Schalljournalist

Von Cornelius Wüllenkemper · 27.06.2012
"Sounds from dangerous places": Der Londoner Avantgarde-Musiker Peter Cusack hat seine Aufnahmegeräte in den verstrahlten Zonen Tschernobyls oder den Ölfeldern des kaspischen Meeres aufgestellt. Mit seinem "Sonic Journalism", zu Deutsch Schalljournalismus, dokumentiert Cusack gesellschaftliche Probleme.
Peter Cusack hört in seinem Wohnatelier in einem Hinterhof in Berlin-Moabit seine neueste Aufnahme ab: das harmonische Brummen eines Supermarktkühlschranks. Der 64-Jährige ist unauffällig gekleidet, blickt freundlich und konzentriert, überlegt sich jedes Wort und wirkt dabei sehr britisch, wie ein echter, unnahbarer Gentleman.

"Ich habe mich schon immer für Klänge interessiert. Als Kind habe ich Musik gemacht, und außerdem habe ich gelernt, Vogelstimmen zu erkennen. Diese beiden Dinge haben mich dann zu meiner Beschäftigung mit Klängen geführt."

Sein Wohnatelier ist minimalistisch eingerichtet: Stuhl, Bett, Schreibtisch, einige wenige Bücher, ein Laptop, sowie Kabel und elektronische Geräte. Cusack ist Klangkünstler. Das Wesentliche ist für ihn, wie sich die Welt anhört. In den Siebzigern machte sich der gebürtige Londoner als Avantgarde-Musiker einen Namen: experimentelle, improvisierte Arrangements zwischen Geräusch und Musik. Heute ist Peter Cusack Dozent an der Londoner University of the Arts und "sonic journalist" also Schalljournalist, wie er sich selbst bezeichnet.

"Weil ich vor allem nach dem gehe, was ich höre, ist meine Wahrnehmung der Umwelt und ihrer Veränderungen von der Frage geprägt: was ändert sich akustisch? Gute Klangaufnahmen haben so wie gute Musik extrem viel mit gutem Zuhören zu tun. Wenn du einen guten Klang hörst, musst du ihn gleich an Ort und Stelle aufnehmen. Er wird nicht auf dich warten. Man muss sehr schnell auf das reagieren, was man hört."

Die Augen können Menschen schließen, ihre Ohren nicht. Wir hören schon vor der Geburt und später 24 Stunden am Tag, auch nachts, beim Schlafen. Unbewusst nehmen wir mit den Ohren unaufhörlich Informationen war.

"Ich glaube, Klänge können sehr gut eine bestimmte Atmosphäre, Raumverhältnisse oder auch die zeitliche Abfolge eines Geschehens wiedergeben. Ich glaube nicht, das Klang das bessere Medium ist, aber dennoch bietet er gegenüber Bildern, Sprache und Text doch eine adnere Betrachtungsweise."

Für sein Projekt "Sounds from dangerous places" hat Cusack unter anderem aufgenommen, wie sich die Natur in den Speergebieten von Tschernobyl ihren Platz zurückerobert. Der Klangjournalist spürt mit seinem Mikro der von Menschenhand veränderten Umwelt nach. Auf seiner Internetseite favouritesounds.org hat Cusack ein beeindruckendes urbanes Klang-Archiv angelegt. Großstadtklänge aus der ganzen Welt.

Das morgendliche Hissen der Nationalflagge auf dem Platz des Himmlisches Friedens in Peking, Backgammon Spieler in Jerusalem oder eine Halle im ehemaligen Berliner Vergnügungspark Plänterwald.

"Ich suche Klanglandschaften. Mich interessiert, wie Städte als Ganzes klingen. Und was die einzelnen Geräusche verbindet."

Ein Jahr lang erforscht Cusack Berlin. Auf seinen Streifzügen findet er versteckte Orte und ihre Klänge, bildet den Verkehr, die Berliner und die Natur der Stadt klanglich ab. Mit einem Richtmikrophon, auf das er einen haarigen Windschutz gezogen hat, und seinem High-Tech Aufnahmegerät steht er jetzt an einer Grundstücksmauer in einem Hinterhof.

"Einen Klang, den ich unbedingt aufnehmen will, ist dieser Papagei. Es ist ein Vogel in einem Käfig, der in einer Wohnung steht, etwa 100 Meter entfernt. Wenn wir in diese Richtung gehen, kann man ihn in der Ferne hören."

Manchmal mischt sich der Klangchronist auch mit versteckten Mikrophonen unters Volk, so wie bei diesem Gemüseverkauf in Berlin-Wedding. Eine Geräuschkulisse ändert sich schließlich, sobald die Menschen bemerken, dass sie aufgenommen werden.

"Menschen bringen selbst eine bestimmte Klanglandschaft hervor, mit ihren Autos oder Fahrrädern. Je nachdem, ob sie einen Baum fällen, oder einen pflanzen, werden Vögel angezogen oder nicht. Alles, was man macht, oder was die Gemeinschaft macht, verändern die Klanglandschaft. Und die Alltagsgeräusche haben einen ziemlich großen Einfluss auf das allgemeine Befinden eines Menschen."

Urbaner Wandel kann aber auch ganz anders klingen, wie hier, auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof:

"Weil das so eine riesige offene Fläche in der Stadt ist, ist es dort immer windig, was in anderen Teilen der Stadt nicht der Fall ist. Und die Menschen nutzen diesen Wind. Und das macht Geräusche: die Drachen machen ein Geräusch, und auch alle anderen Dinge. Das ist die Frage: wieso gibt es diese Klänge dort und wie ändern sie sich?"

In Berlin will Cusack sich auch mit Architekten und Städteplanern austauschen. Denn unsere akustische urbane Umgebung, so meint der Engländer, kann man sehr viel besser planen, als bisher angenommen. Manchmal genügt es schon, einen Baum zu pflanzen, der Vögel anzieht und dessen Blätter rauschen.