Schillers Helden auf dem Prüfstand
Vier Bleistifte bohren sich wie Pfeile aus einer Wand, auf die der Grundriss einer absolutistischen Schlossanlage tapeziert ist. Sie zielen auf eine plüschige Theaterbühne, in deren Mitte ein Medaillon von Friedrich Schiller hängt. Von Rechts blickt griesgrämig eine Gruppe anarchistischer Motorradhelden dem Besucher entgegen.
Dieses Panorama bietet sich jedem, der den Aufgang zur Jubiläumsschau im ersten Stock des Schiller-Museums hochsteigt. Doch nur die wenigsten werden wohl sogleich die Bedeutung dieser bühnenbildnerischen Komponente durchschauen.
Ein Problem, das die Aussteller gleich zu Anfang unbeabsichtigt aussprechen: Was kann eine Literaturausstellung leisten? Noch dazu, wenn sie sich ausschließlich mit den Theaterstücken eines Autors befasst? Zu dieser Kritik meint Ernst-Gerhard Güse, Museumsdirektor der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen in Weimar, der auch die Ausstellung konzipiert hat:
" Wenn Sie irgendwo ein Tintenfass von Schiller hinstellen, was sagt das über die Räuber? Oder wenn Sie die Söckchen ausstellen, wie das in Marbach passiert. Was sagt das, das ist klar. Und insofern ist natürlich auch das Problem bei der Darstellung von Inszenierungen gegeben. Selbst Fotos können nur andeuten, aber sie machen schon klar, in welcher Atmosphäre angesprochen wird, eigentlich durchs Bühnenbild oder auch durch die Kostüme der Schauspieler etc., in welche Richtung die Auffassung geht. Und das haben wir natürlich versucht, weiter zu ergänzen. Durch Zitate, durch Äußerungen der Regisseure, deutlich zu machen, was sie eigentlich bei den einzelnen Inszenierungen bewegt hat. Anders geht es nicht. "
Oder vielleicht doch. Die Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen hat es sich nicht leicht gemacht. Im Gegensatz zur Marbacher Ausstellung, die sich in weiten Teilen mit biografischen Aspekten von Schiller befasst, wollen die Weimarer die Aktualität von Schillers Geschichtsdramen auf den Prüfstand stellen. Doch die Frage, was Schiller als Dramatiker modern macht, wäre wahrscheinlich auf einem Theaterfestival oder in einer Filmdokumentation besser aufgehoben.
Insgesamt sieben Bühnenwerke stellen die Macher ins Zentrum von sieben Kapiteln, oder sagen wir sieben Szenen. Sie wollen auch ein junges Publikum ansprechen, zeigen darum nicht nur authentische Dokumente, Handschriften, Kalendereinträge oder Schillers Notizen. Fotos, Videos, Filmausschnitte, Bilder und Bühnendekorationen sind zu sehen.
Und um das Rätsel vom Anfang aufzulösen: Die Bleistifte, Synonym für die spitze Feder Schillers, durchbohren das Schloss Solitude, an das sich der junge Friedrich Schiller Zeit seines Lebens nur mit Widerwillen erinnerte. Acht Jahre lang musste er das strenge Leben auf der militärischen Akademie nahe Stuttgart erdulden, bis er nach Thüringen floh.
Bühnenbildner Gerd Wiener gliedert die Räume fast labyrinthisch an: Zuerst betritt der Besucher die Bühne der "Räuber". Doch dann ist es vorbei mit der Chronologie. Es sollen Fiesko, Don Carlos, Wallenstein, Maria Stuart, die Jungfrau von Orleans und schließlich Wilhelm Tell folgen. Aber man stolpert eher per Zufall in das Zentrum eines neuen Schauplatzes. Immerhin - die Räume selbst sind klar gegliedert. Ein schwarzer Rundbogen steht jeweils in der Mitte. Das geistige Gravitationszentrum sozusagen. Dort kann der Besucher die Entstehungsgeschichte der Werke nachlesen, Bilder von den Uraufführungen sehen.
Auf den Außenseiten der halbrunden Wände findet er spezielle Themen zum Werk. Bei den Räubern ist das zum Beispiel der Generationskonflikt. An Karl Moors Säule liest man: "Ich soll meinen Leib pressen in eine Schnürbrust, und meinen Willen schnüren in Gesetze". Ein Monitor zeigt eine Filmsequenz aus Schlöndorffs Film: Die verlorene Ehe der Katharina Blum, in der sie den lästigen Boulevard-Reporter erschießt. Karl Moors fragwürdiges Selbsthelferproblem sei bis heute aktuell, meint Jochen Klaus, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung.
