Schauerliche Schlacht-Szenen
Im Jahr 1983 sorgte der Roman aus der Schweiz für eine kleine literarische Sensation: "Blösch" von Beat Sterchi ging vielen unter die Haut, vor allem wegen der Beschreibung der Kehrseite moderner Schlachtvieh-Haltung, und liegt nun als Hörbuchfassung vor.
Zugegeben: Dem Hörer wird viel zugemutet. Und dabei beginnt diese 18 Stunden lange Hörbuchfassung geradezu idyllisch: Am Anfang steht Blösch – die prächtige Leitkuh auf dem Knuchelhof, ein stämmiges rotbraunes Tier mit riesigem Schädel und sympathischen Starallüren im Stall. Um diese Milchkuh webt Beat Sterchi die Geschichte des spanischen Melkers Ambrosio, der als "Fremdarbeiter" auf den Knuchelhof im Berner Oberland kommt: jung und voller Hoffnung.
"Und dann saß Ambrosio unter einer Knuchelkuh, mit der gumpigen Bössi hatte der Bauer vorgemolken und hatte gezeigt, was auf dem langen Berg gang und gäbe war."
Einen besonderen Zauber entwickelt die Hörbuchfassung rasch aus der Tatsache, dass der Sprecher Sebastian Mattmüller Sterchis Roman nicht im Studio eingelesen hat, sondern – passend zur Handlung - auf einer satten Weide, im behaglichen Stall oder zwischen den kalten Kacheln eines Schlachthofs. Mattmüller liest angenehm unaufgeregt. Mit leichtem Akzent, präzise und genau, ohne je manieriert zu klingen, schildert er wie der idyllische Knuchelhof unter immer größeren Konkurrenzdruck gerät. Denn Melkmaschinen, künstliche Besamung und Massentierhaltung drücken die Preise.
"In Amerika lassen die solche Kühe, wie du eine hast, gar nicht mehr austragen. Die werden mehrfach befruchtet, und dann schneidet man ihnen die Föten aus dem Bauch und pflanzt sie minderwertigeren Tieren zum Austragen in die Gebärmutter. Und weißt du wie die heißen?So etwas Verrücktes, murmelte Knuchel. Ammenkühe, heißen die. Ammenkühe genau, lachte der Gemeinde-Amman."
Bald schon kann sich der Knuchelbauer nicht mehr über Wasser halten. Seinen Melker Ambrosio muss er auf den großen Schlachthof in die Stadt vermitteln.
"Und draußen im Schlachthof hinter dem hohen Zaun am Rande der schönen Stadt erschien die erste Kuh in der Türöffnung des Viehwaggons."
Was nun folgt, sind Szenen, die für jeden, der nicht schon längst Vegetarier ist, nur schwer auszuhalten sind. Der Moment des Schlachtens, über den keiner gern nachdenkt und den jeder Fleischesser am liebsten ausblendet: Hier wird er in seiner gesamten Brutalität haarklein und bedrückend realistisch geschildert. Für den Hörer gibt es kein Entrinnen.
Die schauerlichen Beschreibungen des Schlachthofes wechseln sich mit den Schilderungen auf dem Knuchelhof ab. Und gerade hier wird deutlich, wie stark die Hörbuchfassung den Text anzureichern vermag. Denn der Ton des Sprechers verändert sich mit dem Schauplatz: Auf dem Knuchelhof klingt er frisch, lebendig und heiter. Der Schlachthof hingegen schlägt sich auf Mattmüllers Stimmung und Stimme gleichermaßen. Ruhig, fast tastend sucht er nach Worten und verstärkt damit das Ungeheuerliche und Obszöne der Schlacht-Szenen.
"Die Schneidegeräte surren. Widerwillig löst sich das Seitenfleisch am Rumpf von der vernarbten, von der von Zecken verbohrten, von Flechten zerfressenen Unterhaut."
Nach Jahren des Fließbandschlachtens ist Ambrosio ein Schatten seiner selbst. Doch dann kommt der Moment, der ihn zur Besinnung bringt. Auf der Rampe zum Schlachthof erkennt der Spanier eines Tages Blösch, die stolze Leitkuh von einst:
"Sie sah aus wie ein Krämerstand, ausgemergelt und geschunden, ihre Knochen stachen hervor, ihre Haut war schlaff, ihr Euter war vom Maschinenmelken verunstaltet. Meterweit roch sie nach Desinfektionsalkohol, nach Harn und Vaseline. Ein erbärmliches Knochengerüst, das vor dem Wagkäfig noch einmal stehen blieb und in lang anhaltenden Stößen, die vom Schwanzansatz über den Rücken rollten, muhte."
Ambrosio erkennt sich selbst in Blösch wieder, unterwürfig, entfremdet, gebrochen. In einem furiosen Ende begehrt er gemeinsam mit den anderen Schlachtern gegen die erdrückende Wirklichkeit auf.
Der Schweizer Christoph Merian Verlag ist mit "Blösch" ein großes Wagnis eingegangen. In dem liebevoll gestalteten Booklet zur CD schildern Sebastian Mattmüller und der Produzent Raphael Zehnder, wie sie mit ihren Aufnahmen auf der Alp und im Schlachthof akustisches Neuland betraten. Sie beschreiben aber auch das materielle Wagnis dieser Unternehmung: Die Finanzierung gelang nur, indem einzelne Passagen vorab über das Internet an Unterstützer verkauft wurden.
