber nur vier Stunden Schlaf pro Nacht seien auf Dauer zu wenig: "Wer nicht schläft, wird dick. Wer nicht schläft, kann sich nicht mehr regenerieren, die Gedächtnisleistung lässt nach und so weiter."
Power-Naps gegen chronischen Schlafmangel
Die Leistungsfähigkeit eines Politikers, der zehn Tage lang mit zu wenig Schlaf auskommen musste, sei mit der eines Alkoholisierten zu vergleichen. "Zum Glück müssen die keine Lastwagen auf der Autobahn fahren", so Kramer.
Der Chronobiologe rät gestressten Leistungsträgern zum Nickerchen: "Wer vielleicht auch zwischendurch einen sogenannten Power-Nap macht, der kann es schaffen, einen stressigen Tag zu haben, ohne wirklich chronisch Schlafmangel anzuhäufen."

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Donnerstag Minsk, Poroschenko, Freitag Moskau, Putin, Samstag München, Sicherheitskonferenz, Sonntag Flug nach Washington, Montag bei Obama und fix in Ottawa bei Harper, Dienstag Flug zurück nach Berlin, Mittwoch Berlin, Staatsakt für Weizsäcker, danach Flug nach Minsk, Mittwochnachmittag bis Donnerstagmorgen 16 Stunden lang durchverhandelt, Donnerstag nach Brüssel, Treffen der europäischen Regierungschefs, und Freitag – ja, was macht Frau Merkel eigentlich freitags? Wie geht so was eigentlich? Wie kann man so leben und arbeiten, ohne ausreichend Schlaf? Das will ich jetzt den Experten dafür fragen, nämlich Professor Achim Kramer. Er leitet an der Berliner Charité die Arbeitsgruppe Chronobiologie und ist ein mit dem Leibnitz-Preis ausgezeichneter Biochemiker, der unsere inneren Uhren erforscht. Herr Kramer, guten Morgen!
Achim Kramer: Guten Morgen!
von Billerbeck: „Ich habe ein Art Kamelkapazität, mit Schlaf umzugehen. Das ist eine Fähigkeit, die für dieses Amt nicht ganz unwichtig ist. Ich kann über eine gewisse Zeit, fünf oder sechs Tage lang, mit wirklich sehr wenig Schlaf auskommen", sagt die Kanzlerin. Kann man denn Schlaf wirklich speichern?
Kramer: Eigentlich kann man es gar nicht so richtig speichern. Und vielleicht macht sie ja dazwischen sogenannte Power-Naps. Es gibt Leute, die das ganz gut können und dann tatsächlich mit weniger Schlaf auskommen. Außerdem ist auch das individuelle Schlafbedürfnis ganz unterschiedlich bei den Menschen.
von Billerbeck: Was muss man denn für körperliche Voraussetzungen mitbringen, wenn man wie Merkel mit wenig Schlaf auskommen können will oder muss?
Die Gene entscheiden, wie viel Schlaf jemand braucht
Kramer: Also ob jetzt Merkel tatsächlich so viel weniger geschlafen hat, das wissen wir ja nicht. Sie hat ja immerhin, also wenn es jetzt um den ...
von Billerbeck: ... zwei Interkontinentalflüge gehabt.
Kramer: Ja, genau. Da wird es ein bequemes Bett im Flugzeug geben, und da kann man auch mal gut Schlaf, den man verloren hat, nachholen. Das gelingt uns ganz gut, Schlaf nachholen. Aber vorschlafen geht eigentlich nicht gut. Und die körperlichen Voraussetzungen sind eben – und das vermute ich eben, dass bei vielen solchen stressigen Positionen das der Fall ist –, dass man von seiner genetischen Anlage her einfach gar nicht so viel Schlaf braucht. Also ich zum Beispiel brauche acht Stunden, und es gibt aber tatsächlich Leute, die kommen auch mit fünf Stunden aus.
von Billerbeck: Obama hat gesagt, vier Stunden müssen reichen. Geht so was auf Dauer?
Kramer: Auf Dauer ist es natürlich nicht gut. Also wer unter chronischem Schlafmangel leidet, hat neben den akuten Symptomen wie mangelnde Aufmerksamkeit oder Reaktionsvermögen oder Leistungsfähigkeit eben auch mit möglicherweise schwerwiegenderen Risiken zu kämpfen. Dazu gehört: Wer wenig schläft, wird dick, wer nicht schläft, kann sich nicht mehr regenerieren, die Gedächtnisleistung lässt nach und so weiter.
von Billerbeck: Gibt es denn wirklich so was wie die berühmten Lerchen und die Nachteulen, also die Frühaufsteher und die Nachtmenschen, oder ändert sich das auch im Laufe des Lebens? Was haben Sie da herausgefunden?
