Scharfe Bilder aus dem lebenden Mäusehirn

Von Carolin Hoffrogge |
Erstmalig haben Göttinger Wissenschaftler es jetzt geschafft, in das Gehirn einer lebenden Maus zu schauen, mit einem hochauflösenden Lichtmikroskop. Das Echo auf den Erfolg war weltweit euphorisch. Forscher versprechen sich Fortschritte für Neurobiologie und Medizin.
Geht Stefan Hell in sein Labor, rumpelt es erst einmal laut. Jeden Morgen steigt der Göttinger Physikprofessor durch eine schwarze Drehtür, die Lichtschleuse. Denn sein hochsensibles Forschungsobjekt, ein Lichtmikroskop steht in einem abgedunkelten Raum:

"Da kann man sehr gut jetzt ein Objektiv erkennen, da ist die Probe."

Die Probe ist in diesem Fall eine weiße Maus. Das Tier ist mit winzigen Schrauben auf dem Objektivträger eingespannt:

"Die Maus ist betäubt- natürlich - die empfindet nichts. Was gemacht wird, dass man mit dem Objektiv direkt auf die obere Schicht des Gehirns geht, da befindet sich ein Schutzglas dazwischen und man guckt dann quasi in die obere Schicht des Gehirns rein. Eine ganz ganz kleine Stelle ist das, eine ganz kleine Öffnung und erkennt dann wie sich die Neuronen im Raum ausbreiten, wie sie angeordnet sind, wie sie sich leicht bewegen, das sind Aufnahmen im Zeitraffer."

Bisher war es nicht möglich feine Details in lebenden Nervenzellen zu sehen. Das ist dem Göttinger Forscherteam jetzt gelungen. Dafür benutzen sie die von Stefan Hell entwickelte STED Mikroskopie, ein Verbund von 30 Mikroskopen.

Sie stehen auf einem großen Tisch in dem dunklen Labor. Wie in einem ausgetüftelten Verkehrssystem schießen die Laser Licht von einer Linse zur nächsten bis sie auf die Hirnzelle der Maus treffen. Mit dem komplexen Lasersystem hat Stefan Hell es geschafft, eine seit 140 Jahren anerkannte Lehrmeinung, die sogenannte Beugungsgrenze, zu überwinden. Der deutsche Physiker Ernst Abbe hatte damals postuliert, dass unter dem Mikroskop nichts zu sehen ist, was kleiner als ein fünf tausendstel Millimeter ist:

"Dieser Aufbau ist der komplexeste, den wir haben. Das sind unterschiedliche Lasersysteme, so dass man unterschiedliche Farbstoffe an und ausschalten kann. Der Durchbruch dieser Beugungsgrenze dadurch erfolgt ist, indem man einen ganz simplen Trick angewendet hat. Man hat dafür gesorgt, dass nicht alle Bereiche, die mit dem Licht bestrahlt werden, gleichzeitig auf einmal leuchten."

Was kompliziert klingt, ist auch kompliziert. Mathematische Berechnungen, experimentelle Tricks und viel Geduld führten aber schließlich zum Erfolg: Zellen kann man jetzt so mit Laserlicht beschießen, dass einzelne Moleküle - wie eine Glühbirne - an und ausgeschaltet werden.
Auf dem Bild des neben dem Mikroskop stehenden Computers leuchten wabernde Stränge in orange. Sie sehen aus wie Lianen, an deren Seiten sich kleine Verästelungen mit pilz- oder knopfförmigen Ausstülpungen bewegen. Das ist das Bild einer Nervenzelle aus der oberen Hirnschicht der weißen Maus. Diese Aufnahme der STED-Mikroskopie hat die wissenschaftliche Welt begeistert. Stefan Hell:

"Das ist natürlich interessant, weil die feinen Verästelungen, die man hier sehen kann, eine gewichtige Rolle spielen bei der Kommunikation der Nervenzellen untereinander. Hier die sogenannten Dornfortsätze, das sind die Stellen, an denen die Nervenzellen die Signale bekommt. Man weiß nicht genau, wie Gedächtnis funktioniert, aber dadurch, dass wir jetzt in der Lage sind, im lebenden Gehirn feine Strukturen zu sehen, die man bisher nicht sehen konnte, kann man davon ausgehen, dass wir jetzt viel schneller dem Gehirn und wie es funktioniert auf die Schliche kommen werden."

Mit der Lichtmikroskopie lässt sich ein Film von den zellulären Vorgängen in der Hirnzelle drehen. So können Krankheiten wie Parkinson oder Altersdemenz in Zukunft viel besser verstanden werden. Besonders vielversprechend sind die Bilder aus dem Maushirn auch für Herzspezialisten, erzählt Professor Stefan Lehnert der als Kardiologe an der Universitätsmedizin Göttingen arbeitet:

"Die STED-Mikroskopie ist eine ganz wichtige Schlüsseltechnologie. Wir haben das erste Mal wirklich die Möglichkeit, in Zellen kleine Membranorganellen oder selbst große Proteinkomplexe zu untersuchen. Und das sogar bis in Krankheitsprozesse und kleinste Veränderungen, wie sie bei Krankheiten stattfinden, die uns bisher auch nicht bekannt waren. Somit haben wir ein ganz neues Auge in die Zelle gewonnen."

Ob beim Herzinfarkt, bei Krebs oder bei Infektionskrankheiten: Stefan Hells Entwicklung des hochauflösendes Lichtmikroskops, die sich über einen Zeitraum von 15 Jahren erstreckte, hat die medizinische Forschung ein großes Stück weitergebracht. Zahlreiche Preise hat der Göttinger Max Planck-Forscher für seine STED-Mikroskopie schon bekommen, darunter den Deutschen Zukunftspreis und den Körberpreis:

"Wir haben Spaß daran, was wir machen. Ich habe die Preise nicht gezählt. Natürlich sind Preise wichtig, sie sind eine wichtige Anerkennung, sie machen das tägliche Leben als Forschung leichter. Aber die eigentliche Befriedigung hat man am täglichen Erfolg."
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