"Böll ist, wenn sie schon das Problem ansprechen, dass man vieles nicht kennt, als Literaturnobelpreisträger auch für deutsche jüngere Leser nicht erledigt, wie ich glaube, sondern dass sind Texte und speziell die Ära der Katharina Blum, die nicht so umfangreich und verständlich sind. Es ist ja nicht alles, was er geschrieben hat, für die Jugend zu empfehlen, aber hier ist es ein Text, glaube ich, der einen sehr einfachen Plot hat. "
Aktuelle, vor allem kontrovers diskutierte Inszenierungen umkreisen dann die Zentren. Bei den Räubern sind es Fotos von Peter Zadeks Inszenierung von 1966, dann von Manfred Karge und Matthias Langhoff, deren Aufführung 1971 eine außerordentlich revolutionäre Jugend auf der Bühne der DDR zeigte. Und schließlich Bilder von Frank Castorfs Inszenierung von 1990, in der die Wendeereignisse eine große Rolle spielen.
Aber Fotos allein sprechen nicht mit dem Betrachter. Und darum erfährt der Besucher leider kaum etwas darüber, was diese Szenen einst ausgesagt haben oder in welchem Kontext sie standen. Es ist wie ein Sammeln von Informationen, leider oftmals ohne sie zu verstehen. Stiftungspräsident Hellmut Seemann sagt dazu:
"Es ist sicher richtig, dass die Ausstellung eine Herausforderung darstellt. Und zwar nicht nur für einen jungen Menschen, sondern auch für jemand, der sich eigentlich ganz gut auskennt in Schillers Dramatik. Der muss hier erst mal hingucken, worum es dann im Einzelnen jeweils geht. Aber ich finde auf der anderen Seite, dass ich mir als den Besucher dieser Ausstellung eigentlich auch, wenn ich mir eine Schulklasse denke, mir in einem der Kapitel vorstelle, mit der die Schulklasse sich beschäftigt hat. Also wenn die Schulklasse meinetwegen eine achte Klasse ist, die den Tell gerade gelesen hat, dann soll sie in Tell beginnen. Und soll gucken, was hat das mit dem, was wir gelesen haben, zu tun? Und ich glaube dann wird es schon sehr viel zugänglicher. "
Man benötigt Zeit, Muße und vor allem fachliches Interesse, um sich an den durchaus originellen Entdeckungen erfreuen zu können. Nur wer das mitbringt, hat eine Chance, zu verstehen, warum Friedrich Schiller bis heute ein moderner Dichter geblieben ist.
Service:
Schiller-Museum Weimar, 09.05.2005 - 10.10.2005
mittwochs bis montags 9-18.00 Uhr
Bis 30. September samstags 9-19 Uhr
Dienstags geschlossen
Ein Problem, das die Aussteller gleich zu Anfang unbeabsichtigt aussprechen: Was kann eine Literaturausstellung leisten? Noch dazu, wenn sie sich ausschließlich mit den Theaterstücken eines Autors befasst? Zu dieser Kritik meint Ernst-Gerhard Güse, Museumsdirektor der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen in Weimar, der auch die Ausstellung konzipiert hat:
" Wenn Sie irgendwo ein Tintenfass von Schiller hinstellen, was sagt das über die Räuber? Oder wenn Sie die Söckchen ausstellen, wie das in Marbach passiert. Was sagt das, das ist klar. Und insofern ist natürlich auch das Problem bei der Darstellung von Inszenierungen gegeben. Selbst Fotos können nur andeuten, aber sie machen schon klar, in welcher Atmosphäre angesprochen wird, eigentlich durchs Bühnenbild oder auch durch die Kostüme der Schauspieler etc., in welche Richtung die Auffassung geht. Und das haben wir natürlich versucht, weiter zu ergänzen. Durch Zitate, durch Äußerungen der Regisseure, deutlich zu machen, was sie eigentlich bei den einzelnen Inszenierungen bewegt hat. Anders geht es nicht. "
Oder vielleicht doch. Die Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen hat es sich nicht leicht gemacht. Im Gegensatz zur Marbacher Ausstellung, die sich in weiten Teilen mit biografischen Aspekten von Schiller befasst, wollen die Weimarer die Aktualität von Schillers Geschichtsdramen auf den Prüfstand stellen. Doch die Frage, was Schiller als Dramatiker modern macht, wäre wahrscheinlich auf einem Theaterfestival oder in einer Filmdokumentation besser aufgehoben.
Insgesamt sieben Bühnenwerke stellen die Macher ins Zentrum von sieben Kapiteln, oder sagen wir sieben Szenen. Sie wollen auch ein junges Publikum ansprechen, zeigen darum nicht nur authentische Dokumente, Handschriften, Kalendereinträge oder Schillers Notizen. Fotos, Videos, Filmausschnitte, Bilder und Bühnendekorationen sind zu sehen.
