Scherf: Man kann Bundesländer nicht "zwangsfusionieren"

Henning Scherf im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 29.10.2013
Der SPD-Politiker Henning Scherf hat sich in der wieder aufflammenden Debatte um eine Fusion von Bundesländern strikt gegen einen solchen Schritt gewandt. Letztlich müssten die Bewohnerinnen und Bewohner dies per Volksentscheid bestimmen. Man könne das nicht "von oben" verordnen.
Jörg Degenhardt: Aus zwei mach eins – wieder mal ist eine Fusion von Brandenburg und Berlin ins Gespräch gebracht worden, und zwar von keinem Geringeren als von Manfred Stolpe, dem früheren Ministerpräsidenten Brandenburgs. Dabei waren es doch seine Landeskinder, die 1996 bei einer Volksabstimmung die Fusion scheitern ließen. Wenig spricht dafür, dass eine neuerliche Abstimmung anders ausgehen könnte. Soll sich die Politik davon beeindrucken lassen? Es gibt ja durchaus eine ganze Reihe von Argumenten für das Zusammenlegen von Bundesländern, und nicht nur von Berlinern und Brandenburgern. Auch von einem Nordstaat ist immer mal wieder die Rede, in dem etwa auch Bremen aufgehen könnte. Ist das pure Spekulation oder gibt es Zeichen, dass die Reise mal in die Richtung Neuordnung der Länder gehen könnte? Henning Scherf ist jetzt am Telefon, von 1995 bis 2005 war er Bürgermeister und Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen. Guten Morgen, Herr Scherf!

Henning Scherf: Guten Morgen!

Degenhardt: 16 Bundesländer gibt es derzeit, das sind wie viele zu viel?

Scherf: Kein einziges! Ich glaube, wir tun klug daran, dass wir die gewachsenen Strukturen, die jetzt zum Teil ja Jahrhunderte alt sind und die so was wie eine identitätsstiftende Wirkung entfaltet haben, nach den schrecklichen Erfahrungen mit Zentralstaaten in der Nazi-Zeit und in der DDR-Zeit, dass wir die respektieren und dass wir beweisen dem großen Europa, das immer größer wird, beweisen, dass es bei uns möglich ist, die Großen und die Kleinen, die Flächenstaaten und die Stadtstaaten so intelligent miteinander zu verknüpfen, dass die anderen nicht durch uns bedroht sind. Stellen Sie sich mal vor, wir kämen auf die Idee und sagten das, was Sie jetzt gerade beginnen wollen, wieder beginnen wollen in Europa. Da wären die Luxemburger die Ersten, die haben nur halb so viel Bevölkerung wie das kleine Bremen und sind die Nummer eins in Europa. Und kein Mensch in Luxemburg will von irgendjemandem hören, du müsstest nach Frankreich gehören oder nach Belgien oder du müsstest nach Deutschland gehören. Die leben uns vor in der Mitte von Europa, wie man das macht, wenn man klein ist und wenn man trotzdem mit den anderen gut kann.

Degenhardt: Gehen wir mal die Sache pragmatisch an. Der jetzige Länderfinanzausgleich geht bis 2019. Wenn ich davon ausgehe, dass ein neuer verhandelt werden muss und diese Verhandlungen nicht erst 2019 beginnen können.

Scherf: Nein, nicht beginnen. Die müssen fertig sein!

Degenhardt: Dann wäre doch jetzt ein guter Zeitpunkt –

Scherf: Nein, die müssen fertig sein bis 2019.

Degenhardt: Richtig. Aber vorher müssen sie vorbereitet werden, das heißt, man könnte doch heute darüber nachdenken, ob man den Zuschnitt der Länder ändern sollte. Und ich hab zumindest einen Fürsprecher gefunden, der das ganz ähnlich sieht, nämlich Ihr Parteifreund Herr Stolpe. Hören wir mal, was er aktuell zur Debatte gesagt hat.

Manfred Stolpe: Das Geld wird knapp auf Bundesebene, und eines Tages wird dann eine Mehrheit im Bund verordnen, was wir zu tun und zu lassen haben. Es ist ja nicht ausgeschlossen, da munkeln ja die reichen Länder schon drüber, wir werden euch dann eines Tages zusammenpacken. Besser wäre aber, wenn wir das selber entscheiden und wissen, was wir tun.

Degenhardt: Besser wäre es, wenn es die Länder, auch Bremen dann, selber entscheiden können. Ist das nicht ein Argument, jetzt zu reagieren, ein Argument von Herrn Stolpe, das Sie, Herr Scherf, vielleicht ein bisschen beeindrucken könnte?

Entscheidung der Brandenburger gegen eine Fusion mit Berlin

Scherf: Ja, wir haben das ja beide – wir sind ja alte Freunde. Wir haben das ja beide damals auch diskutiert. Und ich hab damals in Brandenburg, weil ich da viele Freunde habe, nicht nur den Manfred, gesagt: Ich spüre, die wollen nicht nach Berlin, die wollen nicht von Berlin dominiert werden. Da sagte der Manfred damals: Du, ich kenn doch mein Land besser als du. Da sag ich, Manfred, überall, wo ich hinkomme, die wollen die Eigenarten dieses Landes Brandenburg nicht dominieren lassen wie immer in der Geschichte durch das großstädtische Metropolgebilde Berlin. Und so war es dann auch. Es gab eine ganz klare Mehrheit in Brandenburg gegen das. Und dann hat Matthias Platzeck das noch mal versucht, und der hat es gar nicht mehr richtig durchgeführt, weil er merkte, es gibt in diesem Land keine Bereitschaft, sich wie immer in Preußens Zeiten und in DDR-Zeiten, wie immer von der Metropole dominieren zu lassen, sondern die wollen ihre Eigenarten leben und wollen sie auch gewinnen. Die wollen die Leute mitnehmen, das ist ja der Witz. Man muss die Leute mitnehmen.