Kramer: Das ist natürlich genau unser Forschungsthema in der Chronobiologie, und vielleicht vorausgeschickt: Man muss es so ein bisschen vom Schlaf trennen, denn die Lerchen und Eulen, das befasst sich eher damit, wann wir schlafen und hat auch viel mit dem Jetlag zu tun. Es gibt unterschiedliche sogenannte Chronotypen, also Frühtypen oder Spättypen, die dann zu ganz anderen Tageszeiten gut schlafen können. Zum Beispiel viele – Bäckerberufe oder vielleicht auch Leute im Radio, wenn die früh aufstehen müssen – sind vielleicht keine sogenannten Eulen, sondern eher Frühtypen, damit sie das überhaupt verkraften.
Wenn innere und äußere Uhr unterschiedlich ticken, droht Krebs
von Billerbeck: Stimmt. Ich könnte mir auch einen Bäcker suchen, ich stehe auch um 2.40 Uhr auf und meine Kollegen auch. Aber Sie sind ja nun Biochemiker. Welche biochemischen Prozesse liegen denn diesem Prozess zugrunde? Was passiert, wenn ein Mensch dauerhaft zu wenig schläft?
Kramer: Das ist eben nichts Esoterisches, dieser Biorhythmus, sondern das ist tatsächlich eine ganz handfeste innere Uhr, die wir alle besitzen, wo man sagen muss: Es gibt eigentlich fast in jeder Zelle diese innere Uhr und eine Master-Uhr im Gehirn, also der Chef von den ganzen Uhren, und das ist alles genetisch bestimmt. Das heißt, wenn jemand morgens zu spät zur Arbeit kommt, kann er ruhig sagen, Chef, das waren meine Uhrengene – also im Spaß gesagt jetzt. Und das ist natürlich was, wo man viel Forschung machen kann, damit man überhaupt versteht, wie dieses Zahnräderwerk sozusagen ineinandergreift, damit wir richtig ticken, und was passiert, wenn wir nicht mehr richtig ticken, das heißt, wenn unsere Innenzeit, die durch die innere Uhr vorgegeben wird, mit der Außenzeit, das heißt, das ist Sonnenaufgang, Sonnenuntergang in Berlin oder Washington oder wie auch immer, wenn das nicht mehr übereinstimmt, dann kann es wirklich zu großen Gesundheitsrisiken kommen. Das sind zum Beispiel Stoffwechselerkrankungen, Diabetes, dick werden oder auch Krebserkrankungen, das haben Studien gezeigt.
von Billerbeck: Ein Schweizer Kollege von Ihnen, der hat mal gesagt: Wer zehn Nächte hintereinander weniger als sechs Stunden schläft, der hat etwa ein Promille Alkohol im Blut. Da kann man sagen: Solche Menschen sind also klinisch fahruntauglich, müssten von der Polizei aus dem Verkehr gezogen werden. Die gelten aber gleichzeitig als politikfähig, wenn wir uns unsere Politiker angucken. Werden wir also wirklich von Betrunkenen regiert?
Power-Naps helfen müden Politikern
Kramer: Er meint natürlich: Wenn man chronisch unter Schlafmangel leidet, dann ... Wie gesagt, also wenn es weniger als sechs Stunden sind, dann können es immer noch Typen sein, die das genetisch können, mit wenig Schlaf auskommen, die einfach gar nicht so viel brauchen. Aber tatsächlich ist das ein wichtiger Punkt, dass man eben versuchen muss, auch als Politiker, immer wieder sein Schlafdefizit wieder auszugleichen, und zehn Tage hintereinander mit zu wenig Schlaf auskommen, das ist wirklich ein ernsthaftes Problem und kann man dann eben vergleichen mit der Leistungsfähigkeit von alkoholisierten Leuten. Zum Glück müssen die keine Lastwagen auf der Autobahn fahren.
Aber ich glaube nicht, ehrlich gesagt, dass wirklich dieser Schlafmangel bei den Politikern so chronisch sein muss, sondern wer gut damit umgeht, wer vielleicht auch zwischendurch einen sogenannten Power-Nap macht, der kann es schaffen, einen stressigen Tag zu haben, ohne wirklich chronisch Schlafmangel anzuhäufen. Wenn man das mal ein paar Tage macht, dann kann man das wieder nachholen. Es gibt Studien, wo Leute irgendwie zehn Tage oder vielleicht ein paar Tage weniger gar nicht geschlafen haben, die waren also sozusagen von ihrer Leistungsfähigkeit total fertig, und wenn man dann aber hinterher 24 oder 40 Stunden durchschläft, kann man nichts mehr messen, dass da irgendwas zurückgeblieben ist, jedenfalls nichts akutes. Also man kann den Schlaf dann schon wieder aufholen.
von Billerbeck: Einschätzungen waren das von Achim Kramer – irgendwie beruhigend, dass wir doch vielleicht nicht von Betrunkenen regiert werden –, Biochemiker und Leiter der Arbeitsgruppe Chronobiologie an der Berliner Charité. Ich danke Ihnen!
Kramer: Bitte!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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