Schlachtfeld Denkmal

Von Wolf-Sören Treusch · 30.01.2008
Berlin soll weitere Denkmäler und Gedenkstätten erhalten: einen "Ort der Trauer und des Gedenkens für die Opfer des Terrors" der Roten Armee Fraktion, ein Denkmal der "Freiheit und Einheit Deutschlands". Um den Standort wird gestritten: Leipziger Platz, Platz vor dem Reichstag, Brandenburger Tor oder Schlossfreiheit?
Zügig bahnt sich der Autoverkehr seinen Weg durch den Tiergarten, nur wenige der Insassen haben Zeit, einen Blick auf das zu werfen, was seit neuestem den Platz vor der Philharmonie "schmückt": ein grauer Bus aus Beton. Vor zwölf Tagen hat die Stiftung Topographie des Terrors das Mahnmal eingeweiht. Der graue Bus erinnert an die Euthanasiemorde der Nazis: genau von diesem Ort aus organisierte das NS-Regime die Ermordung von mehr als 200.000 kranken und behinderten Menschen. Bald soll der graue Bus durch ein dauerhaftes Mahnmal ersetzt werden – der Berliner Senat wird dafür im Laufe des Jahres einen Wettbewerb ausschreiben.

Das "Denkmal der grauen Busse" auf dem Vorplatz der Philharmonie ist nicht das einzige Mahnmal, das zurzeit in Berlin entsteht. Mindestens acht weitere Projekte sind in Planung: Mahnmale, Denkmale, Gedenkstätten, die fast alle daran erinnern sollen, dass Berlin Hauptstadt der Nazi-Diktatur und des DDR-Unrechtsstaates war. Es wird eng in Berlins Mitte. Bund und Land werden in den kommenden Jahren viele Hundert Millionen Euro investieren: in das Schlachtfeld "Denkmal" – oder wie die Beamten der Berliner Kulturverwaltung es formulieren würden: "in eine der wichtigsten Zukunftsressourcen der Stadt".

Rainer Klemke: " Was heißt viel? Wir haben diese Vergangenheit, Berlin ist das Rom der Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts, nirgendwo in Europa hat soviel Zeitgeschichte stattgefunden oder sind so viele Ereignisse von einer Stadt ausgegangen als in Berlin, und es ist unsere Geschichte, und Geschichte ist auch immer Kapital. Kapital zur Gestaltung der Zukunft durch Erinnerung an die Vergangenheit. Und Kapital auch in Form des Tourismus. Das einzige Kapital, was diese Stadt noch hat, sind die 24 Millionen Tagesbesuche, die mehr sind als es Rom derzeit hat. "

Dieter Hoffmann-Axthelm, Architekturkritiker und Stadtplaner: " Was mich hier vor allem stört, ist, dass das Gedenken übergreift in ganz andere Kategorien, nämlich dass es Stadtplanung wird. Das heißt, dass wir Teile der Stadt in ein Freiluftmuseum verwandeln, also die Stadt ist dann gar nicht mehr für die Städter da, sondern sie ist dafür da, dass sie von anderen besichtigt wird. Und da fängt das ganze Konzept an zu kippen, eine Stadt, die im Wesentlichen nur für die Touristen da ist im Zentrum, so eine Stadt möchte ich nicht haben. Da ereifert man sich jahrzehntelang über Rotenburg ob der Tauber und macht das hier mit einem anderen Konzept auf die gleiche Weise. "

Mindestens acht Mahnmale, Denkmale oder Gedenkstätten werden in Berlin also zurzeit geplant. Um einige von ihnen gab oder gibt es noch ähnlich heftige Debatten wie um die Errichtung des Holocaust-Mahnmals für die ermordeten Juden in Europa.