Das nun vorliegende Hörbuch umfasst den gesamten Romantext in ungekürzter Fassung. 18 Stunden, die angefüllt sind mit Beat Sterchis wuchtiger suggestiver Sprache, mit drastischen Bildern und einer unglaublichen Geschichte. 18 Stunden, die noch lange nachhallen.
Besprochen von Gesa Ufer
Beat Sterchi: "Blösch"
Gelesen von Sebastian Mattmüller.
Christoph Merian Verlag, Basel 2010
2 MP3-CDs, 18 Stunden, 29,90 Euro
"Und dann saß Ambrosio unter einer Knuchelkuh, mit der gumpigen Bössi hatte der Bauer vorgemolken und hatte gezeigt, was auf dem langen Berg gang und gäbe war."
Einen besonderen Zauber entwickelt die Hörbuchfassung rasch aus der Tatsache, dass der Sprecher Sebastian Mattmüller Sterchis Roman nicht im Studio eingelesen hat, sondern – passend zur Handlung - auf einer satten Weide, im behaglichen Stall oder zwischen den kalten Kacheln eines Schlachthofs. Mattmüller liest angenehm unaufgeregt. Mit leichtem Akzent, präzise und genau, ohne je manieriert zu klingen, schildert er wie der idyllische Knuchelhof unter immer größeren Konkurrenzdruck gerät. Denn Melkmaschinen, künstliche Besamung und Massentierhaltung drücken die Preise.
"In Amerika lassen die solche Kühe, wie du eine hast, gar nicht mehr austragen. Die werden mehrfach befruchtet, und dann schneidet man ihnen die Föten aus dem Bauch und pflanzt sie minderwertigeren Tieren zum Austragen in die Gebärmutter. Und weißt du wie die heißen?So etwas Verrücktes, murmelte Knuchel. Ammenkühe, heißen die. Ammenkühe genau, lachte der Gemeinde-Amman."
Bald schon kann sich der Knuchelbauer nicht mehr über Wasser halten. Seinen Melker Ambrosio muss er auf den großen Schlachthof in die Stadt vermitteln.
"Und draußen im Schlachthof hinter dem hohen Zaun am Rande der schönen Stadt erschien die erste Kuh in der Türöffnung des Viehwaggons."
Was nun folgt, sind Szenen, die für jeden, der nicht schon längst Vegetarier ist, nur schwer auszuhalten sind. Der Moment des Schlachtens, über den keiner gern nachdenkt und den jeder Fleischesser am liebsten ausblendet: Hier wird er in seiner gesamten Brutalität haarklein und bedrückend realistisch geschildert. Für den Hörer gibt es kein Entrinnen.
Die schauerlichen Beschreibungen des Schlachthofes wechseln sich mit den Schilderungen auf dem Knuchelhof ab. Und gerade hier wird deutlich, wie stark die Hörbuchfassung den Text anzureichern vermag. Denn der Ton des Sprechers verändert sich mit dem Schauplatz: Auf dem Knuchelhof klingt er frisch, lebendig und heiter. Der Schlachthof hingegen schlägt sich auf Mattmüllers Stimmung und Stimme gleichermaßen. Ruhig, fast tastend sucht er nach Worten und verstärkt damit das Ungeheuerliche und Obszöne der Schlacht-Szenen.
"Die Schneidegeräte surren. Widerwillig löst sich das Seitenfleisch am Rumpf von der vernarbten, von der von Zecken verbohrten, von Flechten zerfressenen Unterhaut."
Nach Jahren des Fließbandschlachtens ist Ambrosio ein Schatten seiner selbst. Doch dann kommt der Moment, der ihn zur Besinnung bringt. Auf der Rampe zum Schlachthof erkennt der Spanier eines Tages Blösch, die stolze Leitkuh von einst:
"Sie sah aus wie ein Krämerstand, ausgemergelt und geschunden, ihre Knochen stachen hervor, ihre Haut war schlaff, ihr Euter war vom Maschinenmelken verunstaltet. Meterweit roch sie nach Desinfektionsalkohol, nach Harn und Vaseline. Ein erbärmliches Knochengerüst, das vor dem Wagkäfig noch einmal stehen blieb und in lang anhaltenden Stößen, die vom Schwanzansatz über den Rücken rollten, muhte."
Ambrosio erkennt sich selbst in Blösch wieder, unterwürfig, entfremdet, gebrochen. In einem furiosen Ende begehrt er gemeinsam mit den anderen Schlachtern gegen die erdrückende Wirklichkeit auf.
Der Schweizer Christoph Merian Verlag ist mit "Blösch" ein großes Wagnis eingegangen. In dem liebevoll gestalteten Booklet zur CD schildern Sebastian Mattmüller und der Produzent Raphael Zehnder, wie sie mit ihren Aufnahmen auf der Alp und im Schlachthof akustisches Neuland betraten. Sie beschreiben aber auch das materielle Wagnis dieser Unternehmung: Die Finanzierung gelang nur, indem einzelne Passagen vorab über das Internet an Unterstützer verkauft wurden.
Das nun vorliegende Hörbuch umfasst den gesamten Romantext in ungekürzter Fassung. 18 Stunden, die angefüllt sind mit Beat Sterchis wuchtiger suggestiver Sprache, mit drastischen Bildern und einer unglaublichen Geschichte. 18 Stunden, die noch lange nachhallen.
Besprochen von Gesa Ufer
Beat Sterchi: "Blösch"
Gelesen von Sebastian Mattmüller.
Christoph Merian Verlag, Basel 2010
2 MP3-CDs, 18 Stunden, 29,90 Euro