Schau "En Passant" im Städel Museum

Edgar Degas und andere Bildhauer des Impressionismus

05:42 Minuten
Eine Mädchen-Skulptur im Tanzrock verschränkt die Arme hinter dem Rücken.
Die Hauptperson in der Schau "En Passant": Edgar Degas' "Kleine Tänzerin von vierzehn Jahren" (1878/79–1881), © Horst Ziegenfusz
Von Johannes Halder · 09.05.2020
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Atmosphäre, Farbe, Luft und Licht: Wie lassen sich die Elemente der impressionistischen Malerei in den zeitgenössischen Skulpturen wiederfinden? Das erforscht das Städel Museum in Frankfurt am Main in der wiedereröffneten Ausstellung "En Passant“.
Hübsch ist sie nicht, die "Kleine Tänzerin von vierzehn Jahren", die Edgar Degas 1881 in Paris präsentierte – den Körper modelliert aus pigmentiertem Wachs, den Kopf erhoben, die Beine verdreht zu einer Ballettpose, mit einem Röckchen aus Tüll und einer Schleife im echten Haar, das allerdings von einem Pferd stammte.
Sie sei hässlich, hieß es damals, sie sehe aus wie eine Kröte, eine Verkörperung der Laster, erinnert der Kurator Alexander Eiling:
"Sie war eigentlich ein Skandal. Sie wurde mit dem Thema der Prostitution verknüpft, die hinter den Kulissen der Pariser Oper grassierte. Und dieses wurde nicht den Männern angelastet, der Oberschicht, die da auf die Suche nach minderjährigen Prostituierten gingen, sondern das wurde ihr zur Last gelegt, und so galt sie als kriminell und verderbt."
Trotzdem: Degas‘ kleine Ballerina, die nach dem Tod des Künstlers gegen seinen Willen über zwei Dutzend Mal in Bronze gegossen wurde, ist die Hauptperson in dieser Schau, gleich im ersten Saal.
"Sie ist im Grunde genommen eigentlich eine Verdichtung all seiner Eindrücke von Tänzerinnen, die er bis dato gemacht hatte in unterschiedlichen Techniken."
Die sehen wir im nächsten Raum. Eine ganze Truppe von Mädchen in unterschiedlichsten Tanzposen, die Degas in kleinformatigen Bronzen schuf, aber auch in Pastellen und Gemälden, und gerade im Vergleich zeigt sich, worin die Neuerung bestand. "In der offenen Form, in der skizzenhaften Modelliertechnik, in den Fingerabdrücken, die wir sehen können. Er überträgt im Grunde genommen die Materialität von Pastellen, von offenen Oberflächen in der Malerei auf die Plastik."

Wie sich Figuren in ihrer Umgebung auflösen

Die Skulptur galt damals als langweilig und kaum geeignet, die Moderne voranzutreiben. Wie sollte man auch darstellen, was der Malerei so leicht gelang – Atmosphäre, Farbe, Luft und Licht? Weniger als ein Prozent der Werke auf allen sechs Pariser Impressionisten-Ausstellungen waren Plastiken, und gerade mal eine Handvoll Bildhauer brachte es zu nachhaltigem Ruhm.
Medardo Rosso zum Beispiel, ein Italiener in Paris, mit dem der Begriff der impressionistischen Bildhauerei von Anfang an verknüpft wurde. Sein Material war nicht Bronze oder Marmor, sondern Wachs. Kuratorin Eva Mongi-Vollmer erklärt:
"Er zeigt seine Figuren, wie er sie eben in einem ganz minimalen Moment wahrnimmt. Er definiert eine Figur grundsätzlich in der Wahrnehmung in ihrer atmosphärischen Umgebung, und diese zeigt er mit, löst Figur und Umgebung ineinander auf, wodurch die Figuren eben ihre klare Silhouette verlieren. Und das ist etwas, was die impressionistische Malerei genauso tut."
Seine "Frau mit dem Schleier" zum Beispiel, die ihm auf einem Boulevard begegnet war. Er gibt sie wieder als einen skizzenhaft verhuschten Eindruck. Rosso ist ein Flaneur, der das Flüchtige quasi im Vorübergehen aufnimmt und in eine plastische Form bringt, die sich mit jedem Blick auflöst und wieder neu zusammensetzt – die Skulptur als eine Anhäufung von Augenblicken oder, wie Rosso selbst es formulierte, als "Monument für einen Moment".

Tiere in lebendigen Momenten

Dann gibt es Rembrandt Bugatti, den Bruder des berühmten Autobauers, der sich erfolgreich auf Tiere spezialisierte, und zwar nicht in pathetisch verkitschten Posen, wie das bislang üblich war, sondern in lebendigen Momenten, die er direkt vor dem Motiv rasch in Plastilin skizzierte und später in Bronze goss. Haustiere ebenso wie Elefanten, Raubkatzen oder Großvögel – wie sie fressen, sich umdrehen und bewegen. Plastische Schnappschüsse sozusagen, die hier den Gemälden von Kühen und Ziegen seines Onkels Giovanni Segantini gegenübergestellt werden.
Eine Skulptur zeigt eine brüllende Kuh.
Rembrandt Bugatti, Brüllende Kuh, 1901© Ken Adlard
Eine Entdeckung ist der italo-russische Bildhauer Paolo Troubetzkoy. Seine Porträtplastiken sind gekennzeichnet durch Erhöhungen, aufgerissene Stellen und Vertiefungen – ein wildes, geradezu koloristisch anmutendes Spiel von Glanzlichtern und Schatten, besonders in seinen Frauenporträts, sagt die Kuratorin: "Die opulenten Kleider der Zeit um 1900 helfen Troubetzkoy, enorme Faltenwürfe, richtige Kaskaden letztendlich von Stoff zu erzeugen, in denen das Licht auf der Oberfläche unglaublich breit und tief tanzen kann."
Eine Bronze-Skulptur zeigt Giovanni Segantini.
Paul Troubetzkoy, Giovanni Segantini, 1896© 70385154
Solche fast schon expressiven Tendenzen praktizierte auch Auguste Rodin mit seiner Technik der Buckel und Mulden, mit offenen, schrundig zerfurchten Oberflächen, die aber auch klar machen, warum der Begriff der impressionistischen Bildhauerei bis heute umstritten ist. Denn der Widerspruch zwischen der festen plastischen Form und der flüchtigen Wahrnehmung der Wirklichkeit ist nicht ganz aufzulösen.
Die Frankfurter Schau befeuert diese Debatte ganz bewusst, indem sie die plastischen Werke in einen Dialog setzt mit Malerei, Druckgrafik und Fotografie und damit Möglichkeiten und Grenzen zeigt.
Man wünscht dieser schönen Ausstellung ein großes Publikum, ersatzweise kann man sich auch an den Katalog halten. Der ist ausgezeichnet und sehr empfehlenswert.

Die Ausstellung "En passant – Impressionistische Skulptur" ist im Städel Museum in Frankfurt am Main bis zum 25. Oktober zu sehen.

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