Lange hatte man zum Beispiel um das Mahnmal zur Erinnerung an die von den Nazis verfolgten und ermordeten Homosexuellen gerungen, jetzt soll es im Frühjahr endlich realisiert werden, gegenüber dem Holocaust-Mahnmal im Tiergarten: eine einzelne Stele mit einem Guckloch, durch das ein Video mit zwei sich küssenden Männern zu sehen ist. Nach Protesten von Lesben sollen im Zwei-Jahres-Rhythmus auch küssende Frauen gezeigt werden.

Ebenfalls im Frühjahr soll mit dem Bau des Mahnmals zur Erinnerung an die von den Nazis verfolgten und ermordeten Sinti und Roma begonnen werden. Auch darum war lange gestritten worden. Jetzt soll es im Tiergarten, in der Nähe des Reichstages entstehen.

Vage ist auch noch das Konzept für das seit Jahren debattierte und im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgeschriebene "sichtbare Zeichen" zur Erinnerung an das Schicksal der Vertriebenen. Bisher scheiterte die Umsetzung vor allem am Widerstand der polnischen Regierung, den Bund der Vertriebenen und ihre Vorsitzende Erika Steinbach an dem Projekt zu beteiligen.

Wolfgang Thierse, SPD, Vizepräsident des Deutschen Bundestages: " Dies ist nicht das Projekt des Bundes der Vertriebenen, sondern ein Projekt der Bundesrepublik Deutschland. Wenn man das genau so begreift: wir wollen der Geschichte, der Ursachen, der Opfer von Vertreibungen im Europa des 20. Jahrhunderts erinnern, und darin hat Deutschland ein wesentliches Kapitel geschrieben als Verursacher, als Vertreiber, aber dann eben auch als Opferland, wenn man das so begreift, dann gehört das durchaus in die deutsche Hauptstadt. "

"Einspruch!" hört man selbst aus den Reihen der SPD. Während Vizepräsident Thierse zu den engagierten Befürwortern eines Dokumentationszentrums gegen Vertreibung in der Hauptstadt gehört, kritisiert der Fraktionsvorsitzende der Berliner Landes-SPD, Michael Müller, den Koalitionsbeschluss auf Bundesebene.

Michael Müller: " Für mich ist entscheidend, dass es ein europäisches Projekt ist: also insbesondere mit unseren polnischen und tschechischen Nachbarn sollten wir das sehr eng abstimmen, wie so ein Vertriebenenzentrum, ein Gedenken der Vertriebenen aussehen kann, und wenn man es so eng abstimmt mit unseren Nachbarn, glaube ich, wäre es auch ein gutes und ein wichtiges Signal, einen Ort zu finden, der wirklich ein Gedenkort für alle Beteiligten sein kann, und ich glaube, das kann nicht die deutsche Hauptstadt sein. Vorzupreschen und zu sagen: so ein Zentrum muss es in Deutschland geben und es kann dann nur in Berlin errichtet werden, das halte ich für einen sehr problematischen Weg. "

Die deutsch-polnische Grenzstadt Görlitz hielte Michael Müller für einen geeigneten Standort, auf alle Fälle sollte die Bundesregierung vom Deutschlandhaus die Finger lassen. Dieses Gebäude, nur einen Steinwurf weit vom Potsdamer Platz entfernt, sei ungeeignet, da in ihm schon seit Jahrzehnten der Bundesverband der Vertriebenen seinen Sitz hat.

Wolfgang Thierse: " Dort hat vieles stattgefunden im Deutschlandhaus, es war nicht nur eine Außenstelle des Bundes der Vertriebenen, darüber wird man reden müssen, das halte ich für offen, es ist einer der Vorschläge, ob dieser Ort endgültig vergiftet ist, wie manche meinen, da habe ich meine Zweifel, am Schluss ist es auch, wie ich finde, eine pragmatische Entscheidung, die man zu treffen hat. "

Eine "pragmatische Entscheidung", von der Bundestagsvizepräsident Thierse glaubte, sie im vergangenen Herbst gefunden zu haben. Die Große Koalition einigte sich auf eine unselbstständige Stiftung unter dem Dach des Deutschen Historischen Museums in Berlin als "sichtbares Zeichen" gegen Vertreibung. Dann kam der Regierungswechsel in Polen, seitdem wird wieder neu verhandelt.

