Schenker & Flüchter

Von Alexa Hennings (Beitrag 1) und Thomas Klug und Tim Lang (Beitrag 2) |
Weihnachten, glückliche Zeit? Nun, bei manchen sorgt sie für Schweißausbrüche. Zum Beispiel bei denen, die dem Fest unterm Lichterbaum zu entkommen suchen. Wegen der Geschenke, der Familie, der Feier etc. Andere wiederum haben da Glücksgefühle. Geben und Nehmen ohne Geld, so meinen sie, löse alle Probleme der Welt. So haben sie ihre Statuten und ein Versuchsprojekt Nr. 1: das "Haus der Gastfreundschaft" in Dargelütz.
Dargelütz, Mecklenburg. Ein Hof, der auf den ersten Blick aussieht als wäre er verlassen. Ist er aber nicht. Beim zweiten Blick entpuppen sich die bizarren Bauwerke aus dem Restmüll der Gesellschaft als Kompostklo, Holzlager, Wassertank und Erdhöhle. Jürgen Wagner, genannt ÖffÖff, ist angetan mit Stirnband, Schaffellen und einer Flickenhose. ÖffÖff muss erst mal mit dem Fuß den Sand beiseite schieben, der sich immer wieder vor dem Eingang seiner Erdhöhle sammelt. Zum Glück ist ÖffÖff klein, sonst würde er mit dem Kopf an die Decke stoßen.

" Hier habe ich ein Regal gebaut, ein Etagenbett. Hier ist noch eine kleine Ablage mit einem Tisch und einem drehbaren Stuhl davor. Hier ein ausgespiegelter Lichtkanal als Fenster. Durch die Spiegel wird das Licht reflektiert und hier in den Raum hinein geführt. Und das Etagenbett - oder das Regal, je nachdem - kann man als Lagerfläche nehmen, wo man dann auch schlafen kann. Wenn Moni und Hanna dabei sind, wo wir auch zu dritt ohne Weiteres hinpassen. "

Moni und Hanna, das sind Frau und Kind. Mit ÖffÖff und zwei anderen Leuten bilden sie den harten Kern der Schenker: wind-, wetter-, wasser- und geldresistent.

" Wir wollen Lebensformen finden, die ohne Staat und Geld auskommen. Wo man nur durchs Schenken und die Natur und Reste zurecht kommt. Und da ist es einerseits ein sehr einfaches und bescheidenes Domizil, was man sich herstellen kann. Dann ist es so, dass es als Behausung aus meiner Sicht ökologisch am günstigsten ist. Global denken, lokal handeln - da könnte man hinzufügen: Und in der Erdhöhle wohnen! "

Mit 13 schon kam er auf die Idee, dass es doch am besten sei für die Menschheit, wenn alle nicht mehr miteinander ab- und gegeneinander aufrechneten, sondern sich nur noch beschenkten. Freiwillig natürlich. Über den Umweg eines Theologie- und eines Philosophiestudiums, das auch keine Weltverbesserung erbrachte, kam er dazu, mit Anfang 30 auszusteigen und ohne Geld zu leben. Das ist jetzt 15 Jahre her. Inzwischen haben er und seine Mitstreiter ihren Ausweis zum Bundespräsidenten geschickt und erklärt, sie seien von nun an keine Mitglieder dieses Staates mehr. Worauf der Bundespräsident antwortete, aus einem Staat könne man nicht so ohne weiteres austreten. Was wiederum Jürgen Wagner, der sich entbürgerlichte und von da an ÖffÖff nannte, keineswegs störte. Nun legte er erst richtig los. Gründete die "Schenker-Bewegung" und diverse Unterstützer-Vereine, baute bei Löbau in Sachsen eine Einsiedelei names "Biotopia" auf und im mecklenburgischen Dargelütz das "Haus der Gastfreundschaft" - ein alterschwaches, aber großes Haus und einen Hof. Beides bekamen die Schenker geschenkt. Und das Geschenk teilen sie.

