Schafherden als Diakonieprojekt

Der gute Hirte fürs Moor

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Schäfermeister Klaus Menke steht mit grauer Wollmütze und schwarz-grüner Daunenjacke im Schafstall und trägt ein Lamm auf seinen Armen.
Der Hirte und seine Schäfchen: Schäfermeister Klaus Menke versorgt die Tiere, die Schösslinge knabbernd zum Erhalt der Moorlandschaft beitragen. © Bethel im Norden / Ingolf Semper
Von Michael Hollenbach |
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In der Bibel gehören Hirten zum Stammpersonal. Heute gelten sie als Sinnbild eines entschleunigten Lebens mit der Natur. Die Diakonie "Bethel im Norden" versucht die Verbindung beider Welten: Naturschutz im Namen des Herrn.
"Die Hunde riechen jetzt an Ihnen. Aber die werden Ihnen nichts tun, keine Angst", sagt Schäfer Klaus Menke. Drei große Pyrenäenberghunde umkreisen mich, um zu erschnuppern, ob ich eine Gefahr für die rund 500 Schafe darstelle. Menke hat die Hunde im Blick, aber auch seine Herde. Er kennt zwar nicht jedes Tier, sagt er, aber:
"Man hat natürlich auch zu einzelnen Tieren eine besondere Beziehung. Es sind hier Tiere dabei, die sind mit der Flasche großgezogen. Wir sind ja auch Hirten. Wir haben unsere Schafe gern."

Schäfer aus Berufung

Seit 30 Jahren arbeitet Klaus Menke als Schäfer – wobei das Verb "arbeiten" nicht so richtig passe, wie er meint: "Es ist ein Lebenskonzept, und kein Beruf." Das Wort "Pastor" kommt aus dem Griechischen und bedeutet: Hirte. "Ich denke mal, dass der Pastor ein ähnliches Gefühl zu seiner Gemeinde hat wie wir zu unseren Schafen", sagt Menke.
Der Psalm 23 ("Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln …") gehört zu den bekanntesten der Bibel. Und auch Jesus wird im Neuen Testament als guter Hirte bezeichnet, aber auch als unschuldiges Lamm Gottes. Wie einst die Hirten in der Weihnachtsgeschichte, so war auch Klaus Menke früher als Wanderschäfer unterwegs. Heute hat er als Mitarbeiter der Diakonie "Bethel im Norden" feste Weideorte.
"Bethel hat eine lange Tradition hier in der Region", sagt Claus Freye, einer der Geschäftsführer von "Bethel im Norden", "das reicht bis in die Anfänge der Diakonie Freistatt, wie sie damals hieß, hinein."

Bitteres Erbe: Torfstechen in Holzschuhen

Das war Anfang des 20. Jahrhunderts, erklärt Freye: "Damals hatte der alte Herr Bodelschwingh Flächen aufgekauft hier in dieser Region, um Land für Menschen zu erwerben, die keiner wollte - und es war Land, das keiner wollte."
"Arbeit statt Almosen" lautete damals das Motto. Wohnungs- und Erwerbslose leisteten hier schwere körperliche Arbeit bei der Urbarmachung des Moores, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Traurige Bekanntheit erlangte Freistatt durch den gleichnamigen Spielfilm, der die brutalen Methoden in den 1960er-Jahren in dem kirchlichen Erziehungsheim darstellte. Bis in die 1970er-Jahre mussten die Jugendlichen – zum Teil in Holzschuhen - zum körperlich anstrengenden Torfstechen ins Moor.
"Da, wo wir jetzt gerade stehen, ist früher auch Torf gestochen worden. Heute ist es so, dass die Schafherden einen ganz wesentlichen Beitrag leisten, um die Flächen zu pflegen, also um der weiteren Renaturierung der Moorgebiete Raum zu geben."

Birkenzupfen für die CO2-Bilanz

Statt Torfabbau ist man vor einigen Jahren zurückgekehrt zur Natur und zur Bewahrung der Schöpfung. Die Moore, die jahrhundertelang weichen mussten, sollen nun renaturiert werden. Denn Moore dienen als wichtiger CO2-Speicher. Ein Problem dabei: Unter anderem Birken entziehen dem Moor das Wasser. An dieser Stelle treten die Schafe auf den Plan.
Lämmer mit gelben Ohrmarken stehen und liegen im Schafstall auf Stroh.
Landschaftspfleger in Bereitschaft: Noch wärmen sich die Lämmer im Stall, bald geht es raus zum Birkenzupfen.© Bethel im Norden / Ingolf Semper
"Man muss sich das so vorstellen: Sie sehen, das sind überwiegend Birken hier. Wenn Sie die Birken maschinell zurückschneiden, das tut der Wurzel keinen Abbruch und dann wächst die im nächsten Jahr umso mehr. Und die Schafe zupfen die Blättchen ab und schränken dann die Pflanze massiv in ihrer Vitalität ein. Und dadurch können wir die Moorgebiete offenhalten."
Die Schafherde steht am Rand des Moores – umgeben von einem Elektrozaun. Der Schutz durch Zaun und Schäfer allein reicht hier aber nicht mehr aus, wie Schäfer Klaus Menke erklärt: "Ich habe damit so nicht gerechnet, dass die Wölfe aus der Lüneburger Heide so schnell westlich wandern, weil der Landkreis Diepholz sich eher als Agrarlandschaft auszeichnet."

