Schales Gefühl
Der Regisseur Andreas Kriegenburg hat am Schauspiel Frankfurt Goethes Trauerspiel "Stella" inszeniert - nahezu zeitgleich mit Puccinis Oper "Tosca", die vor einer Woche an der Oper Frankfurt Premiere hatte. Beide Werke erzählen von einer Dreier-Geschichte - allerdings mit ganz unterschiedlichem Ausgang. Kriegenburg hatte diese Koinzidenz von Goethe und Puccini allerdings keineswegs geplant: sein voller Terminkalender habe es nicht anders zugelassen.
Als nach einiger Zeit die Bretterwand, vor der Lucie (Lisa Stiegler), Cäcilie (Bettina Hoppe), Stella (Valery Tscheplanowa), Fernando (Marc Oliver Schulze) und der Verwalter (Mathis Reinhardt) für einige Momente nah am Bühnenrand herumgealbert haben, mit voller Wucht nach hinten fällt, bekommt Andreas Kriegenburgs "Stella"-Spiel tatsächlich eine neue Dimension: optisch und mental geht es in die Tiefe, verbal vielleicht auch, denn von nun an spricht man Goethe-Text und nicht mehr irgendwas. Mit der brachial fallenden, quasi einstürzenden Wand hat Kriegenburg schon in seiner Frankfurter "Tosca"-Inszenierung die bislang geltenden Verhältnisse zu Fall gebracht: der sich in seiner "Stella" nun eröffnende tiefe Raum ist genauso leer und glattwandig wie der Raum der "Tosca". Hier nun soll sich also alles neu ordnen. Das ist aber denn auch schon alles, was diese beiden Frankfurter Kriegenburg-Arbeiten optisch miteinander verbindet.
Stellas Bretter-Zimmer ist spärlich ausgestattet: ein großes Bett, zwei Stühle, eine Stehlampe, eine Nachttischlampe. Das Fenster nach draußen gibt den Blick auf einen gefärbten Herbstwald frei, ein Bild an der Wand: Es zeigt Fernando. Hier in diesem Raum nimmt das Drama um Fernando, der zwei Frauen liebt und sich nur schwer zwischen ihnen entscheiden kann, seinen Lauf: erst ganz sacht und ruhig, dann hitzig, exzentrisch, ekstatisch. Man fläzt im Bett, rangelt auf dem Boden, taumelt, wetzt, poltert, randaliert bis Stellas Knie bluten. Erst kriechen Fernando und Stella auf dem Boden schmachtend zueinander, dann schleicht Fernando aufrechten Ganges Cäcilie entgegen.
Andreas Kriegenburg zeigt damit sehr deutlich, wie sich die Liebe zur Geliebten von der zur eigenen Frau unterscheidet. In diesem Hin und Her der Liebenden, die sich mitunter auch schon einmal unbemerkt alle drei an der Hand halten, strauchelt ein Kind: Lucie. Lucie, Fernandos und Cäcilies Tochter, ohne die die Dreiecksgeschichte möglicherweise so nie aufgeflogen wäre, schafft in diesem Spiel der Verletzungen immer wieder entspannende Momente: durch ihren Witz, ihrer Unbedarftheit. Lucie, der Teenager, der so spricht, wie Teenager 2011 sprechen, bringt zunächst einmal so etwas wie Gegenwart und Zeitgenossenschaft in dieses 200 Jahre alte Stück. Lucie hat ihren großen Auftritt vor und zu Beginn des Stückes. Kriegenburg inszeniert bei Einlass des Publikums ein lustiges Stegreifspiel, in dem sich die Schauspieler, mit einem gelben Gartenschlauch spielend, in einen meterlangen Strickschal verwickeln. In dieser lustigen Spielerei aus Slapstick und Schal- und Schlauch-Kalauern ("Schales Gefühl", "Ich gehe jetzt eine Scha-lauchsuppe essen", "Kann mal jemand das Scha-lallicht ausmachen") spielt Lucie zweifellos die Hauptrolle. "Autum Leaves" singt sie, kopfüber hängend – wie Schweinebaumel am rostigen Spielplatzreck. Nur dass sie der "Verwalter" martialisch am Bauch umklammert, während er aus Lucie ein Vibrato herausschüttelt. Lucies Komik ist kein Selbstzweck: sie macht deutlich, welche Macht Jugend hat. Am Ende sind es Lucies Naivität und Unschuld und die damit verbundene unfreiwillige Komik, die bis zu einem gewissen Punkt in der Lage waren, das Drama zu unterwandern. Fast hätte Lucie die Kraft, die Tragödie durch ihre Sprüche, ihre Haltung obsolet zu machen. Aber die anderen hörten ihr ja nicht zu.