Vom Potsdamer Platz aus ein paar Hundert Meter weiter in südwestlicher Richtung befindet sich der Standort eines weiteren geplanten Mahnmals: der Bendlerblock, Sitz des Bundesverteidigungsministeriums. Hier soll in diesem Frühjahr ein 8 Meter breiter, 10 Meter hoher und 41 Meter langer Stahlbetonrahmen mit Bronzehaut errichtet werden, ein Ehrenmal für die Toten der Bundeswehr. Es ist den etwa 2600 Soldaten gewidmet, die seit 1955 bei Bundeswehreinsätzen ums Leben kamen, mindestens 69 von ihnen bei Einsätzen im Ausland. Verteidigungsminister Franz Josef Jung hatte im Jahr 2006 den Wettbewerb für das Ehrenmal ausgelobt, eine öffentlichkeitswirksame Debatte darüber hat es seither nicht gegeben.

Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Berliner Humboldt-Universität: " Wir tun uns ja auch sehr schwer, Soldaten irgendwo hinzuschicken oder auch nur die "Gesellschaft für technische Zusammenarbeit" oder Polizeiausbilder. Und weil wir uns so schwer tun damit, tun wir uns erst recht schwer, wenn sich herausstellt, dass das nicht nur ökonomische Kosten, sondern auch menschliche Kosten in Form von Opfern hat, also: haben wir eine gewisse Neigung, das beiseite zu drängen, was volkspädagogisch natürlich erst recht dafür spricht, ein solches Denkmal zu errichten, gewissermaßen als ein Zeichen nicht gegen das Vergessen, sondern gegen das Verdrängen. "

Wenn im Zusammenhang mit dem Bundeswehr-Ehrenmal öffentlich gezankt wurde, dann über die Frage, ob es sinnvoll sei, es in der deutschen Hauptstadt aufzustellen, dort, wo so viele andere Mahnmale und Gedenkstätten um Aufmerksamkeit buhlen, wo die Gefahr groß scheint, dass Mahnmale dieser Art zu so genannten Kranzabwurfstellen verkommen.

Herfried Münkler: " Das ist zweifellos richtig. Andererseits gilt dann natürlich: wenn wir in Berlin für alle ein Denkmal setzen und sehr darum bemüht sind, niemanden auszulassen, dann wäre es natürlich ein Skandal und tendenziell unmöglich, genau für die bei Auslandseinsätzen getöteten Bundeswehrsoldaten kein Denkmal zu haben oder zu sagen: "das stellen wir in den Teutoburger Wald gleich neben den Arminius" oder was weiß ich, "wir stellen es ins Kyffhäusergebirge gleich zum Barbarossaturm" oder so etwas. Nein, natürlich muss das dann auch in Berlin sein und in der Nähe dessen, von wo aus die Entscheidungen gefallen sind, in deren Folge irgendwo dann diese Leute zu Tode gekommen sind. "

Manches Mahn-, Denk- oder Ehrenmal befindet sich also noch im Planungsstadium, andere wie die Gedenkstätten, die an den DDR-Unrechtsstaat erinnern, existieren bereits, sollen aber in umfangreichem Maße erweitert werden.

Da ist zum Beispiel die Gedenkstätte im ehemaligen Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Hier soll in diesem Jahr in einem Architektenwettbewerb entschieden werden, wie bis zum Jahr 2011 aus dem ehemaligen Lager eine Ausstellungshalle werden soll.

Ebenfalls bis 2011, bis zum 50. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August soll die zentrale Mauer-Gedenkstätte in der Bernauer Straße ein neues Gesicht bekommen.