" Wir erheben den Anspruch, so bedingungslos und familiär wie möglich Menschen bei uns aufzunehmen. Es ist ein sehr einfaches Leben. Wir sammeln Reste - Fahrradteile, Baustoffe, Werkzeuge, wird alles gesammelt, ohne Geld. Es sind auch Lebensmittel dabei. Von den Resten kann man zum Teil ganz angenehm leben - aber wenn es eng wird oder die Verantwortlichen die Arbeit nicht machen, dann muss man darauf eingestellt sein, mit einer einheimischen Rohkost, einem Wildkräutersalat, den man den Leuten macht, dass man auch so mal leben muss. Oder dass man Holz hacken muss, wenn man im Winter nicht frieren will. Dieses einfache Leben, wo auch zum Teil Arbeit dazugehört, Handwerk, wenn man nicht frieren will oder Hunger haben will - das sortiert die meisten Menschen ein Stück. Wir nehmen jeden auf, aber viele streben doch eher danach, so lange es irgendwie geht, in einer Sozialwohnung mit Fernseher zu landen und sich zu betrinken oder zu rauchen."

ÖffÖff nennt das: Geschenkte Sozialarbeit für den Staat - obwohl er ausgetreten ist. Aber einer wie er kann es einfach nicht mit ansehen, dass es Menschen gibt, die keiner mehr haben will, die keinen mehr interessieren, die nicht mehr Mensch sein können und dürfen: Süchtige, Gewalttätige, Obdachlose. Und wenn ihn, wie vor ein paar Jahren geschehen, einer der Bewohner krankenhausreif schlägt, nimmt er ihn trotzdem wieder auf.

" Man muss sagen, das Werden der Menschen zu neuen Menschen ist ein extrem zähes Geschäft, da muss man sehr frustresistent sein. Trotzdem ist es so, dass die Leute hier einen Lebensort hatten, eine Anlaufstelle. Die hier ein Stück weit zur Ruhe kommen konnten. In keinem Fall hat es eigentlich die negativen Seiten bestärkt. Es gibt aber auch welche, z.B. ein jahrzehntelanger Alkoholiker, der hier trocken wurde und dann auch wieder mit seiner Familie zurechtkommen konnte - das gibt es auch. "

ÖffÖff begrüßt einen Bewohner, den er längere Zeit nicht gesehen hat. Die beiden Männer umarmen sich lange. Sie bleiben einfach stehen in ihrer Umarmung. Wann haben Männer wie Patrick wohl zum letzten Mal eine solche warme, menschliche Geste gespürt? Patrick zeigt stolz, dass er das Holzlager regendicht gemacht hat. Ein anderer weist seine Mehlwürmerzucht vor.

" Das ist allererste Qualität, da sind keine Antibiotika drin! Die schmecken gut, so in der Art wie Laugenbrezeln. Ich finde, es sollte jedem möglich sein, sich von draußen zu ernähren. Da wachsen überall Obstbäume und Nussbäume und Insekten fliegen herum. Auch Maikäfer sind nahrhaft! Angesichts der wirtschaftlichen Lage sowieso. Ich finde, wenn man das richtig macht - also, ich bin guter Hoffnung, dass ich ganz wegkomme von Hartz IV, also, ich arbeite dran."

Mehlwürmer und Maikäfer - das Leben ohne Geld kann schon hart sein. Zum Glück ist alles freiwillig bei den Schenkern, und wer will, isst lieber die - nur leicht -angematschten Paprika aus dem Supermarkt. Eine nette, gemütliche Nische ist das hier nicht. Gerade davon wollen sich ja die Schenker absetzen, von den alternativen Nischenbauern.

" Wir sind die Pioniere. Wir opfern uns auf. So wie anderswo die Polarforscher, die bereit waren, zu erfrieren, wenn sie den Nordpol finden wollten. Wir opfern uns auf, um die Basis für eine neue Kultur zu finden! "

Unter dem machen es die Schenker nicht. ÖffÖffs blaue Augen strahlen, wenn er vom Leben ohne Geld erzählt. Aber er sieht nun mal keine Alternative. Sozialismus? Kapitalismus? Alles schon gehabt. Jetzt geht es um Teilen und Liebe, meint ÖffÖff. Er findet, es sieht dafür nicht ganz hoffnungslos aus.