Also schreien am Ende alle, sie weinen und toben, mal weniger überzeugend wie Marc Oliver Schulze, dessen Spiel Fernando eine grimmassenhafte Mimik ins Gesicht schreibt, mal übertrieben wie bei Stella, deren sich monströs auswachsende Obsession nah am Zuschauer vor dem Bühnenrand im Saal einen hysterischen Höhepunkt erfährt – leider so übertrieben, dass einem das Mitfühlen schwerfällt. Am Ende gibt es keine Toten, alle sitzen stumm da: erschöpft, und das Licht geht aus, und das Trauerspiel für Moralisten endet als Schauspiel für Liebende.
Schauspiel Frankfurt: Stella - Ein Schauspiel für Liebende
Stellas Bretter-Zimmer ist spärlich ausgestattet: ein großes Bett, zwei Stühle, eine Stehlampe, eine Nachttischlampe. Das Fenster nach draußen gibt den Blick auf einen gefärbten Herbstwald frei, ein Bild an der Wand: Es zeigt Fernando. Hier in diesem Raum nimmt das Drama um Fernando, der zwei Frauen liebt und sich nur schwer zwischen ihnen entscheiden kann, seinen Lauf: erst ganz sacht und ruhig, dann hitzig, exzentrisch, ekstatisch. Man fläzt im Bett, rangelt auf dem Boden, taumelt, wetzt, poltert, randaliert bis Stellas Knie bluten. Erst kriechen Fernando und Stella auf dem Boden schmachtend zueinander, dann schleicht Fernando aufrechten Ganges Cäcilie entgegen.
Andreas Kriegenburg zeigt damit sehr deutlich, wie sich die Liebe zur Geliebten von der zur eigenen Frau unterscheidet. In diesem Hin und Her der Liebenden, die sich mitunter auch schon einmal unbemerkt alle drei an der Hand halten, strauchelt ein Kind: Lucie. Lucie, Fernandos und Cäcilies Tochter, ohne die die Dreiecksgeschichte möglicherweise so nie aufgeflogen wäre, schafft in diesem Spiel der Verletzungen immer wieder entspannende Momente: durch ihren Witz, ihrer Unbedarftheit. Lucie, der Teenager, der so spricht, wie Teenager 2011 sprechen, bringt zunächst einmal so etwas wie Gegenwart und Zeitgenossenschaft in dieses 200 Jahre alte Stück. Lucie hat ihren großen Auftritt vor und zu Beginn des Stückes. Kriegenburg inszeniert bei Einlass des Publikums ein lustiges Stegreifspiel, in dem sich die Schauspieler, mit einem gelben Gartenschlauch spielend, in einen meterlangen Strickschal verwickeln. In dieser lustigen Spielerei aus Slapstick und Schal- und Schlauch-Kalauern ("Schales Gefühl", "Ich gehe jetzt eine Scha-lauchsuppe essen", "Kann mal jemand das Scha-lallicht ausmachen") spielt Lucie zweifellos die Hauptrolle. "Autum Leaves" singt sie, kopfüber hängend – wie Schweinebaumel am rostigen Spielplatzreck. Nur dass sie der "Verwalter" martialisch am Bauch umklammert, während er aus Lucie ein Vibrato herausschüttelt. Lucies Komik ist kein Selbstzweck: sie macht deutlich, welche Macht Jugend hat. Am Ende sind es Lucies Naivität und Unschuld und die damit verbundene unfreiwillige Komik, die bis zu einem gewissen Punkt in der Lage waren, das Drama zu unterwandern. Fast hätte Lucie die Kraft, die Tragödie durch ihre Sprüche, ihre Haltung obsolet zu machen. Aber die anderen hörten ihr ja nicht zu.
Also schreien am Ende alle, sie weinen und toben, mal weniger überzeugend wie Marc Oliver Schulze, dessen Spiel Fernando eine grimmassenhafte Mimik ins Gesicht schreibt, mal übertrieben wie bei Stella, deren sich monströs auswachsende Obsession nah am Zuschauer vor dem Bühnenrand im Saal einen hysterischen Höhepunkt erfährt – leider so übertrieben, dass einem das Mitfühlen schwerfällt. Am Ende gibt es keine Toten, alle sitzen stumm da: erschöpft, und das Licht geht aus, und das Trauerspiel für Moralisten endet als Schauspiel für Liebende.
Schauspiel Frankfurt: Stella - Ein Schauspiel für Liebende