Manfred Fischer: " Herzlich willkommen zur Pressekonferenz, wir stellen das Ergebnis des Wettbewerbs zur Erweiterung der Gedenkstätte Berliner Mauer vor, und wir freuen uns, dass Sie gekommen sind, wir haben einen Gewinner, und was die Gewinner vorlegen, ist ein Gewinn für die Gedenkstätte. Ein Entwurf aus einem Guss. "

Regula Lüscher: " Und der erste Preis geht an, zu meiner Linken sitzen die vier Vertreter, der Oskar so genannt: an Mola/Winkelmüller-Architekten Luis Mola und Henner Winkelmüller, Berlin, Sinai/Woll/Schwarz/Faust-Landschaftsarchitekten, Herr Faust ist da, Berlin und Ausstellungsgestaltung ON-Architektur Christian Fuchs, Berlin. "

Vor wenigen Wochen stellten Manfred Fischer vom Verein Berliner Mauer und Senatsbaudirektorin Regula Lüscher den Siegerentwurf eines internationalen Wettbewerbs zur Erweiterung der Gedenkstätte Berliner Mauer vor. Ein Entwurf, der von der Jury mit einer klaren Mehrheit gewählt wurde.

Regula Lüscher: " Ganz herzliche Gratulation! (Applaus) Das Besondere an diesem Entwurf ist eben, dass die Verfasser den Mut haben, die Mauer nochmals zu errichten, aber als eine Art Vorhang. Ich glaube eben, dass dieser Vorhang, der ja auch durchlässig ist, gleichzeitig Zeichen der Hoffnung ist und der Befreiung. Dass er zwar räumlich da ist, das Zeichen, dass man sieht, welche Dimensionen diese Mauer auch hatte, aber man jederzeit durch diesen Vorhang treten kann und auf die eine oder andere Seite hinüber treten kann. "

Der Siegerentwurf markiert den früheren Verlauf der Mauer an der Bernauer Straße auf mehreren hundert Metern Länge durch eine Art Zaun. Er besteht aus 3 Zentimeter dicken und 2,50 Meter hohen rostigen Stahlstangen und ergänzt die wenigen noch vorhandenen originalen Mauersegmente und das bereits bestehende Mauer-Mahnmal zu einer riesigen 45.000 Quadratmeter großen Freiluftausstellungsfläche. Außerdem sieht der Entwurf einen zweiten Infopavillon vor.

Das ist "Gedenkwahn", sagt der Architekturkritiker und Stadtplaner Dieter Hoffmann-Axthelm: " Ich denke also, dass wir genug Mauergedenken haben, um die Gewichtung der DDR und der Trennlinie da ins richtige Licht zu rücken. Und wenn man da jetzt immer noch nachlegt, dann hat sich da was verselbstständigt. Das ist überhaupt nicht mehr aus dem Bewusstsein "was ist eigentlich Gedenken, was bedeutet das im Gesamten unseres kollektiven Erinnerungsvermögens"; das spielt überhaupt keine Rolle mehr, sondern da ist so ein Gedenk-Profitum im Gange, was sich verselbständigt hat. "

Rainer Klemke, der Fachmann für die Mauer-Gedenkstätte in der Berliner Kulturverwaltung: " Wer die gesamte Diskussion der letzten 10 Jahre nicht völlig verschlafen hat, hat lesen können – in allen Zeitungen übrigens, egal welche Ausrichtung – dass das Mauergedenken in Berlin unterbelichtet ist. Dass die Touristen nach Berlin kommen und fragen: Wo ist die Mauer? Wir haben 24 Millionen Touristen, wir haben hier jetzt im Jahr 2007 265.000 Besuche. Das ist zu wenig, wenn man weiß, dass in einer weltweiten Umfrage in 17 Ländern unter 29.500 Menschen ermittelt worden ist, dass das, was die Menschen in aller Welt mit Berlin verbinden, das Brandenburger Tor und die Mauer ist. Und die Frage: Wo war die Mauer, wie funktionierte das Regime?, die wird hier nach übereinstimmender Meinung aller Experten und der gesamten Öffentlichkeit bislang nicht ausreichend beantwortet, und das war der Motor zu sagen: Wir müssen hier etwas tun. "

