Scharfe Kritik an Berliner Kultursenator Flierl

Von Jens P. Rosbach |
Die Rolle des Berliner Kultursenators Thomas Flierl (Linkspartei.PDS) während einer umstrittenen Podiumsdiskussion wurde zum Thema einer Parlamentsdebatte im Abgeordnetenhaus der Hauptstadt. Ehemalige Stasi-Funktionäre hatten eine Veranstaltung zur DDR-Geschichte systematisch gestört. Flierl, der bei der Diskussion mit auf dem Podium saß, habe auf diese Provokation inadäquat reagiert, kritisierten Politiker verschiedener Parteien.
Es ging hoch her im Berliner Abgeordnetenhaus. Alle Parteien zeigten sich empört über den Auftritt der ehemaligen Stasi-Leute. So kritisierte etwa die SPD-Abgeordnete Karin Seidel-Kalmutzki, was da in ihrem Wahlbezirk Berlin-Lichtenberg geschehen ist.

Seidel-Kalmutzki: "Unvorstellbar ist der Gedanke, dass bis zu 200 ehemalige Generäle, Offiziere und Mitarbeiter des DDR-Staatssicherheitsdienstes eine öffentliche Veranstaltung nutzen, um sich und ihr Gedankengut unverhohlen zu präsentieren. Unrechtstaten der Stasi und des SED-Staates werden während einer Podiumsdiskussion unwidersprochen beschönigt, sogar Stasi-Opfer verhöhnt. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass wir 16 Jahre nach der Wende im Berliner Abgeordnetenhaus solch eine Debatte führen müssen. Aber wir müssen sie offensichtlich führen."

Was war genau passiert? Am Dienstag vergangener Woche hatte der Bezirk Berlin-Lichtenberg zu einer Podiumsdiskussion geladen. Thema: Das ehemalige Sperrgebiet um den Stasi-Knast Hohenschönhausen - und wie das Areal rund um die heutige Gedenkstätte für Besucher markiert werden könnte. Die Veranstaltung wurde systematisch durch lange Statements ehemaliger MfS- und SED-Funktionäre gestört.

"Wir brauchen eine so genannte Gedenkstätte nicht!"
"Sie sind jetzt nicht mehr an der Reihe!"
"Ich werde als Lichtenberger mich dagegen mit allen Mitteln wehren!"

Die Ex-Geheimdienstler bezeichneten die Stasi-Gedenkstätte als "Gruselkabinett" und beschimpften deren Mitarbeiter, die zum großen Teil Opfer des DDR-Regimes sind. Auch Gedenkstättenleiter Hubertus Knabe wurde attackiert.

"Zum Beispiel Herr Hubertus Knabe, dass er vielleicht mal einige Ausführungen macht über seine so genannten Museumsführer, die immer wieder, immer wieder, und das ist leider so, immer wieder sich als Opfer darstellen und wir als ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit als Täter deklariert werden."

Kolportiert wurde sogar lautstark, im ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis sei es früher derart human zugegangen, dass sich Häftlinge aus anderen DDR-Gefängnissen dorthin beworben hätten. Das Brisante: Der Mitveranstalter, Kultursenator Thomas Flierl von der Linkspartei.PDS, saß mit auf dem Podium und trat der Propaganda kaum entgegen. Vielmehr ermutigte er die Stasi-Mitarbeiter, als so genannte Zeitzeugen zu wirken.

Flierl: "Natürlich können die Zeitzeugen, können auch Sie, als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, nur ein Teil der Perspektiven sein. Da gibt es andere Befunde, die auch zu berücksichtigen sind. Ich bürge also nicht, dass Ihre Sicht etwa sich durchsetzt, aber ich meine auch, dass es notwendig sei, um aus einem … Dialog zu einzelnen Komplexen geben kann."

Die Folge: Eine öffentliche Debatte - und eine Diskussion im Parlament. Kultur- und Wissenschaftssenator Thomas Flierl sah sich nun gezwungen, im Namen des Senats den Auftritt der Stasi-Leute scharf zu verurteilen. Zu seinem eigenen Verhalten äußerte er sich erst auf Nachfrage einer Abgeordneten.

