Schiller als Medienprofi

Von Oliver Seppelfricke · 23.04.2005
Die Ausstellung, die zuerst in Marbach und danach in Weimar zu sehen ist, gilt als eines der Highlights des Schillerjahres. Sie zeigt den Dichter als genialen Selbstvermarkter und Medienprofi, der sogar seine eigenen Werke anonym in Zeitschriften lobte. Obwohl Schiller später von seinen Einkünften leben konnte, hatte er zeitlebens Geldsorgen, was seine Haushaltsbücher belegen.
Friedrich Schiller, der große Idealist, war Realist genug, um zu wissen, dass noch vor den menschlichen Idealen die menschliche Natur kommt. "Selbst wenn die Weisheit in Person vom Olymp herabstiege und die vollkommenste Verfassung einführte", so heißt es einmal in den "Ästhetischen Briefen", "so müßte sie ja doch den Menschen (und man ergänze: den unvollkommenen Menschen) die Ausführung übergeben." In einer privateren Version (in einem Brief nämlich) lautet das Ganze so: "Ich stürze aus meinen idealistischen Welten, sobald mich ein zerrissner Strumpf an die wirkliche mahnt". Ganz private Sorgen. Und Zeit also, im Jubiläumsjahr mit all seinen vielen Veranstaltungen einmal einen anderen Blick auf den Menschen Schiller zu werfen.

Martin Schalhorn, einer der beiden Kuratoren der Schau: " Der Ansatz der Ausstellung war, dass wir einen historischen Schiller vorstellen wollten. Wir wollten allerdings nicht einen Schiller vorstellen, den es vielleicht ja seit dem 19. Jahrhundert vor allem gegeben hat, nämlich den großen Idealisten, der mit dem Leben nichts zu tun hat. Sondern wir wollten ihn wirklich einbetten in seine Zeit, in seine Lebensumstände. Und so ist die Idee entstanden, ihn auch nicht in einem Durchgang vorzuführen, sondern uns von verschiedenen Seiten ihm zu nähern. Weil von verschiedenen Seiten kommend eben Facetten ins Blickfeld rücken, die bisher in der Rezeption doch weitgehend unbedeutend geblieben sind, vergessen worden sind oder sogar bewusst ausgeschnitten wurden."

Die Ausstellung in Marbach interessiert sich vor allem für den Menschen Friedrich Schiller. Anhand von zahllosen Dokumenten wie Briefen, frühen Drucken, Gemälden oder auch Alltagsgegenständen wie Schillers Jacken und Strümpfen zeigt sie die private Seite dieses zunächst erfolglosen, dann schnell beliebten Großschriftstellers. Sie zeigt den arbeitswütigen Nachtschreiber, der Stimulantien wie Alkohol, Tabak oder Opiate brauchte, um wach zu bleiben; sie zeigt den genialen Selbstvermarkter und Medienprofi, der ein genauestes Gefühl dafür hatte, wie man erfolgreich mit Verlegern oder Presse umgeht; der sich anfangs eine erfundene Biografie gab, um sich interessant zu machen und um sich zu verstecken, der sogar seine eigenen Werke anonym in Zeitschriften besprach und lobte, kurz: der wusste, wie am eigenen Mythos arbeitet und wie man eine "Marke" schafft; und sie zeigt den treu sorgenden Vater zweier Kinder, der oft im Zwiespalt stand von Familie und Arbeit. Ein Workaholic.

Frank Druffner, der zweite Kurator: " Ein Raum ist diesem rechnenden, also wirklich mit den Zahlen umgehenden Schiller gewidmet. Er hat anfangs große Probleme im Umgang mit Geld, was er eben auch nie gelernt hat zum Beispiel auf der Karlsschule. Es kommt zu Schuldenanhäufungen. Allmählich treten Förderer und Mäzene auf, die ihn entlasten. Aber die Zahl und das Spiel mit der Zahl bleibt im Grunde eine Konstante in Schillers Leben. Er stellt große Arbeits- und Finanzpläne auf und er kalkuliert auch stets mit seinem Fleiß. Er führt Listen über Titel zu Dramen, zu Gedichten, zu Balladen, hakt ab, kreuzt durch, versieht mit Jahreszahlen, was erledigt ist, hat sich aber einen Ideenvorrat, ein Ideenkonto zugelegt, von dem er immer wieder abheben kann. Also das heißt, die Arbeit, die er eben - er rechnet immer mit seinem 50. Lebensjahr – vor sich sieht, die ist durchaus schon in konkretere Form geflossen. Es gibt eben von jedem Stück Manuskriptteile, die bereits begonnen sind, und das wäre im Grunde dieses Ideenkonto, von dem er dann später abhebt, indem er ein Stück zum Verlegen gibt."