Dieter Hoffmann-Axthelm: " Das ist auch vollkommener Unsinn: der Massentourismus mag weiter wachsen, aber der ist ja vollkommen bedient mit diesen Installationen, die bereits da sind. Wenn man guckt, wie der Tourismus funktioniert: der Massentourismus kommt im Bus, hält vor dem Mauer-Mahnmal, wenn sie noch ein bisschen Zeit haben, gehen sie noch auf den Turm, und dann verschwinden sie wieder im Bus. Es ist völlig undenkbar, dass das sich jetzt über die 1 Kilometer ausbreitet. "

Stadtplanungsexperte Hoffmann-Axthelm hielte es für wesentlich sinnvoller, stadtplanerische Maßnahmen zu ergreifen, um das Zusammenwachsen von Ost und West an dieser Stelle zu fördern. So wie man es an anderen ehemaligen Mauerabschnitten zwischen Wedding und Prenzlauer Berg oder zwischen Friedrichshain und Kreuzberg geschafft habe.

Dieter Hoffmann-Axthelm: " Mit dem Mauergedenken macht man genau das Gegenteil: Man errichtet die Mauer wieder. "

Rainer Klemke: " Es gibt hier zwei völlig verschiedene Strukturen: es gibt nach der Kahlschlagsanierung der 60er Jahre auf der Westseite in Wedding Sozialbauwohnungen mit einem sehr hohen Altersdurchschnitt und wenig Familien und keinen Geschäften und sonstigen Angeboten auf der Westseite, und es gibt auf der Ostseite eine Struktur von fast nur noch Eigentumswohnungen, wo Architekten, Regisseure, Medienmenschen wohnen. Wir können hier bauen, was wir wollen, es wird hier keiner von dem einen Bereich in den anderen gehen wollen. Aber: was wir können, ist eine Fläche schaffen, ein Forum schaffen, auf dem sie sich begegnen können. Wenn wir hier jetzt eine große Hochhausscheibe rein setzen, werden wir das sicherlich nicht erreichen. "

Dieter Hoffmann-Axthelm: " Das ist totaler Quatsch. Die Türken interessieren sich Null für die Mauer, und begegnen tun sie sich schon deshalb nicht, weil sie nicht über die Straße gehen. Aber: ich kann mir vorstellen, dass türkische Läden in Mitte installiert werden, und ich kann mir vorstellen, dass von Mitte aus Leute auch ins Brunnenviertel vorstoßen. Wenn man dafür die entsprechenden planerischen Voraussetzungen schafft. Dass so eine Situation nicht in Bewegung gebracht werden kann, das ist ja nun ein Armutszeugnis, wozu haben wir dann überhaupt noch eine öffentliche Planung, wozu haben wir dann eine Regierung? Wenn wir sagen, das bleibt so, dann brauchen wir eigentlich die ganzen Leute nicht, die sich damit beschäftigen. "

Eine große stadtpolitische Herausforderung stellt zurzeit auch der Platz dar, auf dem einst das Stadtschloss stand und wo immer noch der Palast der Republik abgebaut wird. Hier soll einmal das Humboldt-Forum entstehen, unklar ist, was mit dem verwahrlosten Stück Asphaltwüste in der südwestlichen Ecke des Platzes geschehen soll.