" Denn in den Beziehungen, die die elementarsten sind und für jeden Menschen auch am wertvollsten, in den Freundschaften, Familien und Liebesbeziehungen - da hat man das. Geschichtlich und logisch ist diese Art der Menschen, in Liebe zusammen zu leben, sich als Einheit zu fühlen, sich friedlich zu behandeln und miteinander zu teilen - das ist die Wurzel von allem! Und das ist auch der Kitt, der meiner Ansicht nach überhaupt noch unsere Gesellschaft zusammen hält. Wenn nur noch das Wolfsgeheul wäre, dann würde es hier noch ganz anders aussehen. "

ÖffÖff muss los. Er trampt nach Lübz, die nahe gelegene Kreisstadt. Dort setzt er sich mitten auf den Marktplatz und macht eine "gewaltfreie Aktion", wie er sagt. "Hartz IV und dann?" steht in roten Buchstaben auf einem Bettlaken. Und: "Wie stark kann man die Armen schikanieren, bevor es zum Aufstand kommt?" ÖffÖff setzt sich neben eine arbeitslose Frau und ihren Sohn. Beide haben seit fünf Monaten keinerlei Geld bekommen, Anträge wurden nicht beantwortet. Der Staat kann die Leute doch nicht zwingen, Schenker zu werden, ruft ÖffÖff. Eine junge Dame von der Lokalpresse eilt herbei und hört sich die ganze Geschichte an.
Sie darf nicht ohne die Internetadresse der Schenker gehen und bekommt zum Abschied noch eines hinterhergerufen:

" Man kann auch bei uns sagen: Wir träumen von der gewaltfreien Weltrevolution der Vernunft und der Liebe - lachen , Reporterin: Schön, ich drück Ihnen die Daumen! "

Beitrag 2 "Flüchter" von Thomas Klug und Tim Lang

Ein verregneter Wintertag. Eigentlich bleibt man bei diesem Wetter zu Hause, macht die Heizung an und kocht sich etwas Schönes, telefoniert mit der Verwandtschaft und checkt seine E-Mails am Computer, bevor man sich ein heißes Bad einlässt, entspannt Deutschlandradio hört und das Leben genießt – die Technik macht es möglich. Was aber, wenn man sich jeder Technik verweigert, weil sie krank macht, zu teuer ist und einem vom richtigen Leben abhält?

Wenn die Technik schweigt, ist Ruhe. Ruhe ist schwer zu ertragen. Wenn es eigentlich klingeln und rattern und schnaufen sollte. So als würde das Leben plötzlich stehen bleiben. Die Ruhe irritiert. Und eröffnet neue Welten. Wir suchen nach ihnen:

Die neue Welt muss hier sein, zwischen all den Fahrzeugen: Bauwagen, Zirkuswagen, Wohnwagen, ausrangierte Busse. Die neue Welt ist unwirklich. Der Geruch von brennendem Holz zieht über den Platz. Die Landschaft ist verwildert, zwischen den Wagen stehen Kunstobjekte. Es ist ruhig. Fast. Wir sind mitten in Berlin.

Dennis: " Mitten in Berlin, in einem superschönen naturnahe gelegenen Ort, ehemals Grenze, ehemals Niemandsland. Es ist auch symbolisch, das man hier lebt, zwischen allem und überlebt."

Dennis will er heißen. Ein Künstlername für den Lebenskünstler. Erzählen soll er, wie es hier ist. Na gut, ein paar Fragen beantworten, ja. Aber er wird in kein Mikrofon sprechen, auf keinen Fall. Aber Dennis hat ein Problem: Sein Holz muss trocken lagern. Ein paar Mal hat er schon versucht, eine Wellblechplatte über den Verschlag zu ziehen. Irgendwo klemmt es. Es wird jeden Moment regnen. Das Holz muss trocken bleiben. Davon hängt ab, wie er über den Winter kommt. Sein erster Winter hier draußen. Mitten in der Stadt. Und weit weg von Bequemlichkeit. Dann redet er doch in ein Mikrofon. Und wir helfen bei der Wellblechplatte.

" Ich habe studiert, ich habe gearbeitet. Ich bin Theaterpädagoge, Medienpädagoge und habe sehr viel auch mit Medien gearbeitet und habe mir dann gedacht so, ich brauche eine Veränderung und habe gesagt, ich brauche eine Distanz, weil ich gemerkt habe, es wird mir zuviel, zehn Stunden vorm Rechner sitzen und auch ständig Handywellen ausgesetzt zu sein. Und nun lebe ich hier, habe meinen Kamin mit Sichtfenster, ohne allen Pipapo und ich vermisse das auch nicht. Es ist wunderschön, wenn es dunkel wird und ich sehe dieses Feuer knistern. Als ehemaliges Dorfkind, wo man auch keinen Strom und gar nichts hatte – wer das einmal gelebt hatte, der kann das sehr gut nachvollziehen."

