Schiefes Selbstbild einer Nation
Manfred Henningsen untersucht den Mythos Amerika in einem gleichnamigen Buch. Er räumt auf mit dem glorifizierten Selbstbild der USA, indem er verdrängte Aspekte wie Sklaverei und Vertreibung beleuchtet.
"Nach einer mehr als zweihundertjährigen Geschichte versichern amerikanische Politiker noch immer, dass sie in der besten aller historischen Gesellschaften leben. Die formelhaften Superlative des Selbstlobs werden mit der gleichen Begeisterung von den republikanischen und demokratischen Kandidaten geäußert."
Manfred Henningsen formuliert eine Beobachtung aus dem letzten amerikanischen Wahlkampf. Die ungebrochene Begeisterung für die Überzeugung, die USA seien das Beste, was man erreichen könne, erscheint Außenstehenden spätestens seit dem Vietnamkrieg, ganz sicher aber seit Iran, Abu Ghuraib und Guantanamo, etwas irreal.
"Der Abschied vom Mythos muss mit der Einsicht beginnen, dass er es legitimierte, Millionen von Indianern und Afrikanern nicht als gleichwertige Menschen zu behandeln."
Dies ist die Grundthese in Manfred Henningsens Buch über den "Mythos Amerika". Henningsen ist seit 1970 Professor für Politische Wissenschaften der Universität von Hawaii - wie man sich erinnert: Dort wuchs auch Barack Obama auf. Schon 1974 veröffentlichte Henningsen ein Buch zum "Fall Amerika", eine Studie – wie er es nannte - zur Bewusstseinsgeschichte einer Verdrängung. Das Thema, das er auch im vorliegenden Werk wieder aufnimmt, hat ihn schon über lange Jahre begleitet. Und so sind auch die einzelnen Kapitel dieses Buches unter dem Einfluss der vergangenen Jahrzehnte geschrieben – der Abschnitt "Zwischen Demokratie und Despotismus" beispielsweise ausdrücklich unter dem Eindruck der Bush-Präsidentschaft.
Im Norden des Landes konstatiert Henningsen die Ignorierung der Indianer in der Geschichte der Vereinigten Staaten und die selbstsichere Gewissheit bis in die jüngste Zeit hinein, dass die indianischen Ureinwohner nichts zur Gestalt der gegenwärtigen Zivilisation beigetragen hätten. Henningsen schreibt:
"Nicht einmal das Phänomen der Landnahme, das für annähernd dreihundert Jahre die nordamerikanische Geschichte bestimmt hat, wird im Sinne einer territorialen Enteignung diskutiert, da die Indianer ja keine europäischen Eigentumsvorstellungen hatten und deshalb selbstverständlich nicht enteignet werden konnten."
Manfred Henningsen beschreibt ausführlich und unter reichlicher Verwendung von Lektürefrüchten die ebenfalls verdrängte Geschichte der Sklaverei und des Rassismus. Er filtert heraus, dass sich die Pogrome weißer Südstaatler gegen die farbige Bevölkerung zum einen fast immer gegen erfolgreiche farbige Ärzte, Intellektuelle und Kaufleute richtete, die der weißen Lebensform nahe kamen, und zum anderen stets als flächendeckender Terror zur Vertreibung der Farbigen verstanden wurden. Henningsen vergleicht diesen von den südstaatlichen Behörden oft geduldeten oder sogar wohlwollend hingenommenen Terror mit der jahrhundertelangen Diskriminierung der europäischen Juden:
"Das Leben der Schwarzen in Amerika, vor allem im Süden der Apartheid, war jedoch grausamer in seiner Ausweglosigkeit, als es je für deutsche Juden im 19. und im 20. Jahrhundert vor 1933 gewesen ist."
Hennningsen unterstellt, dass der offene Hass gegen Schwarze Bestandteil der weißen Überlegenheitskultur gewesen sei, so dass es zu jeder Zeit zu einem volkstümlichen Ausbruch von rassistischer Gewalt kommen konnte, während der Judenmord in Europa von übergeordneten Strukturen befohlen und organisiert werden musste. Aber Henningsen kann nicht erklären, warum die Geschichte in Deutschland so und in Amerika anders verlief.
Henningsen beginnt sein offensichtlich über längere Zeit entstandenes Buch mit einem hoch verdichteten wissenschaftlichen Text. Zum Ende hin, wenn er einen Ausblick auf die Amtszeit seines hawaiianischen Landsmannes Barack Obama wagt, wird der Text leichter, lockerer, aber auch pamphletartiger. Henningsen beschwört, nachdem die finsteren Jahre der Bush-Ära durchschritten sind, die amerikanische Fähigkeit zum Pragmatismus und zur Neuorientierung.
"Die amerikanische Republik ist dabei, sich zu regenerieren. ... Das ungewöhnlich Neue am Obama-Phänomen ist, dass sich in einer Zeit, in der das Land in zwei Kriege verwickelt ist und eine unglaubliche Herausforderung des Finanz- und Wirtschaftsystems bewältigen muss, eine Mehrheit der amerikanischen Wähler entschieden hat, das Grundproblem der amerikanischen Politik, Gesellschaft und Geschichte, nämlich das Rassenproblem, politisch zu überwinden."