Wölfe im "Schweinegürtel"

Eigentlich ist die Region hier bekannt als "Schweinegürtel". Nirgendwo in Deutschland wird so viel Schweinefleisch produziert wie im Südwesten Niedersachsens. Allerdings – so Claus Freye:
"Wenn man sich die Landschaft hier ansieht, dann muss man sagen, ist die für den Wolf eigentlich sehr geeignet. Wir haben hier Rückzugsräume für den Wolf, wir haben hier einen großen Bestand an Wild, überall hier in der Region hat der Wolf eine sehr gute Nahrungsgrundlage. Aber natürlich nimmt sich der Wolf die am leichtesten zu jagende Nahrungsgrundlage, das sind mitunter die Schafe, da teilen wir das Schicksal mit vielen anderen Weidetierhaltern."
Vor fünf Jahren sind einige Lämmer von Wölfen gerissen worden. Seitdem setzt Klaus Menke auf die Pyrenäenberghunde zum Schutz der Schafe: "Diese Hunde müssen einerseits tough genug sein, den Wolf aus dem Zaun rauszuhalten durch Imponiergehabe, und andererseits sollen sie den Schafen nichts tun. Das ist sehr schwierig, die Hunde so in die Richtung auszubilden."
(Ein Pyrenäen-Berghund steht vor einer Schafherde) Ein Pyrenäen-Berghund, patrouilliert um eine Schafherde in der Eifel. Wölfe wagen sich auch wieder nach Rheinland-Pfalz vor und reißen hier auch Schafe. Besondere Herdenschutzhunde sollen das verhindern.
Wolfsschreck im Schafspelz: Hunde schützen die Herde.© picture alliance / Thomas Frey
Die Wölfe kommen in der Nacht, sagt Menke: "Sie müssen sich das so vorstellen, dass die Schafe in der Mitte des Zauns stehen und die Hunde die Außenbereiche zum Laufen und zum Arbeiten haben. Also die Wölfe kommen aus dem Wald, die Hunde riechen sie, laufen hin und die Hunde begleiten die Wölfe die ganze Zeit am Zaun und verhindern dadurch praktisch ein Einspringen."

Herdenschutz durch Pyrenäenhunde

Wenn der 58-jährige Schäfer morgens zur Herde kommt, dann reicht ein Blick auf die Hunde, um zu wissen, wie die Nacht war:
"Die Hunde waren an manchem Morgen schon sehr erschöpft und müde. Wir hatten einmal den Fall, dass Wölfe eingesprungen sind und dann ist es auch zu einer Prügelei gekommen, die Hunde hatten Bissverletzungen, aber sie waren wohl doch Sieger. Die Wölfe waren am Morgen verschwunden, es war kein Schaf verletzt."
Für die Betreuung der rund 1400 Mutterschafe, 600 Lämmer, 100 Ziegen und 20 Wasserbüffel sind neben Klaus Menke noch drei Mitarbeitende sowie zwei Auszubildende zuständig. Es sind Arbeitsplätze für Menschen, die auf dem ersten Arbeitsmarkt wohl Probleme hätten. Der Geschäftsführer von "Bethel im Norden" Claus Freye:
"Insofern sind wir dann wieder ganz dicht bei unserem originären Auftrag, nämlich Menschen auch Möglichkeiten der beruflichen Teilhabe zu vermitteln, die sonst Schwierigkeiten hätten, sich dort zu etablieren."

Schafsökonomie: Schur kostet mehr als Wolle

Finanziert wird das Schafherdenprojekt auch durch Zuschüsse des Landes für den Naturschutz. Und natürlich durch den Verkauf des Lammfleischs. "Ein Schaf hat einen Wert von 100 Euro, und wenn der Tierarzt zweimal kommt, sind die 100 Euro weg." Deshalb achten Klaus Menke und sein Team besonders darauf, dass es den Tieren gut geht:
"Wir sehen, wenn ein Tier krank ist. Und dann nehmen wir das raus, und es wird dann im Stall in Ruhe behandelt. Das ist selten, dass hier ein Tier stirbt."
Die Wolle ist sogar ein Verlustgeschäft. Für diesen nachwachsenden Rohstoff bekommt man pro Schaf weniger als einen Euro, doch für den Schafscherer werden mehr als zwei Euro fällig, sagt Menke. Aber das Wirtschaftliche steht für den Schäfer gar nicht so sehr im Vordergrund, wenn sich der Hirte um seine Herde sorgt.
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