Dennis ist im Kaukasus geboren. Ohne Handy aufgewachsen. Ohne Computer. Als er in Berlin ankam, hat er all das benutzt, bis zum Verdruss. Stecker raus – als letztes Mittel. Der Stecker aus seinem alten Leben. Denn ein bisschen Handy, ein bisschen Computer - das hat nicht funktioniert:

" Natürlich kann man das sinnvoll nutzen. Aber momentan war ich in einer Lage, dass nicht kontrollieren zu können. Da war kein Einfluss, deshalb habe ich mich dem entzogen. "

Alles ist anders ohne Handy. Nicht nur der Alltag. Zum Duschen hofft man auf die umliegenden Häuser. Die Romantik in einem Zirkuswagen überschaubar, wenn Frost herrscht und das Holz nicht trocken ist. Das Leben ist anders. Und ein bisschen auch die Welt.

" Ich habe jetzt soviel Zeit. Ich nehme die Zeit ganz anders war. Also man teilt sich die Zeit ganz anders ein. Man nimmt sich Zeit zum lesen zum Beispiel. Das ist etwas, was bei mir verschüttet war. Es ist etwas bei mir verloren gegangen. Und ich schreibe auch viel mehr. Früher habe ich am Rechner gesessen, habe E-Mails geschrieben und MSN und Live-Geschichten usw. Nur, es ist auch schön, mal einen Brief zu schreiben. Können die Menschen denn noch Briefe schreiben, sich mal richtig zuhören, mal Tee trinken usw. Das geht alles Party, utz, utz. Utz."

Die Hunde haben etwas von Arbeitsteilung gehört. Während der eine bellt, schnüffelt der andere an uns. Wir suchen weiter nach den Menschen so ganz ohne Technik. Ein Fahrrad fällt um. Es gehört Sven. Vollbart, schmutzige Hände, Alter schwer zu schätzen. Sven guckt nach unten, überlegt kurz und versucht, nachdem er sein Fahrrad aufgehoben hat, Käse, Brot und Butter wieder einzusammeln - was er so zum Leben, zum Überleben, braucht. Alles andere hat er abgeschafft. Oder nie besessen. Alles was er hat, ist der Bauwagen. Und Zeit:

" Naja, das Ding ist, dass du die erste Zeit erstmal damit klarkommen musst, dass du halt haufenweise Zeit hast auf einmal und du hast halt Natur um dich herum.... Wenn mir langweilig ist, dann suche ich mir halt was, räum ein bisschen auf, oder lese oder ... Ich kriege den Tags schon rum, da muss ich mir keinen Kopp machen. Es gibt genug zu tun so irgendwie. Ich kann zu meinen Nachbarn, ich kann raus, dann lauf ich 5 Meter und da bin ich bei meinen Nachbarn, dann setz ich mich da hin erst mal da hin so bei Ihnen quatschen so irgendwie, mal gucken was der Tag noch so bringt und wenn er halt ein schlechten Tag hat gehe ich zum nächsten Nachbarn. Ich wohne mit 20 Leuten hier zusammen. "

Ein paar Schritte und an die Tür klopfen – das genügt, um sich beim Nachbarn anzumelden. Ein Wagendorf als Ort der kurzen Wege. Ein Telefon? Sven hat seines weggeschmissen. Gegen die Wand, wie er uns versichert:

Sven: " Nein, ein Handy hatte ich einen Monat lang und dann war ich so genervt, dass ich das Teil gegen die Wand geklatscht habe, weil eh, auf einmal haben dich irgendwelche Leute angerufen, eh wo ich mir gedacht habe: eh wo habt ihr meine Nummer her so irgendwie? …Ich bin ja meistens ans Handy drangegangen die erste Zeit, später habe ich es halt dann nicht mehr gemacht und dann sagten die Leute: Eh du hast doch ein Handy, warum gehst du denn nicht mehr dran, so? Naja, weil ich halt nicht genervt werden will also ich mein, so dann habe ich es halt mal irgendwann dann aufgegeben…, weil ich mein, eh. In den 90er Jahren habe ich auch keine Handy gebraucht, wenn ich halt vorbeigehen wollte, dann bin ich halt vorbeigegangen, so und entweder war er halt zu hause, oder ich habe einen schönen Spaziergang gemacht. Also ich brauchte ein Handy nicht um jederzeit erreichbar zu sein, so."

