Schavan fordert deutliche Rechtsprechung bei Ehrenmorden

Moderation: Jörg Degenhardt · 10.03.2005
Vor dem Hintergrund des "Ehrenmordes" an der Deutsch-Türkin Hatun Sürücü hat die Kultusministerin in Baden-Württemberg, Annette Schavan, eine deutliche Rechtsprechung und eine klare Integrationspolitik gefordert.
Degenhardt: Sind das die jüngsten Belege für das Scheitern unserer Integrationspolitik?

Schavan: Ja, das zeigt, dass manche so lange Multikultiträume geträumt haben, dass nicht konsequent genug Integration gefördert und eingefordert wurde. Das sind schreckliche Beispiele aus den letzten Wochen und Monaten, allerdings die sich mit dem Thema beschäftigt haben, wissen seit langem: Deutschland gilt in den Augen mancher als die Gesellschaft, die am meisten Toleranz mit Ignoranz verwechselt und immer wieder hinweist auf kulturellen Hintergrund, wenn in Wirklichkeit klar Grenzen gezogen werden müssen.

Degenhardt: Ist beispielsweise auch die deutsche Schule in der Vergangenheit zu großzügig und mit einer falsch verstandenen Toleranz den muslimischen Eltern gegenübergetreten, die ihre Töchter zum Beispiel aus dem Schwimm- oder Biologieunterricht nehmen wollten oder sich gegen die Teilnahme ihrer Kinder an Klassenfahrten ausgesprochen haben?

Schavan: Auch das nimmt zu. Wir erleben vor allem da, wo bereits die zweite oder dritte Generation zur Schule geht, dass immer mehr Ausnahmen gefordert werden. Die Schulen, die sich Mühe geben, das verhindern wollen, dafür sorgen wollen, dass die Mädchen nicht zu Außenseitern gestempelt werden, weil sie an all dem nicht teilnehmen dürfen, stoßen in der Regel auf die Tatsache, dass die Erziehungsberechtigten auf ihre Rechte pochen. Das heißt, die Schule braucht Unterstützung, auch durch klare rechtliche Auslegungen. Es darf nicht sein, dass da, wo eine Schule darauf dringt, dass Ausnahmen nicht gemacht werden, im Zweifelsfalle in einer rechtlichen Auseinandersetzung unterliegt. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Freiheit unseres Grundgesetzes, der Landesverfassungen, das, was zum Kernstück unserer freiheitlichen Grundordnung gehört, von denen missbraucht werden, die anderen damit die Freiheit nehmen. Das ist auch eine juristische Frage.

Degenhardt: Vor dem Hintergrund des aktuellen Falls gibt es jetzt die Idee, ein Schulfach zur Wertevermittlung einzuführen. Unterstützen Sie diesen Ansatz?

Schavan: Ich erwarte von der Schule generell, dass allen Kindern, die die Schule besuchen, egal, aus welchem kulturellen Herkunftsland sie kommen, klargemacht wird, dass zum Herzstück des Bildungs- und Erziehungsauftrags der Schulen gehört, welches die Regeln und Werte sind, die diese Gesellschaft tragen. Deshalb glaube ich nicht, dass es ein eigenes Schulfach sein muss. Das sieht ja so aus, als sei das ein Fachwissen, das nicht generell auch zum Selbstverständnis einer jeden Schule gehört. Vor allen Dingen dürfen wir jetzt nicht hingehen und angesichts dieser schrecklichen Taten wieder nur die Schule in Anspruch nehmen. Die Schule alleine bleibt hilflos, wenn sie nicht Unterstützung durch klare Rechtsprechung und Integrationspolitik hat.

Degenhardt: Braucht diese Integrationspolitik auch verstärkt Druck, soll beispielsweise das Kindergeld gestrichen werden, wenn Familien ihre Töchter und Söhne nicht in die Kita oder zum Sprachunterricht schicken?

Schavan: Ich bin davon überzeugt, dass wir über Druck und klare Verbindlichkeiten sprechen müssen. Jedenfalls hat uns in den vergangenen Jahren alle Freiwilligkeit nicht nur nicht weitergeführt, sondern es entsteht der Eindruck, als nähmen Parallelgesellschaften zu. Deshalb muss in allen Bereichen überlegt werden, wie wir verhindern, dass Mord und Gewalt begründet werden können und dann im Zweifelsfall urteilserleichternd gewertet werden, wenn auf Kultur verwiesen wird, wie erreichen wir, dass Eltern, die ihren Kindern keine Chance geben, sie zu Außenseitern stempeln, weil sie sie aus Fördermaßnahmen herausnehmen, weil sie ihnen wichtige Angebote der Schule vorenthalten, eine Antwort des Staates erhalten. Das kann im Zweifelsfall Entzug des Kindergeldes sein. Wie schützen wir Kinder und Frauen, deren Menschenrechte mit Füßen getreten werden, weil auf irgendeine kulturelle Prägung Rücksicht genommen wird.

Degenhardt: Muss daraus auch eine Konsequenz sein, dass wir unsere Kultur im Zusammenleben vielleicht selbstbewusster vertreten in der Zukunft als wir das in der Vergangenheit getan haben?

Schavan: So ist es, auch wir müssen klarer sein, dürfen nicht so tun, als sei eigentlich eine plurale Gesellschaft eine solche, in der zunehmend Freiheit mit Beliebigkeit verwechselt wird. Wir müssen Leidenschaft entwickeln für die Freiheit und die Werte dieser Gesellschaft. Der zentrale Fehler war, dass wir in vielen Bereichen Toleranz mit Ignoranz verwechselt haben und damit viele Frauen und Kinder in Gefahr bringen.

Degenhardt: Was halten Sie von den Forderungen an die Bundesregierung, in Deutschland begangene Ehrverbrechen offiziell zu erfassen?

Schavan: Ich halte es für richtig. Wir müssen wissen, was alles geschieht und vor allem muss klar sein, dass das, was geschieht, wirklich hart angegangen wird und nicht falsche Rücksicht genommen wird und übrigens die Begründung mit Kultur auch andere Kulturen letztlich aus ihrer Vergangenheit, aber nicht aus dem, was aktuell mit dieser Kultur verbunden ist, deutet.