Schaubühne Berlin

Lesungen gegen den Hass

Die Berliner Schaubühne am Lehniner Platz wurde von Jürgen Sawade von 1975 bis 1981 umgestaltet.
Die Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin ist nur wenige Kilometer vom Ort des Anschlags entfernt. © dpa / picture alliance / Hubert Link
Von Jochen Stöckmann · 24.12.2016
Mit Texten von Brecht, Benn, Rilke und Carolin Emcke wollte die Berliner Schaubühne gegen Hass und Angst "anlesen". Viel mehr als ein Griff in die lyrische Hausapotheke kam dabei allerdings nicht heraus, meint unser Kritiker Jochen Stöckmann.
"Gegen Hass und Angst" wollte die Berliner Schaubühne angehen nach dem Attentat am Breitscheidplatz. Und das bedeutete – mit getragener Klaviermusik – zunächst einmal: Innehalten. Geschlagene acht Minuten nahm sich der Schauspieler Lars Eidinger für ein Rilke-Gedicht. Ansonsten aber glich die Auswahl einem Griff in die lyrische Hausapotheke, war mehr Potpourri als dramaturgisch überlegte Collage zum Thema "Hass und drohende Spaltung der Gesellschaft". Politische "Aktualität" hatte niemand erwartet, aber hier gerieten die Zeilen von Ingeborg Bachmann und Gottfried Benn im Kontext des blutigen Attentats zu seltsam plakativen, gestanzt wirkenden Formulierungen:
"Die gestundete Zeit: Es kommen härtere Tage. Die auf Widerruf gestundete Zeit wird sichtbar am Horizont. Bald musst du den Schuh schnüren und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe."
"Kommt, wir reden zusammen, wer redet ist nicht tot. Es züngeln doch die Flammen schon sehr um unsere Not."

Differenzierung und Selbstzweifel sind notwendig

Geredet, wie es der eigentlich recht menschenscheue Benn empfohlen hatte, wurde aber nicht einmal auf dem Podium. Dabei war diese Veranstaltung doch so ausdrücklich gegen Angst und Vereinzelung gerichtet. Aber immerhin las die Philosophin und Publizistin Carolin Emcke selbst aus ihrem Text "Gegen den Hass":
"Dem Hass begegnen lässt sich nur, indem man seine Einladung, sich ihm anzuverwandeln, ausschlägt. Wer dem Hass mit Hass begegnet, hat sich schon jenem angenähert, von dem die Hassenden wollen, dass man es sei. Dem Hass begegnen lässt sich nur durch das, was dem Hassenden abgeht: genaues Beobachten, nicht nachlassendes Differenzieren und Selbstzweifel."

Warum Brecht hier ausnahmsweise mal nicht passt

Aber Selbstzweifel, ein Aufgreifen der in diesen Tagen wachsenden Verunsicherung war nicht der Grundton. Und auch die politischen, zeithistorischen Bezüge von Gedichten fehlten, die in der vom Straßenterror der Extremisten bedrohten Weimarer Republik oder im Widerstand gegen den Nationalsozialismus entstanden sind. Bertolt Brecht etwa wertete – im Gegensatz zum zeitweiligen Nazi-Mitläufer Benn - den "Hass gegen Hitler" moralisch positiv. Nur teilten leider recht wenige dieses Gefühl:
"Unsere Niederlagen nämlich beweisen nichts, als dass wir – zu wenige sind, die gegen die Gemeinheit kämpfen. Und von den Zuschauern erwarten wir, dass sie wenigstens beschämt sind."
Heute aber ist die "offene" und demokratische Gesellschaft eine Sache der Mehrheit – solange die nicht auf den Status des bloßen Zuschauers, des passiven Publikums zurückfällt.
Mehr zum Thema