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Von Maria Riederer · 31.01.2009
In der tansanischen Stadt Arusha gibt es ein Internat für Mädchen, die ihre eigentliche Heimat nur in den Ferien sehen. Die Gründe, warum sie dorthin kommen, sind vielfältig. Sie sollen dort lernen, selbst über ihr Leben zu entscheiden, und eine gute Schulbildung bekommen.
Mädchen singen und trommeln ein Massai-Lied.

"Ich heiße Nembuan, mein Vater heißt Loserian, deshalb heiße ich Nembuan Loserian, und ich komme aus Malambo."

Nembuan ist 13 Jahre alt. Sie sitzt auf einer Bettkante zusammen mit ihren Freundinnen Leah, Namayana, Noela und Dora. Sie alle kommen aus Malambo, einem Dorf inmitten der Massai-Steppe am Rande der Serengeti. In flüssigem Englisch erzählen die Mädchen von ihrer Heimat, die sie nur in den Ferien sehen, weil sie ein Internat in der Stadt Arusha besuchen.

"Ich lebe in einem Boma. Das ist ein Ort, an dem mehrere Häuser in einem Kreis stehen. In unserem Boma sind es sieben Häuser, manche sind aus Lehm mit Strohdächern, andere ganz aus Stöcken und Kuhdung. Außen herum liegt Dornengestrüpp, damit Löwen und Hyänen draußen bleiben"


Als Nembuan in die Schule kommen sollte, gab es in der Dorfschule in Malambo keine passende Klasse für sie. Die christliche Organisation "Hilfe für die Massai" brachte das Mädchen, eines von sieben Kindern und Pflegegekindern, in ein Internat in der Stadt. Kein Mädchen wird grundlos aus seiner Heimat herausgeholt. Die Gründe, warum Mädchen - ab vier Jahren - ins Boarding kommen, sind vielfältig, erzählt Jutta Rödig, die Leiterin des Internates:

"Die Jüngste, die wurde Anfang diesen Jahres in einem Boma gefunden von einem Pastor, der sie dann zu uns gebracht hat, weil er kennt unser Haus und weiß, dass wir Massai-Mädchen aufnehmen, und Nembris hat also keine Eltern mehr. Sie war knapp vier Jahre alt damals und wog gerade mal siebeneinhalb Kilogramm, die Mutter war gestorben, der Vater hat sie zurückgelassen bei seinen Eltern, die selbst nichts zu essen hatten, und als sie hier ankam, war sie praktisch wie ein wildes Tier erstmal."

Nembris singt. Wer das kleine Mädchen jetzt - nach einem halben Jahr - kennenlernt, kann diese Geschichte kaum glauben. Nembris ist fröhlich, stabil und sehr selbstbewusst. Sie besucht jetzt einen englischsprachigen Kindergarten.

"Manche Mädchen in der Massai-Steppe gehen nicht zur Schule, weil sie zu arm sind und weil auch ihre Eltern keine Schule besucht haben. Manche von den Eltern sind wirklich dumm und erlauben ihren Kindern nicht, in die Schule zu gehen. Sie sagen: Nein, du gehst nicht zur Schule. Dann bleibt das Mädchen die ganze Zeit zu Hause, bis sie beschnitten wird und verheiratet wird und zu ihrem Mann zieht. Sie ist dann noch sehr jung.

Manche Freundinnen sind in meinem Alter schon verheiratet. Eine hat sogar schon ein Baby. Sie wurde schon letztes Jahr verheiratet, da war sie 13. Sie hat geweint und geweint, aber sie konnte nichts tun. Ihr Mann hat sie einfach mitgenommen."

Für alle Mädchen im Boarding ist klar: So ein Leben wollen sie nicht. Sie sind gegen die Beschneidung von Mädchen und gegen jede Art von Zwangsheirat. Das ist auch ein Ziel der Erziehung im Internat: Die Mädchen sollen lernen, zu entscheiden.

Jutta Rödig: "Das ist für mich ein ganz besonderer Punkt, dass die Mädchen wissen, ich kann über mein Leben eine Entscheidung treffen. Ich muss nicht von meinem Vater oder von der Familie oder von dem Ehemann mir alle Entscheidungsfreiheit wegnehmen lassen. (...) Es ist so eine Gratwanderung.

Die Mädchen leben in Afrika, leben ihr afrikanisches Leben, und sie spüren aber auch, dass es noch was anderes gibt - gerade hier im Internat, also dadurch, dass sie zwar in einem Bett schlafen, auf einer Matratze, aber eben doch zu zweit. Im Boma würden sie eben auf einer Kuhhaut zu zweit, zu dritt, zu viert schlafen."

Mädchen waschen ihre Wäsche, Reden und Kichern. Jeden Nachmittag nach der Schule müssen die Mädchen ihre Kleider waschen, ihre Socken, ihre Schuluniformen. Zum Duschen schleppen sie Eimer mit Wasser in einen Waschraum. Für die Mädchen ist das alles normal.

Schuften ist Frauensache im Massai-Land, wo die Mütter Häuser bauen, Feuerholz sammeln und natürlich die Kinder herumschleppen. Das wissen die Mädchen im Internat, und es schreckt sie nicht, wenn sie darüber nachdenken, dass dies eines Tages auch wieder ihr Leben sein könnte.

"Wir sind gerne hier, weil wir hier eine gute Ausbildung bekommen. Aber in Malambo ist es schön, weil unsere Eltern dort sind. Wir sind auch gerne zu Hause und arbeiten dort."

"Ich will gerne auch später im Boma leben. Ich will meine Kultur ja nicht vergessen. Dann baue ich meinen Eltern ein neues Haus und wohne wieder in Malambo."

Inzwischen gibt es in Malambo eine Privatschule, gegründet von "Hilfe für die Massai". Obwohl die Schule hier längst nicht so gut ausgestattet ist wie Schulen in der Stadt, ist es doch ein Luxus, dort Schüler zu sein. Der Andrang ist groß, denn jeder im Dorf merkt, dass dies eine gute Schule ist.

Die meisten Kinder, die hier oder im Internat in Arusha aufgenommen werden, haben Paten aus Deutschland oder anderen Ländern, die ihnen das Schulgeld bezahlen - immer in Zusammenarbeit mit den Eltern, die ebenfalls einen Beitrag zahlen müssen.

"Die Paten schreiben uns Briefe zu Weihnachten, aber ich habe meine noch nie getroffen."

" Wir danken Gott dafür, dass er uns jemanden gegeben hat, der uns die Schule bezahlt. Ich habe meinen Paten sogar schonmal getroffen. Er ist hierher nach Afrika gekommen und hat mir ein Bild von seinen Kindern gezeigt."

Jutta Rödig: "Ich lebe ja jetzt intensiv mit den Kindern zusammen, ich habe noch nie gemerkt, dass ein Kind auf das andere neidisch war, weil der jetzt eben einen Brief mit Stickern bekommt oder sowas, im Gegenteil, das wird dann eigentlich schon geteilt. Oder wenn jemand ein Geschenk schickt, einen Ball oder so was, das wird immer für alle Kinder verwendet - oder Buntstifte, das geht dann eben in die Gruppe und nicht unbedingt an dieses einzelne Kind."