Schauplatz USA: Das neue politische Wörterbuch

Von Robert B. Goldmann |
Das politisch-ideologische Wörterbuch muss redigiert werden. "Fortschrittlich” war und ist es noch immer in vielen Schulen, Kinder durch Spiel, und weitgehend frei und unstrukturiert zu unterrichten. Heute verlangt man in Amerika mehr Struktur, mehr Prüfungen und dadurch die Möglichkeit, Resultate konkreter zu bewerten.
Schon längere Zeit wird gefragt, wie weit die "affirmative action” - die positive Diskriminierung für benachteiligte oder unterrepräsentierte Minderheiten - ihren Zweck erfüllt, und ob zu viele fähige Kandidaten der Mehrheitsbevölkerung für Arbeitsplätze, das Universitätsstudium oder die Beförderung dem wohlgemeinten System zum Opfer fallen.

Das Problem kam prominent zur Sprache, als der Präsident der Elite-Universität Harvard, Lawrence Summers, die Frage aufwarf, ob die weit größere Anzahl von Männern in den Naturwissenschaften möglicherweise unterschiedlicher Begabung von Frauen auf diesem Gebiet zuzuschreiben sei. Er behauptete dies nicht, er sprach nur von der Möglichkeit, das Problem auf diese Art zu erklären. Und doch brach sogleich ein Sturm der Entrüstung bei den Professoren los, gefolgt von einem Misstrauensvotum, welches der Aufsichtsrat der Universität zurückwies. Redefreiheit schien nur für die vorherrschende Meinung zu gelten.


Aber es geht um weit mehr als Summers. Wie Rachel Donadio in der New York Times Book Review schreibt: "Der Konflikt in Harvard und anderen Universitäten ruft die Unruhen in den Hochschulen in den sechziger Jahren in Erinnerung. Aber diesmal sind es nicht die Studenten, sondern die Professoren, die in den Gebetsmühlen der sechziger Jahre stecken geblieben sind. Sie geraten mit einem Präsidenten in Konflikt, der versucht, Harvard neu zu gestalten, damit die Universität den heutigen politischen und wirtschaftlichen Herausforderungen gerecht werden kann...Es geht um weittragende soziale und politische Wandlungen, denen sich Academia - eine grundsätzlich konservative Institution - hart widersetzt.”

Es wird immer klarer: Fortschritt heute bedeutet, die freien Institutionen der westlichen Welt gegen einen neuen Feind - den islamischen Terrorismus - zu schützen, und nicht zu versuchen, die Motivierung der Täter zu "erklären” - was im Lexikon der sechziger Jahre, dem heute noch immer viele Intellektuelle frönen, darauf hinausläuft, Gewalt zu rechtfertigen. Was sonst ist die Verherrlichung des "Che” Guevara?

Demokratie ist nicht, die von den Intellektuellen definierte "soziale Gerechtigkeit” walten zu lassen, sondern es dem Volk an den Urnen zu überlassen, wie die Gesellschaft gestaltet, verwaltet und ihr Platz in der Welt bestimmt werden soll. Globalisierung ist eine Entwicklung, der die freie Markwirtschaft gerecht werden muss. Auch hier widersetzen sich die sich fortschrittlich Dünkenden und bleiben damit hinter dem Fortschritt zurück. Das Internet, die modernen Medien insgesamt, machen es allen wie nie zuvor möglich, sich zu informieren. Damit verlieren die "Meinungsbildner” an Einfluss. Für sie wird es immer lebenswichtiger, ihre ideologische und politische Tradition zu überprüfen und die Wandlungen unserer schnellbeweglichen Zeit zu verarbeiten. Oder sie verlieren Anhang und Auflage.

Wenn ein Professor an einer großen Universität im Osten Amerikas die Bush-Wähler für dumm erklärt und ihm erwidert wird, dass er sich in einer undemokratischen Arroganz ergehe, antwortet er, er lebe lieber mit seiner Arroganz, als seinen Hass auf George W. Bush aufzugeben.

Hier offenbart sich die reaktionäre Einstellung der sich fortschrittlich wähnenden Erben der sechziger und siebziger Jahre. Sie verschließen sich der Erkenntnis, dass sich die harte Linke mit dem Fall der Sowjetunion ebenso irrelevant gemacht hat wie die extrem Rechte es schon lange ist. Es mag für die alten sozialistischen Kämpfer schwer sein, anzuerkennen, dass sie zum Gestern gehören, auch weil sie so entscheidend zum Fall des Nazismus beigetragen haben. Aber politische Wandlungen sind unbarmherzig.

Robert B. Goldmann wurde 1921 als einziger Sohn eines jüdischen Landarztes in einem Odenwalddörfchen geboren. Er machte in Frankfurt am Main Abitur. Kurz darauf verließ die Familie Deutschland und kam 1940 über Großbritannien nach New York. Goldmann schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, um sein Studium zu finanzieren. Er war viele Jahre lang Journalist, bevor er sich sozial- und entwicklungspolitischen Aufgaben in der Dritten Welt widmete und schließlich ein Wegbereiter für die deutsch-jüdische Verständigung wurde. 1996 veröffentlichte er sein viel beachtetes Buch "Flucht in die Welt", eine Lebens- und Familiengeschichte. Goldmann arbeitete lange für die Anti-Defamation League in New York und publiziert noch immer in amerikanischen und deutschen Medien.