Schiller heute vertonen

Von Bernhard Neuhoff |
Im Rahmen des Festivals Alpenklassik wird in der Reichenhaller Liederwerkstatt Schiller kreativ in die Gegenwart geholt. Vier bekannte Komponisten haben sich je ein Gedicht vorgenommen. Es sei der Reiz des Unmöglichen, meint einer von ihnen, die Worte des Dichters in Klang zu übersetzen.
Pflicht und Tugend, Elysium und Styx, der finstre Orkus und oh teures Weib - Franz Schubert stürzte sich noch ganz unbefangen auf Schillers Gedichte. Die Bildungswelt der Klassiker war nah und Schillers Pathos traf den Nerv der Zeit. Doch wie lässt sich sein hochfliegender Ideenschwung heute zum Klingen bringen? Wolfgang Rihm treibt die Schwierigkeiten bewusst auf die Spitze und versucht sich ausgerechnet an Schillers philosophisch-reflexiver Gedankenlyrik, wenn er den "Spruch des Konfuzius" vertont. Musik und Text reiben sich ganz offen aneinander, die Vertonung legt die Affekte bloß, die sich hinter den klassisch ausgewogenen Ideenwelten verbergen.

Als sperriger Dichter entpuppt sich Schiller in dieser Liederwerkstatt: Schiller vertonen, das hat den Reiz des Unmöglichen, auch für Wilhelm Killmeyer.

Killmayer: " Er hat kaum Texte geschrieben, die Musik anlocken. Überhaupt nicht. Es sind Gedankenlyrik oder es sind Balladen - entweder sind das Moritaten nicht, oder es ist halb dramatisch. Es sind auch nicht viele Balladen vertont worden. Schubert hat welche gemacht, Bürgschaft, dauert ne halbe Stunde - aber sonst weiß ich nicht - es ist interessant, etwas zu machen, wo man alleine ist nicht."

Schillers Balladen mit ihrem Tugendpathos, ihrer illustrativen Sprache und der dicht gedrängten Handlung, von Generationen fluchender Schüler auswendig gelernt und parodiert - wie soll man so was musikalisch in die Gegenwart holen? Killmeyer haben schon immer Dinge gereizt, die eigentlich nicht gehen, und so wird für ihn gerade das scheinbar Unzeitgemäße dieser Lyrik zum ästhetischen Reiz.

Killmayer: " Schiller hat sich nicht nur mit musikalischen Formen beschäftigt, sondern er war selbst Wortkomponist. Warum gehen diese Verse bei den Balladen so ein? Weil sie nämlich genau komponiert sind. Wenn ich Ihnen zum Beispiel eines, was alle kennen, sage: Ein frommer Knecht war Fridolin / Und in der Furcht des Herrn / Gehorsam der Gebieterin, / Der Gräfin von Savern. Das sind in den ersten zwei Zeilen dreimal fr und in der 2. sinds dreimal gr - dann noch der Reim dazu - man prägt es sich ein und es ist zugleich bereits eine musikalische Komposition. Noch deutlicher beim "Taucher". Wenn ich jetzt eine Parodie mache und eine Verszeile schüttele, dann hören Sie, wie die Gischt spritzt und wie das Wasser plumpst. Zum Beispiel: Verschlungen schon hat ihn der finstere Schlund - ich schüttle das: schlerfungen hon schlat ihn der schlinstere fund - da hören sie wie das spritzt und knallt."
Schiller als Lautpoet - die Parodie holt ihn in die Gegenwart. Aribert Reimann dagegen war zunächst ratlos, als auf Anregung der Reichenhaller Liederwerkstatt Schillers Gedichte durchsah:

" Schiller kam nie als Dichter auf mich zu, der Musik hineinlässt - meine Musik hineinlässt. Bei jedem Komponisten löst Schiller etwas anderes aus. Und bei mir löste er insofern kaum etwas aus, weil die Dichtung in sich so abgeschlossen ist, einfach auch vom rhythmischen Sprachgefüge, dass da für mich kein Raum war - ich wüsste nicht warum - übrigens ist das mit Goethe genau das Gleiche."

Mit Hölderlin, dem Dichter, dem letztes Jahr in der Reichenhaller Liederwerkstatt galt, ist das ganz anders. Seine Verse scheinen der Musik weit offen zu stehen, Hölderlin-Vertonungen boomen in der zeitgenössischen Musik. Aber Schiller? Reimann wollte schon aufgeben - da fand er in der zerlesenen Schiller-Ausgabe seines Großvaters mit Bleistift den Vermerk "S. 16". Er schlug nach - und stieß auf eine Liedeinlage aus Schillers großem Jugendwerk, den Räubern.

Reimann: " Bei diesem Gedicht, Amalia im Garten, was ja aus den Räubern kommt, was die Amalia dort zu Beginn des 3. Aktes singt, ist es anders, weil das Gedicht eigentlich eine Aneinanderreihung von Gedanken ist, von Beschreibungen. Also das Rückerinnern in ihr - und gleichzeitig immer wieder der Vergleich mit dem Meer, der Erde, der Luft, dem Raum, und dies Zwiegespräch zwischen ihrem Innern und dem Rum, das gab mir dann wiederum genügend Raum für die Musik, weil da nichts weiter festgelegt war, dass ich da nicht hineinkam, das gab mir eben genügend Spielraum und Klangraum vor allem."

Wenn Reimann ein Gedicht vertont, muss er vom Text ein Signal empfangen - das kann ein einziges Wort sein, das ihn fasziniert. Bei dem Amalia-Gedicht war es die Zeile "Und den Geist gewirbelt himmelwärts." Bezeichnenderweise hat Schiller gerade diesen Sturm-und-Drang-Vers später getilgt. Reimanns Musik dagegen lässt sich tragen von der alle Schranken des Ichs sprengenden Leidenschaft, die der junge Schiller riskiert. Entstanden ist so eine ganz unklassische Musik der Entgrenzung, mit atemberaubender Sicherheit gesungen von der jungen Sopranistin Mojca Erdmann.

Das Reizvolle an der Reichenhaller Liederwerkstatt ist, dass im gleichen Konzert auch Franz Schuberts Vertonung dieses Textes zu hören ist - ein Dialog über knapp 200 Jahre, und zugleich ein Dialog zwischen Musik und Poesie, zwischen den anwesenden Komponisten und den leidenschaftlich engagierten Musikern - und auch das Publikum kommt so zahlreich, dass schnell noch Stühle in den Saal getragen werden müssen. Von Schillermüdigkeit keine Spur in Bad Reichenhall.

Service:

Das Festival Alpenklassik findet in Bad Reichenhall vom 3. bis 21. August 2004 statt.