Scheer rechnet mit Problemen bei AKW-Laufzeitverlängerungen

Hermann Scheer im Gespräch mit Jan Kitzler · 22.01.2010
Der Träger des Alternativen Nobelpreises Hermann Scheer (SPD) zweifelt nach dem Treffen von Energiekonzernen und Regierung im Kanzleramt an den angekündigten Laufzeitverlängerungen für die Atomkraftwerke.
Jan Kitzler: Bei der Kernenergie scheiden sich die Geister. Für die einen ist es die zeitgemäße Art, Strom herzustellen, andere sagen, Kernkraft hat nur eine Brückenfunktion, und die Gegner meinen, Kernkraft ist gefährlich und letztendlich gar nicht mal so günstig und sauber, wie die Energiekonzerne behaupten. 17 Kernkraftwerke gibt es noch in Deutschland, und der unter der rot-grünen Bundesregierung geplante Ausstieg aus der Atomkraft sieht vor, dass bis 2022 etwa alle Meiler abgeschaltet sind. Sieben sollen sogar schon bis 2012 vom Netz gehen. Doch seit Schwarz-Gelb an der Regierung ist, wittern die Stromkonzern Morgenluft und wollen die Regierung zum Ausstieg aus dem Ausstieg bewegen. Gestern sind sie im Kanzleramt vorgefahren, um über längere Laufzeiten für ihre Atomkraftwerke zu sprechen. Darüber spreche ich jetzt mit Hermann Scheer, dem SPD-Bundestagsabgeordneten und Präsidenten von Eurosolar. Guten Morgen!

Hermann Scheer: Guten Morgen!

Kitzler: Die Bundesregierung will es ja anscheinend langsam angehen lassen und sich erst bis zum Sommer entscheiden, wie man mit den Atomkraftwerken weiter umgeht. Das ist doch eigentlich ein gutes Zeichen, oder?

Scheer: Ja, für diejenigen, die von der Aufkündigung der Laufzeitbeendigung nichts halten, ist es ein gutes Zeichen. Es ist allerdings auch für mich nicht so unbedingt überraschend, denn es hat sich so leicht angehört und sie haben es so leicht dahingesagt, die heutigen, jetzigen Regierungsparteien, dass sie eben das Ende des Atomausstiegs jetzt einleiten wollen, also weitermachen wollen. Aber es ist viel schwerer, als sie sich gedacht haben, viel schwerer. Und vor allem, dass dann so viele Milliarden abfallen würden für sinnvolle Sachen würden, das ist also meines Erachtens von vornherein eine weit übertriebene Hoffnung gewesen.

Kitzler: Aber was glauben Sie, werden die Konzerne letztendlich längere Laufzeiten für ihre Anlagen durchsetzen können?

Scheer: Da wage ich jetzt keine Prognose, weil ich die Schwierigkeiten einer solchen Sache kenne. Sie haben Investitionen versäumt, weil sie gedacht haben, es ist sowieso bald zu Ende, also Investitionen in die Sicherheitsaufwendungen. So. Das müssen sie, wenn sie jetzt Laufzeitverlängerungen machen, müssen sie das in jedem Fall nachholen. In welcher Weise, in welcher Höhe, weiß ich nicht. Das kann im Moment keiner vielleicht genau wissen, vielleicht ja noch nicht mal sie selbst. Und hinzukommt, dass natürlich Sicherheitsauflagen neuer Art da sind, das hat ja die Regierung auch verkündet. Wenn sie das ernst macht, dann müssten heute sieben oder acht Atomkraftwerke eigentlich sogar sofort vom Netz gehen, etwa diejenigen, die gegenüber Flugzeugattacken nicht gesichert sind. Und das ist heute ein riesiges Problem geworden in der Zeit von terroristischen Angriffsgefahren. Also ich denke, die Blütenträume, die manche immer wieder oder immer noch haben, dass mit der Atomenergie irgendetwas Sinnvolles zu machen sei oder dass sie jetzt noch für eine Zeit nötig seien und man deswegen das verlängern müsse, diese Blütenträume, die werden sich in Luft auflösen.

Kitzler: Es gibt ja einen möglichen Kompromiss, nämlich dass die Gewinne, die die Konzerne mit dem Weiterlaufen der Atomkraftwerke erwirtschaften, dass die der Förderung erneuerbarer Energien zugutekommen sollen. Das wäre doch eigentlich eine gute Sache, mit der auch Sie leben könnten, oder?