Frau von Kunstausstellung: " Gucken Sie mal, hier stand das Nationaldenkmal. Und da drunter ist ein Stützgewölbe, und dieses Stützgewölbe wird jetzt für Ausstellungen genutzt, und zurzeit ist da: Glasobjekte, Friesen und eine Klanginstallation. Gehen Sie mal runter. Kostet auch nix. "

Durch eine enge Luke konnte man im vergangenen Sommer in ein riesiges unterirdisches Ziegelgewölbe hinabsteigen und sich eine bizarre Kunstausstellung anschauen. Auf der Plattform über dem Stützgewölbe stand einstmals das wuchtige hohe Reiterstandbild Kaiser Wilhelms des Ersten. Das Nationaldenkmal für den Begründer des Deutschen Reiches von 1870/71. 1950 ließ das SED-Regime das Standbild einschmelzen. Heute gilt der Platz als großer Favorit im Rennen um den geeigneten Standort für das künftige nationale Freiheits- und Einheitsdenkmal.

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse: " Warum soll man nicht genau diesen Ort nehmen und ihm eine neue Bedeutung verleihen? Wir errichten nicht ein nationalistisches Denkmal, wir errichten nichts, was in irgendeiner Art mit preußischem Imperialismus zu tun hat, sondern wir erinnern mit einem Denkmal an die freundliche Seite der deutschen Geschichte, die es auch gibt, an die Freiheitsgeschichte, an das Glück der Wiedervereinigung. Warum soll man nicht genau ein solches Denkmal an einer Stelle errichten, wo genau einmal ein gegenteiliges Denkmal gestanden hat? Wenn es uns gelingt, das Humboldt-Forum zu errichten, dann wird das einer der lebendigsten Orte Berlins sein. Und wenn dann dort ein Denkmal unserer Einheits- und Freiheitsgeschichte steht, dann halte ich es dort nicht für falsch platziert. "

In knapp zwei Jahren, am 9. November 2009, pünktlich zum 20. Jahrestag des Mauerfalls soll das Freiheits- und Einheitsdenkmal stehen. Ein ehrgeiziger Plan, denn der Gestaltungswettbewerb für das Monument wird erst in den kommenden Monaten ausgeschrieben.

Wolfgang Thierse: " Ein solches Denkmal zu entwerfen, ist eine wahnsinnige Herausforderung. Wir wissen aus der Geschichte, wie Kriegerdenkmäler aussehen können, wir wissen aus der Geschichte, wie Opfer- oder Heldendenkmäler aussehen. Aber etwas vergleichsweise Abstrakteres künstlerisch darzustellen, nämlich Freiheitsgeschichte, das Glück der Einheit, da haben wir nicht so viel Erfahrung, deswegen bin ich sehr neugierig, sehr gespannt, wie dieser Wettbewerb ausgehen wird. "

Ein weiterer Risikofaktor: in dem Gewölbe unter der Plattform des ehemaligen Nationaldenkmals hat die Wasserfledermaus ihr Wochenstubenquartier. Und die steht unter Naturschutz.

Langsam, aber stetig entwickelt sich Berlin zur Hauptstadt der Mahnmale und Gedenkstätten. Mindestens acht Projekte sind in Planung: es wird eng in Berlins Mitte. Herfried Münkler, Politikwissenschaftler an der Humboldt-Universität.

Herfried Münkler: " Interessanterweise hat es am Ende des 19. Jahrhunderts nach der Reichsgründung überall in Deutschland ebenfalls eine solche Verdenkmalung gegeben: vom Arminius im Teutoburger Wald über den Turm auf dem Kyffhäuser, Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, Niederwalddenkmal, Walhall am Rhein, das Interessante ist nun, dass in Deutschland im Unterschied zu Frankreich und den Briten diese Denkmäler damals im Wald, in der Natur errichtet worden sind und nicht in der Hauptstadt, und jetzt könnte man sagen: in der Art und Weise, wie wir uns nun auf die Hauptstadt konzentrieren und damit auch eine Touristrecke für Denkmalsbegehung schaffen, haben wir gewissermaßen auch hier Anschluss an den Westen gewonnen, und das heißt: Verdenkmalung des Zentralbereichs. "
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