Besprochen von Paul Stänner
Manfred Henningsen: Der Mythos Amerika
Eichborn, Frankfurt am Main 2009
350 Seiten, 32 Euro
Manfred Henningsen formuliert eine Beobachtung aus dem letzten amerikanischen Wahlkampf. Die ungebrochene Begeisterung für die Überzeugung, die USA seien das Beste, was man erreichen könne, erscheint Außenstehenden spätestens seit dem Vietnamkrieg, ganz sicher aber seit Iran, Abu Ghuraib und Guantanamo, etwas irreal.
"Der Abschied vom Mythos muss mit der Einsicht beginnen, dass er es legitimierte, Millionen von Indianern und Afrikanern nicht als gleichwertige Menschen zu behandeln."
Dies ist die Grundthese in Manfred Henningsens Buch über den "Mythos Amerika". Henningsen ist seit 1970 Professor für Politische Wissenschaften der Universität von Hawaii - wie man sich erinnert: Dort wuchs auch Barack Obama auf. Schon 1974 veröffentlichte Henningsen ein Buch zum "Fall Amerika", eine Studie – wie er es nannte - zur Bewusstseinsgeschichte einer Verdrängung. Das Thema, das er auch im vorliegenden Werk wieder aufnimmt, hat ihn schon über lange Jahre begleitet. Und so sind auch die einzelnen Kapitel dieses Buches unter dem Einfluss der vergangenen Jahrzehnte geschrieben – der Abschnitt "Zwischen Demokratie und Despotismus" beispielsweise ausdrücklich unter dem Eindruck der Bush-Präsidentschaft.
Im Norden des Landes konstatiert Henningsen die Ignorierung der Indianer in der Geschichte der Vereinigten Staaten und die selbstsichere Gewissheit bis in die jüngste Zeit hinein, dass die indianischen Ureinwohner nichts zur Gestalt der gegenwärtigen Zivilisation beigetragen hätten. Henningsen schreibt:
"Nicht einmal das Phänomen der Landnahme, das für annähernd dreihundert Jahre die nordamerikanische Geschichte bestimmt hat, wird im Sinne einer territorialen Enteignung diskutiert, da die Indianer ja keine europäischen Eigentumsvorstellungen hatten und deshalb selbstverständlich nicht enteignet werden konnten."
Manfred Henningsen beschreibt ausführlich und unter reichlicher Verwendung von Lektürefrüchten die ebenfalls verdrängte Geschichte der Sklaverei und des Rassismus. Er filtert heraus, dass sich die Pogrome weißer Südstaatler gegen die farbige Bevölkerung zum einen fast immer gegen erfolgreiche farbige Ärzte, Intellektuelle und Kaufleute richtete, die der weißen Lebensform nahe kamen, und zum anderen stets als flächendeckender Terror zur Vertreibung der Farbigen verstanden wurden. Henningsen vergleicht diesen von den südstaatlichen Behörden oft geduldeten oder sogar wohlwollend hingenommenen Terror mit der jahrhundertelangen Diskriminierung der europäischen Juden:
"Das Leben der Schwarzen in Amerika, vor allem im Süden der Apartheid, war jedoch grausamer in seiner Ausweglosigkeit, als es je für deutsche Juden im 19. und im 20. Jahrhundert vor 1933 gewesen ist."
Hennningsen unterstellt, dass der offene Hass gegen Schwarze Bestandteil der weißen Überlegenheitskultur gewesen sei, so dass es zu jeder Zeit zu einem volkstümlichen Ausbruch von rassistischer Gewalt kommen konnte, während der Judenmord in Europa von übergeordneten Strukturen befohlen und organisiert werden musste. Aber Henningsen kann nicht erklären, warum die Geschichte in Deutschland so und in Amerika anders verlief.
Henningsen beginnt sein offensichtlich über längere Zeit entstandenes Buch mit einem hoch verdichteten wissenschaftlichen Text. Zum Ende hin, wenn er einen Ausblick auf die Amtszeit seines hawaiianischen Landsmannes Barack Obama wagt, wird der Text leichter, lockerer, aber auch pamphletartiger. Henningsen beschwört, nachdem die finsteren Jahre der Bush-Ära durchschritten sind, die amerikanische Fähigkeit zum Pragmatismus und zur Neuorientierung.
"Die amerikanische Republik ist dabei, sich zu regenerieren. ... Das ungewöhnlich Neue am Obama-Phänomen ist, dass sich in einer Zeit, in der das Land in zwei Kriege verwickelt ist und eine unglaubliche Herausforderung des Finanz- und Wirtschaftsystems bewältigen muss, eine Mehrheit der amerikanischen Wähler entschieden hat, das Grundproblem der amerikanischen Politik, Gesellschaft und Geschichte, nämlich das Rassenproblem, politisch zu überwinden."
Besprochen von Paul Stänner
Manfred Henningsen: Der Mythos Amerika
Eichborn, Frankfurt am Main 2009
350 Seiten, 32 Euro