Scheer: Ja, aber Entschuldigung, man macht nicht etwas Gutes auf der Basis der Verlängerung von etwas Schlechtem. Man hätte diese Sache schon längst haben können, das habe ich auch schon der vorherigen Regierung gesagt, nämlich es gibt keine Atombrennstoffsteuer, und man braucht auch gar nicht zu verhandeln mit den Atomstromkonzernen, man muss nur eine Atombrennstoffsteuer machen, und diese Atombrennstoffsteuer ist dann öffentliche Einnahme, und die kann man für Förderprogramme verwenden. Das ist doch gar kein Verhandlungsgegenstand mit den Stromkonzernen, das macht man, wenn man es für richtig hält.

Kitzler: Kommen wir mal zu einem anderen Thema, was auch in dem Rahmen Energiepolitik sehr wichtig ist, nämlich die Förderung der Solarenergie. Bundesumweltminister Röttgen hat ja angekündigt, ab April die Förderung für diese Anlagen um etwa 15 Prozent zu kürzen, ist das für Sie der richtige Schritt?

Scheer: Also dieser Schritt, dass man die Degression immer weiter führt, das heißt, dass man die garantierte Einspeisevergütung senkt im Zuge der weiteren Entwicklung, also der Kostensenkung der Fotovoltaik im Zuge der durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz ausgelösten Massenproduktion, das ist ein normaler Vorgang. Was nicht normal ist, wenn man einen zu großen Sprung macht und bei diesem Sprung riskiert, dass ein Fadenriss kommt. Und bei den jetzt angekündigten Zahlen muss man befürchten, dass ein Fadenriss kommt. Es ist am 1. Januar, also jetzt erst vor 20 Tagen, eine Absenkung der garantierten Einspeisevergütung für die Neuinvestitionen in diesem Jahr erfolgt um zehn Prozent. Das ist Degression, Kostendegression, die im Gesetz, im alten Gesetz eingebaut war, also im bestehenden Gesetz, das 2008 erst novelliert worden ist. So, und jetzt soll zum 1.4. bereits nochmals eine Absenkung um 15 Prozent kommt, das wäre dann praktisch vom Dezember an gesehen bis April 25 Prozent.

Kitzler: Meinen Sie, dass das…

Scheer: Das Risiko … nein … Das Risiko … von weiteren Einzelheiten mal abgesehen. Das Risiko, dass hier ein Fadenriss kommt, ist sehr groß.

Kitzler: Und Sie meinen, das bringt die Solarenergieindustrie in große Schwierigkeiten?

Scheer: Das kann, ich will das nicht beschwören, aber es kann sehr große Probleme hervorrufen, und wir sind durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz das führende Land in dieser Welt geworden, für die Zukunftstechnologie schlechthin. Und hier macht man ein solches Risiko nicht. Wenn man Anpassungen an die niedrigeren Produktionskosten macht in den Vergütungssätzen, dann muss man das in gleitendem Übergang machen und darf man es nicht in solchen abrupten großen Sprüngen machen. Das führt zum Stop-and-go-Effekt für die Industrie. Denn was passiert denn, wenn jetzt – jetzt ist das verkündet worden, jetzt gibt es Anlagenbestellungen massenhaft, die ganz schnell realisiert werden sollen, dann kommt der Stichtag, möglicherweise ganz schnell, dann kommt die Absenkung in einem Sprung, danach gibt es keine Aufträge mehr, denn bis dahin sollte ja alles erledigt sein. Und das gibt die Einbrüche. Das gibt Verunsicherungen bei denjenigen, die die Anlagen betreiben wollen, bei den vielen Anlagenbetreibern, private Anlagebetreiber, Stadtwerke, das gibt Verunsicherungen im Installationsgewerbe, das gibt Verunsicherungen bei den Produktionen. Man kann sich nicht mehr verlassen auf das, was kommt, wenn es solche spontan verkündeten abrupten großen Änderungen gibt.

Kitzler: Und dafür sorgt die Energiepolitik der schwarz-gelben Bundesregierung. Das war Hermann Scheer, der SPD-Politiker und Vorsitzender von Eurosolar. Vielen Dank und Ihnen einen schönen Tag!

Scheer: Gerne, danke, schönen Tag auch!