Sven sagt das und wirft das letzte Stück Butter in seinen Korb. Dann nimmt er den Lenker in die Hand, Sven, der Mann mit dem Vollbart und ohne Handy. Ja, so ist es, sagt er. Und wir freuen uns über jemanden, der ganz ohne Technik lebt. Und dann erzählt uns Sven von seinem Computer:

" Ja, weil ich brauch halt einen Computer für die tristlosen Winterabende halt eigentlich und weil sonst sitzt du halt so fest hier irgendwie und draußen (husten) ist schon um 4 Uhr dunkel halt so irgendwie und na ja und da muss man sich halt irgendwie unterhalten können und abends wenn dann so schlechtes Wetter ist stehen wir auch nicht draußen oder machen kein Lagerfeuer, also hockt jeder für sich so im Bauwagen und guckt wie er die Zeit rumkriegt."

Der Computer läuft, solange die Autobatterie es will.

Wir treffen Ronja. Sie steht neben ihrem Bus und zündet ihre Haschpfeife an. Gefüllt mit Tabak. Das ist ihr noch geblieben. Alle anderen Süchte hat sie aufgegeben, die Ronja aus dem Ostblock, wie sich vorstellt. Eigentlich aus der Nähe von Schwerin. Wir haben Glück. Sie hat Zeit. Noch. Am nächsten Tag wird sie mit ihrem dunkelgrünen Bus unterwegs sein. Erst ein paar Tischlerarbeiten und selbst gemachte Süßigkeiten verkaufen, dann auf die Reise gehen über Ägypten nach Indien – mit dem Bus, der erst noch durch den TÜV muss.

Ronja: " Ich habe halt ein halbes Jahr meine Miete nicht mehr zahlen können, bin ganz schwer auf Drogen gewesen. Der einzige Weg für mich war erst mal abzuhauen aus der Wohnung, aus der Stadt, egal wie, ich hatte keine Kohle, nichts. Mich in einen Zug reingesetzt, dort eingeschlossen auf Klo und erst mal ab nach Hamburg. Dann habe ich die Szene live gesehen und hatte die Wahl jetzt ganz abzustürzen und einem halben Jahr steht in der Zeitung, ich bin tot oder aber ich schaffe jetzt den Schritt und gehe da raus. Und das habe ich dann auch gemacht. "

Wir sollen uns setzen, sagt Ronja und zeigt auf feuchte Baumstümpfe. Ronja hat sich entschieden. Sie will die Distanz zu ihrer Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die auch von anderen Abhängigkeiten geprägt war. Abhängigkeit vom Computer und vom Handy.

" Ich bin eine Last los geworden, eine sehr große Last. Das ist wie vorm Computer die ganze Zeit zu sitzen und nicht loszukommen, weil man irgendeinen Klick noch offen hat. Die ganze Wahrnehmung verändert sich.(…) Ich habe Kopfschmerzen bekommen und fürchterliche Wut. Diese Unausgelastetheit. Der Körper verweilt da in einer Starre und hat überhaupt keinen Ausgleich, er will im Prinzip etwas ganz anderes, Freiheit. Und der Kopf steigert sich darein und kriegt einen halben Nervenzusammenbruch, wenn das nicht funktioniert. "

Ronja verzichtet nicht. Ihr fehlt nichts. Gefehlt hatte ihr vorher etwas, als sie stundenlang telefonierte:

" Da kommt kein Gefühl mit, mit dem Handy. Es wirklich von sich aus mal auszuhaben, das wirklich mal auszuprobieren. "

Auf der Suche nach Freiheit hat sich Ronja auf den Weg gemacht. Ein Handy hat sie aber trotzdem noch – nur für den Notfall und den ADAC. Wir haben auf unserer Suche nach einem Lebensraum ohne Technik und Komfort nur den Kompromiss gefunden.