"Schießt nicht auf den Mann am Klavier"

Von Matthias Thiel |
Schießt nicht auf den Mann am Klavier, vielleicht sitzt da schon keiner mehr. Dieser legendäre Satz des ehemaligen Kanzlers und SPD-Parteichefs Gerhard Schröder muss dem engsten Führungszirkel der Sozialdemokraten am Sonntag wohl durch den Kopf gegangen sein. Nicht umsonst haben sie eiligst einen Beschluss von Präsidium und Vorstand zusammengezimmert, um ihren Vorsitzenden Kurt Beck nicht auch noch öffentlich beschädigen zu wollen.
Der sitzt erst einmal nicht am Klavier, musste sich wegen der angeschlagenen Gesundheit eine Auszeit nehmen. So konnten bei dem traditionellen Nachwahlfototermin mit Blumenübergabe am Montag auch die peinlichen Bilder vermieden werden, die gezeigt hätten, wie viel Distanz zwischen dem Parteichef und Hamburgs Spitzenkandidaten Michael Naumann liegt. Denn nicht nur er, auch Becks Stellvertreter, die Fraktionsführung, viele Landesvorsitzende sind über ihren Vorsitzenden erbost.

Lange haben sie gerätselt, was ihn getrieben hat, die Linkspartei ohne Not hoffähig zu machen. Mehr oder weniger öffentlich distanzieren sie sich inzwischen. Die persönliche Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel. Aber man kann ja den Vorsitzenden nicht einfach im Regen stehen lassen. Das haben die Genossen in den letzten Jahren leidvoll gelernt. Wäre Becks Autorität sogar in aller Öffentlichkeit untergraben worden, hätte auch das Ansehen der gesamten Partei gelitten.

Also wird ein Formelkompromiss gefunden, der Frau Ypsilanti in Hessen freie Hand gibt und notfalls die Schuld an einem wie auch immer gearteten Pakt mit den Linken nach Wiesbaden schiebt. Doch was die Strategen nicht mit berechnet haben, ist die öffentliche Wahrnehmung.
Eine klare Abgrenzung zur Linken fehlt nämlich in dem Beschluss von gestern – also sei doch bitte heute keiner überrascht, dass alle inzwischen an der Standfestigkeit der SPD zweifeln. Entsprechend entsetzt reagieren die Gegner einer sozialdemokratischen Öffnung nach Links. Hektisch wird nun versucht, den ganzen hausgemachten Schlamassel irgendwie zu erklären.

Dem strategischen Fehler Becks hat die gesammelte Führung damit aber einen weiteren hinzugefügt. Wollen sie nun mit den Linken, können sie überhaupt oder dürfen sie nicht? "Fatal" nennt das alles der konservative Seeheimer Kreis in der SPD und merkt dabei gar nicht, wie er damit nicht nur den Parteivorsitzenden direkt, sondern indirekt auch der ganzen Partei schadet.

Denn es wird von Sozialdemokraten derzeit nur taktisch argumentiert, Inhalte zählen nichts. Wo sind zum Beispiel die Auseinandersetzungen mit Gysi und Lafontaine über die Finanzierbarkeit ihrer sozialen Wohltaten, die die Linken landauf, landab immer wieder versprechen? Keine Antwort auf die Frage, wofür man eigentlich diese SPD und nicht die Linken wählen sollte.

Nein, die Sozialdemokraten denken und reden gut eineinhalb Jahre vor der Bundestagswahl nur machtstrategisch. Und das möglichst vielstimmig. Die Folgen: Flügelkämpfe und Führungschaos. Und in Hessen treiben sie womöglich Liberale und Grüne doch noch in eine Jamaika-Koalition. Na dann hätten die Genossen was erreicht!

Übrigens: Politische Führung sieht anders aus. Apropos: Wer sitzt gerade am SPD-Klavier?