Flierl: "Die massive Präsenz der Stasi-Leute war nicht vorauszusehen. Im Rahmen einer streng strukturierten Podiumsdiskussion habe ich mich wie alle anderen Podiumsteilnehmer auch in dieser angespannten, aufgeladenen Atmosphäre durchaus adäquat verhalten. Es ist den Stasileuten nicht gelungen, die Veranstaltung zu kippen. Ich sehe aber, dass die Anwesenden Opfer ein rabiateres Dazwischengehen…"

Der Linkspartei-Politiker vollendete den Satz nicht, schweifte ab, kam dann aber auf das Thema zurück.

Flierl: "Insofern meine ich, dass ich in der Veranstaltung den Rahmen hätte sprengen sollen und mich in der Diskussion bei ... über meine erbetenen Statements in der Podiumsdiskussion hinaus hätte äußern sollen."

"Adäquat verhalten" - und "hätte äußern sollen". Der Opposition waren diese Aussagen zu widersprüchlich. Sibyll-Anka Klotz, die Fraktionsvorsitzende der Grünen, hatte mehr erwartet vom Linkspartei-Politiker.

Klotz: "Sie haben auch hier heute in der Fragestunde die Chance verpasst, klare Worte zu finden, und wir finden, dass das keineswegs adäquat war, und ich hätte es auch gut gefunden, wenn Sie sich bei den Opfern entschuldigen."

Die SPD-Abgeordnete Seidel-Kalmutzki äußerte sich ähnlich - obwohl Flierl zur eigenen Koalition gehört. Martin Lindner, Fraktionschef der FDP, setzte noch eins drauf: Der Kultursenator vertrete seit jeher eine vage Haltung in Sachen DDR-Aufarbeitung, und bei der Gedenkstätten-Veranstaltung habe Flierl die Stasi-Leute ganz bewusst nicht verprellen wollen.

Lindner: "Sie suggerieren doch ganz klar, was Sie damit wollen! Es ist Ihr Klientel, was sich dort aufgehalten hat und insoweit setzen Sie sich natürlich dem Verdacht aus, in diesem Senat als Patron der Staatssicherheit zu fungieren. Das sage ich Ihnen auch hier noch mal mit aller Deutlichkeit!"

Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei.PDS, Stefan Liebich, verteidigte seinen Parteifreund Flierl und unterstellte den Kritikern parteitaktische Manöver. Der Senator sei schließlich nicht allein gewesen bei der umstrittenen Podiumsdiskussion.

Liebich: "Wenn dieses Podium nicht reagiert hat, dann ist das ein Vorwurf der Passivität, die dann aber auch trifft, die bei dieser Veranstaltung anwesend waren. Nein, es sind nicht die anderen! Es sind nicht die anderen. Aber Sie reden immer nur über einen und sie wissen genau warum Sie immer nur über einen reden. Es geht Ihnen nämlich gar nicht um die Opfer, es geht Ihnen nicht um das MfS, es geht Ihnen um Thomas Flierl und um diese Koalition und deshalb halten Sie diese Reden!"

Flierl war bereits vor Monaten vorgeworfen worden, sich in Sachen Gedenkkultur zu wenig zu engagieren, etwa beim Erhalt des Mauerstreifens. Der Kultur- und Wissenschaftssenator verteidigte sich heute noch einmal gegen diese Vorwürfe, sprach aber auch bei einem zweiten Redebeitrag keine klare Entschuldigung für sein Verhalten bei der Podiumsdiskussion aus. Die Opposition scheiterte mit dem Versuch, Flierl in einer Entschließung rügen zu lassen. Die Regierungsfraktionen SPD und Linkspartei verabschiedeten dagegen mit ihrer Mehrheit eine allgemeine Resolution zu den Vorgängen, in der der kritisierte Senator allerdings nicht namentlich erwähnt wird.