Schiller-Gala im Berliner Ensemble

Von Dirk Fuhrig |
Die vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels veranstaltete Berliner Matinee im Vorgriff auf den 200. Todestag Friedrich Schillers am 9. Mai brachte wenig Neues über den Dichter zu Tage. Zum Programm zählte eine Festansprache von Bundespräsident Köhler und eine Podiumsdiskussion, an der unter anderen BE-Intendant Claus Peymann und Schiller-Biograf Rüdiger Safranski teilnahmen.
Das Klassikerwort, hier in der vertonten Variante, ist noch stets bestens geeignet zur festlichen Umrahmung einer Feierstunde. Daran hat sich nicht viel geändert. Trotz des allgemeinen Klagens über die Unlust der "Jugend von heute" an den guten alten Dichtern.

Horst Köhler, der in Ludwigsburg aufgewachsene Bundespräsident und damit im engeren Sinne Landsmann des in Marbach geborenen Jubiläumsdichters Schiller, forderte daher Umkehr und Rückkehr: Den Schiller wolle er komplett und ganz sehen, meinte Köhler, nicht eingekürzt oder verhackstückt nach Art der modernen Klassiker-Zertrümmerer.

Horst Köhler: "Es hat gewiss eine Zeitlang die Notwendigkeit gegeben, die Klassiker zu entstauben und zu problematisieren. Aber das heute immer noch fortzusetzen, erscheint mir wie der Ausweis einer neuen arroganten Spießigkeit. Ein ganzer Tell, ein ganzer "Don Carlos", das ist doch was."

Nicht unbedingt ist das was - stellte Claus Peymann klar, der sich diesem vom Bundespräsidenten neu formulierten, aber natürlich schon häufig gehörten literarischen Traditionalismus mit der Verve des enthusiastischen Künstlers entgegen stellte:

Claus Peymann: " Da muss ich wirklich klar widersprechen. Wer die Kraft hat, einen Schiller oder Shakespeare so zu uns zu holen, der darf auch alles. Da ist nur die entscheidende Frage der Überzeugung und der Qualität. Ich meine das gar nicht bös, und ich höre auch gerne von einem anregenden intelligenten Amateur eine solche Meinung an, aber ich möchte wirklich abgrenzen, weil sehr schnell ist man mit einer solchen Meinung auf der Seite derjenigen, die dem Theater die Kraft absprechen, heute zu spielen und heute zu sein. "

Erst durch diese kontroverse Intervention des BE-Hausherrn Peymann erhielt Horst Köhlers Eröffnungsbeitrag nachträglich etwas mehr Farbe und Kontur. Seine "Rede über die Kulturnation" umschiffte die aktuellen Debatten über Bildungsnotstand oder Kulturföderalismus geflissentlich und streifte nur am Rande die Rechtschreibreform oder die Zukunft der deutschen Stadttheater.

Hörst Köhler bekannte sich zu seiner Verehrung für und seinen Stolz auf "unseren" Friedrich Schiller im Allgemeinen sowie zum Auswendiglernen von Gedichten im Besonderen.

Seiner Forderung, die Werke der Klassiker im Ganzen zu sehen oder zu hören, entsprach zumindest ein Programmpunkt während dieser vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels organisierten Schiller-Huldigung. Die Schauspielerin Therese Affolter rezitierte "Die Bürgschaft": Der Klassiker unter den deutschen Balladen – ungekürzt vom Anfang bis zum Schluss.

Moritz Rinke: " Wenn ich überlege, was nach den "Räubern" bei Schiller los war, dass sich die Menschen schluchzend in die Arme fielen(…) Ich hatte eben noch kurz gehofft, dass sich die beiden Bundespräsidenten sich schluchzend in die Arme fallen (...) Die Leibwächter auch. "

Auch Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker war während der Schiller-Ehrung im alten Bert-Brecht-Theater zugegen. Der zur jüngeren Generation zählende Theater-Schriftsteller Moritz Rinke beklagte die seltene Fähigkeit des zeitgenössischen Theaters, den Puls – oder den Schmerz – der Zeit zu erfassen.

Rinke: " Wo sind heute diese Momente, wo man denkt, ich bin mit dem Theater an einer Nahtstelle zur Gesellschaft. Da habe ich nicht das Gefühl. Es ist im Moment sehr schwer, sich im Theater zu bekennen. Also muss man eigentlich anfangen, die Moral – sehr schwieriges Wort schon für junge Dramatiker - wie muss man diese Moral transportieren. "

Das "Theater als moralische Anstalt" – heute schwierig. Doch auch schon bei Schiller nicht ganz so Pathos-geladen wie es uns meistens vorkommt. Rüdiger Safranski, der viel gerühmte Schiller-Biograf, verwies auf die praktischen Aspekte von Schillers Besserungs-Anstalt:

" Was so berühmt ist bei Schiller, das "Theater als moralische Anstalt". (…) Er hat sehr stark auf die moralische Pauke gehauen, als er diesen Aufsatz entwickelte.(…) Da wollte er gut betuchte, aber recht biedere und eben dem Nützlichkeitsdenken ergebene Herrschaften dafür gewinnen, das Theater stärker zu finanzieren. Und da musste man natürlich sagen: Theater macht die Leute besser."

Zu dieser überraschenden Erläuterung des Schiller-Experten hatte auch Claus Peymann das passende Bonmot:

" Wenn es so wäre, dass Theater die Menschen besser macht, müssten ja die besten Menschen die Theaterkritiker sein."

Heitere Schiller-Ehrung in Berlin. Vielleicht die beste Methode der Klassiker-Entstaubung.

Die Matinée im Vorgriff auf den Todestag des Dichters brachte wenig Neues über Schiller zu Tage. Köhlers Rede war eher blass. Die Diskussion zwischen Peymann, Safranski, Rinke und Ulrich Raulff vom Marbacher Schillerarchiv kam über einige Bonmots leider nicht weit hinaus. Ein festliches Schiller-Quartett ohne allzu viel Erkenntnisgewinn.