Schieben und Zerren der Erdplatten

Diese nach dem Tsunami neu entstandene Inseln waren zuvor Teil der Provinzhauptstadt  Banda Aceh in Indonesien
Diese nach dem Tsunami neu entstandene Inseln waren zuvor Teil der Provinzhauptstadt Banda Aceh in Indonesien © AP
Vorgestellt von Susanne Billig |
"Plattentektonik" - unter diesem nüchternen Titel ist im Primus Verlag vor kurzem ein neues Sachbuch erschienen, verfasst von zwei Geologie-Professoren und Koryphäen auf diesem Gebiet: Wolfgang Frisch von der Universität Tübingen und Martin Meschede von der Universität Greifswald.
Auf zweihundert Seiten legen die beiden Autoren anschaulich dar, was es auf sich hat mit dem Schieben und Zerren der Erdplatten unseres Planeten, den "kontinentalen Grabenbrüchen", "Tiefseebecken" und "mittelozeanischen Rücken". Eine komplexe, wissenschaftlich anspruchsvolle Thematik, die von den beiden Autoren verständlich aufgefächert wird.

Was nun geschah Ende 2004? Vor Sumatra schiebt sich die indisch-australische Erdplatte in Richtung Nordosten unter die eurasische Platte. Normalerweise vollzieht sich diese Bewegung in unmerklich vielen kleinen Rucken. Nicht so am 26. Dezember 2004: Durch einen plötzlichen Ruck wurde der Meeresboden der eurasischen Platte teilweise bis zu dreißig Meter nach oben gepresst, und das auf hunderten von Kilometern Länge. Verheerende Flutwellen waren die Folge. Plastisch erklären Frisch und Meschede in ihrem Buch, was Tsunamis so gefährlich macht:

"Obwohl die Welle über 6000 Meter tiefem Ozeanboden mit mehr als 800 Stundenkilometern dahinrast, ist sie auf hoher See wegen ihrer großen Wellenlänge - über 500 Kilometer - und ihrer kleinen Höhe - circa ein Meter - kaum zu bemerken. Im seichten Wasser wird die Wellenlänge erheblich verkürzt, dafür bäumt sich die Woge zu einer bis zu mehr als dreißig Meter hohen Wasserwand auf. "

Seit der Antike, so berichten die Autoren, denken Naturforscher darüber nach, ob die sichtbaren Landmassen der Erde auf irgendeine Weise zusammenhängen, wie Gebirge entstehen und woher Erd- oder Seebeben kommen. Der deutsche Meteorologe Alfred Wegener war es, der Anfang des Zwanzigsten Jahrhunderts mit seiner Theorie der "Kontinentalverschiebung" als Wegbereiter der modernen Geodynamik auftrat. Diese stellt sich heute ungleich vielschichtiger dar als zu Wegeners Zeit, erläutern die Autoren:
"In den 1960er Jahren führten moderne Untersuchungen des schwer zugänglichen Ozeanbodens, vor allem aber die Entdeckung der magnetischen Streifenmuster zu beiden Seiten der Mittelozeanischen Rücken, zum Konzept des "sea floor spreading", der Ausbreitung des Ozeanbodens oder Ozeanboden-Spreizung, und brachten damit die feste Grundlage für die Theorie der Plattentektonik. "

Von wandernden Kontinenten spricht in der Geodynamik heute niemand mehr, sondern die so genannten "Litosphärenplatten" sind es, die sich bewegen - mächtige Landmassen, bestehend aus der Erdkruste und der darunter liegenden, obersten Schicht des Erdmantels. In ihrem Buch nehmen die Autoren uns mit auf eine umfassende Reise durch das Fachgebiet, es geht hinunter zu Vulkanen unterm Meeresspiegel und hinauf auf die Bergspitzen der jungen, hohen Gebirge - der Alpen und des Himalaja. Bis ins Zwanzigste Jahrhundert glaubten Geologen, Gebirge seien eine Art "Runzeln" in der Erdkruste, entstanden durch Abkühlung des ursprünglich heißen Planeten. Heute weiß man, dass Gebirge aus der Kollision von Erdplatten hervorgehen. Dabei werden Teile der Erdkruste ineinander geschoben, verformt und durch hohen Druck und hohe Temperaturen teilweise sogar aufgeschmolzen.

Das Buch "Plattentektonik" veranschaulicht diese Vorgänge auf großem Format mit ausgezeichneten farbigen Grafiken und Karten. Textkästen liefern zusätzliche Beispiele oder erläutern Fachbegriffe. Immer wieder greifen die Autoren zuvor Erklärtes noch einmal auf und fassen es zusammen, oder sie verweisen auf spätere Kapitel und nachfolgende Erklärungen - eine große Hilfe bei der Lektüre des dichten Textes, der bei fachfremden Leserinnen und Lesern ein viel Interesse und Mitdenken voraussetzt. "Plattentektonik" berichtet über weit mehr als Tsunamis - den Autoren ist ein fundiertes Nachschlagewerk zur modernen Geodynamik gelungen.


Wolfgang Frisch und Martin Meschede: Plattentektonik
Primus Verlag
39,90 Euro