Und um das Rätsel vom Anfang aufzulösen: Die Bleistifte, Synonym für die spitze Feder Schillers, durchbohren das Schloss Solitude, an das sich der junge Friedrich Schiller Zeit seines Lebens nur mit Widerwillen erinnerte. Acht Jahre lang musste er das strenge Leben auf der militärischen Akademie nahe Stuttgart erdulden, bis er nach Thüringen floh.
Bühnenbildner Gerd Wiener gliedert die Räume fast labyrinthisch an: Zuerst betritt der Besucher die Bühne der "Räuber". Doch dann ist es vorbei mit der Chronologie. Es sollen Fiesko, Don Carlos, Wallenstein, Maria Stuart, die Jungfrau von Orleans und schließlich Wilhelm Tell folgen. Aber man stolpert eher per Zufall in das Zentrum eines neuen Schauplatzes. Immerhin - die Räume selbst sind klar gegliedert. Ein schwarzer Rundbogen steht jeweils in der Mitte. Das geistige Gravitationszentrum sozusagen. Dort kann der Besucher die Entstehungsgeschichte der Werke nachlesen, Bilder von den Uraufführungen sehen.
Auf den Außenseiten der halbrunden Wände findet er spezielle Themen zum Werk. Bei den Räubern ist das zum Beispiel der Generationskonflikt. An Karl Moors Säule liest man: "Ich soll meinen Leib pressen in eine Schnürbrust, und meinen Willen schnüren in Gesetze". Ein Monitor zeigt eine Filmsequenz aus Schlöndorffs Film: Die verlorene Ehe der Katharina Blum, in der sie den lästigen Boulevard-Reporter erschießt. Karl Moors fragwürdiges Selbsthelferproblem sei bis heute aktuell, meint Jochen Klaus, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung.
"Böll ist, wenn sie schon das Problem ansprechen, dass man vieles nicht kennt, als Literaturnobelpreisträger auch für deutsche jüngere Leser nicht erledigt, wie ich glaube, sondern dass sind Texte und speziell die Ära der Katharina Blum, die nicht so umfangreich und verständlich sind. Es ist ja nicht alles, was er geschrieben hat, für die Jugend zu empfehlen, aber hier ist es ein Text, glaube ich, der einen sehr einfachen Plot hat. "
Aktuelle, vor allem kontrovers diskutierte Inszenierungen umkreisen dann die Zentren. Bei den Räubern sind es Fotos von Peter Zadeks Inszenierung von 1966, dann von Manfred Karge und Matthias Langhoff, deren Aufführung 1971 eine außerordentlich revolutionäre Jugend auf der Bühne der DDR zeigte. Und schließlich Bilder von Frank Castorfs Inszenierung von 1990, in der die Wendeereignisse eine große Rolle spielen.
Aber Fotos allein sprechen nicht mit dem Betrachter. Und darum erfährt der Besucher leider kaum etwas darüber, was diese Szenen einst ausgesagt haben oder in welchem Kontext sie standen. Es ist wie ein Sammeln von Informationen, leider oftmals ohne sie zu verstehen. Stiftungspräsident Hellmut Seemann sagt dazu:
"Es ist sicher richtig, dass die Ausstellung eine Herausforderung darstellt. Und zwar nicht nur für einen jungen Menschen, sondern auch für jemand, der sich eigentlich ganz gut auskennt in Schillers Dramatik. Der muss hier erst mal hingucken, worum es dann im Einzelnen jeweils geht. Aber ich finde auf der anderen Seite, dass ich mir als den Besucher dieser Ausstellung eigentlich auch, wenn ich mir eine Schulklasse denke, mir in einem der Kapitel vorstelle, mit der die Schulklasse sich beschäftigt hat. Also wenn die Schulklasse meinetwegen eine achte Klasse ist, die den Tell gerade gelesen hat, dann soll sie in Tell beginnen. Und soll gucken, was hat das mit dem, was wir gelesen haben, zu tun? Und ich glaube dann wird es schon sehr viel zugänglicher. "
Man benötigt Zeit, Muße und vor allem fachliches Interesse, um sich an den durchaus originellen Entdeckungen erfreuen zu können. Nur wer das mitbringt, hat eine Chance, zu verstehen, warum Friedrich Schiller bis heute ein moderner Dichter geblieben ist.
Service:
Schiller-Museum Weimar, 09.05.2005 - 10.10.2005
mittwochs bis montags 9-18.00 Uhr
Bis 30. September samstags 9-19 Uhr
Dienstags geschlossen