Schiller brauchte die Stimulantien, um zu arbeiten, trieb aber seinen schwächlichen Körper damit in den Ruin. Der Dichter, der aus einfachen Verhältnissen stammend, sich zum Nationaldichter hocharbeitete und als einer der ersten Schriftsteller fast ganz von seinen Einkünften als Autor leben konnte, er hatte dennoch zeitlebens Geldsorgen. Die ausgestellten offenen Rechnungen bei Gasthöfen und eleganten Kleidermachern, die offenen Wechsel, das Haushaltsbuch, das er penibel führte - sie alle zeigen es.

Die Stelle als Regimentsmedikus hatte er, der studierte Mediziner, schnell geräumt, die Philosophieprofessur in Jena brachte auch kaum mehr ein als Ruhm und Ehre, und erst drei Jahre vor seinem Tod konnte er mit seiner Familie ein Haus beziehen, in dem er ein eigenes Schreibzimmer hatte. In der Mansarde.

Frank Druffner: " Ja, das war uns auch ganz wichtig, den zu zeigen, Schiller als Hausvater, wie es in der Zeit heißt, der sich um die Hauswirtschaft zu kümmern hat, um das Wohlergehen seiner Familie. Er kalkuliert immer, er berechnet immer, wieviel brauche ich, um meine Familie einigermaßen über die Runden zu bringen."

Friedrich Schiller war zweifelsohne der unterhaltsamste unter den anspruchsvollen Schriftstellern um 1800. Er schrieb, darauf wies der Literaturwissenschaftler Jochen Hoerisch hin, noch vor dem Fernsehzeitalter Tatortkrimis wie "Die Räuber" oder "Fiesko", Sex-and-Crime-Stücke wie "Maria Stuart" oder "Don Carlos", Dokudramen wie "Wallenstein" oder großes Gefühlskino wie "Kabale und Liebe". Keine Frage, dieser Schiller wusste, wie man das Publikum bewegt. Ein Medienprofi, ein Unterhalter als Aufklärer.

Und vielleicht war der "Moraltrompeter von Bad Säckingen", der schon als Kind gerne Predigten hielt, vielleicht war Deutschlands vielseitigster und im 19. Jahrhundert beliebtester Schriftsteller so eifrig, feurig und idealistisch, weil er von Anfang an wusste, dass ihm nicht viel Zeit blieb. In der Ausstellung in Marbach kann man das an den vielen Zeugnissen gut erahnen ...

Martin Schalhorn: " Vermutlich hat er dafür ein Sensorium gehabt, ich denke ja. Dieser ungeheure Fleiß, dieser Arbeitseifer, der uns heute teilweise ja doch sehr fremd vorkommt, den lernt er in der Karlsschule natürlich kennen, er internalisiert diese Form, es ist gleichzeitig auch das, was er von seinem Vater mitbekommen hat, dieses unermüdliche Schaffen, dieses Auf-sein-selbstgesetztes-Ziel-zustreben, und er verlässt die Karlsschule ja mit dem festen Vorsatz, Dichter zu werden, unsterblich zu werden durch seine Werke. Und aus diesem Mechanismus, aus dieser Verspannung zwischen dem eigenen Wissen um die schwierige Gesundheit, um die Labilität und den eigenen Plänen, die wirklich "götterpläneartig" ausgreifen auf etwas, was nun wirklich nicht gegeben ist, auch noch nicht absehbar ist am Anfang, diese Spannung, die treibt ihn immer wieder an."

Der Ausstellung in Marbach gelingt es, diesen Medienprofi Schiller genau unter die Lupe zu nehmen. Anhand weniger ausgesuchter Zeugnisse kann sie wichtige Themen und Lebensstationen Schillers zeigen. Kein Dichter auf dem hohen Sockel, sondern ein Mensch mit Alltagssorgen. Der Anspruch des neuen Leiters auf der Marbacher Schillerhöhe, Ulrich Raulff, geht damit auf: Das Literaturarchiv Marbach und das Schiller-Nationalmuseum erwachen seit einem halben Jahr aus ihrem ehrwürdigen Schlaf, die Zuschauer dürfen sich auf unterhaltsame Ausstellungen freuen... So kann man Literatur und Dichter zeigen!

"Das haben wir sehr bewusst versucht, diese Ausstellung auch so anzulegen, dass sie vielleicht nicht nur für den Spezialisierten und an Schiller als Poeten, als Dramendichter Interessierten etwas vermitteln kann. Einfach dadurch, dass wir auch Zeitfenster öffnen in bestimmte Phänomene und eine Ahnung vermitteln vom Leben, Arbeiten, vom literarischen Betrieb, von der Kultur am Ende des 18. Jahrhunderts."

Service:

Die Ausstellung "Götterpläne und Mäusegeschäfte" ist im Schiller-Nationalmuseum in Marbach am Neckar vom 23. April bis 9. Oktober 2005 und im Schiller-Museum Weimar vom 30. Oktober 2005 bis 17. April 2006 zu sehen.

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