Degenhardt: Das ist die Frage, Herr Scherf.

Scherf: Und von den Großen gefressen zu werden, das hat nichts mit unserer Verfassung zu tun. In unserer Verfassung steht ganz eindeutig drin, es muss über eine Volksentscheidung in jedem Land überhaupt gültig werden.

Degenhardt: Das ist wohl wahr.

Scherf: Man kann die Leute nicht einfach von oben heraus gegen ihren Willen zwangsfusionieren. Das geht nicht. Diese Drohung ist gar nichts.

Scherf: "Wir müssen intelligente Lösungen finden"

Degenhardt: Herr Scherf, Sie loben den Föderalismus, aber wenig ist so gut, dass man es nicht noch besser machen kann. Oder trauen sich die Politiker nicht an das Thema Länderneugliederung heran – Sie haben es gerade angedeutet –, weil man sich daran letztendlich nur die Finger verbrennen kann?

Scherf: Wir müssen intelligente Lösungen finden, wie wir miteinander umgehen. Das brauchen nicht nur die Länder, das brauchen auch die Kommunen. Da gibt es ja auch gleiche Probleme. Da gibt es auch große und unterschiedliche, eingemeindete und nicht eingemeindete Kommunen. Diese bundesdeutsche Karte, die ist bunt wie kaum eine andere Karte auf der Welt, und da muss man intelligente Lösungen finden, wie Finanzausgleiche balanciert werden. Übrigens, wenn wir alleine wären, wir Bremer, und die Hamburger alleine wären. Wenn wir Monaco wären, wir würden viel besser klar kommen, als wenn wir in der Bundesrepublik sind. Unser Problem ist nicht, dass wir finanzschwach sind, dass wir wirtschaftsschwach sind, sondern wir sind ganz starke Plätze. Wir haben ein ganz hohes Bruttoinlandsprodukt, das höchste – Hamburg – in Europa. Und wir sind unter den ersten zehn. Wir haben das Problem, dass es noch keine faire Lösung gibt über den Ausgleich für die Pendler. Bei uns pendelt jeder Zweite von Niedersachsen nach Bremen.
Degenhardt: Das heißt, Herr Scherf, ich muss mir keine Sorgen machen, wenn 2020 die Schuldenbremse gilt, dann muss ich mir keine Sorgen um Bremen machen?

Scherf: Es muss eine Lösung geben, wie das Geld, was wir bei uns in Bremen verdienen und was steuerlich in die Kasse kommt, wie das fair verteilt wird. Zurzeit führen wir das Geld ab. Wir müssen abführen, und anschließend müssen wir sagen: Hey, wir haben zu viel abgeführt. Wenn wir das Geld, was wir erwirtschaften, behalten können, sind wir aus dem Schneider links raus. Das waren übrigens vor 1969 die ganze Zeit – wir waren bis '69 immer gebendes Land, Hamburg genauso, weil wir damals eine andere Zerlegung hatten. Da wurde zerlegt nach Arbeitsplätzen, und nicht nach Wohnort. Und das ist damals mit einfacher Mehrheit geändert worden. Und seitdem haben wir diese Probleme. Und seitdem gibt uns das Bundesverfassungsgericht recht: Das dürft ihr nicht mit einfacher Mehrheit im Bundestag ändern. Ihr habt eine verfassungsrechtliche Schutzfunktion für die Gründungsstadtstaaten.

Degenhardt: Ich habe in diesem Zusammenhang noch eine ganze Reihe von interessanten Fragen, aber ich merke schon bei Ihren Antworten, Herr Scherf, wir kommen da nicht weiter. Jedenfalls fehlt uns dafür die Zeit, aber erlauben Sie mir zum Schluss noch eine Frage. Sie haben ja die Bürger angesprochen, die befragt werden müssen. Das verlangt die Verfassung ganz klar. Und wichtig für deren Ja ist ja auch, dass es von der Mentalität her funktioniert. Wie wäre das eigentlich bei den Bremern und bei den Niedersachsen? Würde das denn passen?

Scherf: Wir machen ja Metropolregionen. Also, Bremen und Oldenburg und das ganze Umland ist eine Metropolregion. Und wir haben ganz gute gemeinsame Erfahrungen. Wir haben einen gemeinsamen öffentlichen Nahverkehr. Wir haben eine gemeinsame Wirtschaftsentwicklungsstruktur. Wir haben eine gemeinsame Tourismuswerbungsaktion. Die Universitäten sind näher zusammen in diesem Metropolregionraum als in ganz Niedersachsen zusammen.

Degenhardt: Na, das ist doch ein Anfang!

Scherf: "In der Praxis näher zusammenrücken"

Scherf: Ja – wir leben das, was Sie über einen Gewaltakt formal hinkriegen wollen. Ich finde wichtiger, anstatt Kraftakte zu machen, wichtiger, dass wir in der Praxis näher zusammenrücken und dass die Grenzen immer, immer irrelevanter werden. Übrigens, nicht nur die Grenzen zwischen Bremen und Niedersachsen und Berlin und Brandenburg, sondern die Grenzen in Europa überhaupt möchte ich gerne so niedrig wie nur irgend möglich machen und für niemanden einen Anlass geben zu sagen, ich will auf die eine oder die andere Seite. Wir müssen zusammenrücken und nicht uns gegenseitig aufreiben.

Degenhardt: Diese Botschaft ist angekommen. Soll sich die Republik ländermäßig neu sortieren? Darüber sprach ich mit dem langjährigen Bürgermeister der Hansestadt Bremen, mit Henning Scherf. Vielen Dank für dieses spannende Gespräch!

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