Schafft die Polit-Talkshows ab!

Von Mely Kiyak · 06.12.2011
Blutarme Bandwurmsätze, ein Feuerwerk leerer Lufthülsen - und Abgeordnete, die auch nicht besser informiert sind als das Publikum. Die Publizistin Mely Kiyak fragt: Was ist der Erkenntnisgewinn solcher Talkshows? Und wer will das alles noch sehen?
Was macht das Wesen eines guten Gespräches aus? Sicher ist es die Balance zwischen Zuhören und Entgegnen. Der Austausch von originellen Argumenten, humorvollen Gegenthesen, packenden Beispielen und ungewöhnlichen Perspektiven können einen unerhörten Erkenntnisgewinn hervorbringen. Ein gutes Gespräch lebt von Gesprächsteilnehmern, die belesen sind, warmherzig, aufmerksam, klug, geduldig, pointiert, unterhaltsam; gute Redner verlieren ihre Zuhörer nicht aus dem Blick.

Vielleicht erhoffte man sich all dies, als man die Politik-Talkshow als feste Größe im deutschen Fernsehen installierte? Doch ganz gleich, in welche Gesprächssendung man hineinschaut, begegnet man dem immer gleichen Redner-Typ mit Talkshow-Gestus und Talkshow-Rhetorik, wo nicht einmal mehr der Langeweile eine Chance gelassen wird, weil das Nickerchen dem Überdruss zuvorkam.

Wer will denn das alles noch sehen? Blutarme Bandwurmsätze, ein Feuerwerk leerer Lufthülsen, scheinbares Expertentum, ja Abgeordnete, die auch nicht besser informiert sind als das Publikum!

Und überhaupt stellt sich die grundsätzliche Frage, wozu wir Politiker in Talkshows brauchen. Sie haben doch ihre eigenen. Wir nennen es: "das Parlament". Dort gilt es zu vermitteln und zu überzeugen. Doch es scheint, dass Politiker meinen, dass Sendungen dafür da sind, Werbung zu machen. Behaupten statt Argumentieren. Stoisches Wiederholen von längst Bekanntem und monotone Monologe statt echter Auseinandersetzung. Was ist der Erkenntnisgewinn einer solchen Talkshow? Und vor allem: wieso geschieht es auf Kosten der Gebührenzahler?

Ein Thema, dass in 75 Minuten von allen Seiten hin und her gewendet werden soll, wird durchschnittlich von fünf Personen erörtert. Das ergibt ungefähr 15 Minuten Redezeit. Der Moderator fragt noch dazwischen, spricht die An- und Abmoderation - macht pro Redner nur noch 12 Minuten. Zieht man dann noch die Einspielfilmchen von der Zeit ab, dann bleibt noch - ja, was bleibt dann noch für die Erklärung von wirtschaftlichen Problemen, Hebeln, Finanzmarktkrise, Gesundheitsreform und dergleichen?

Überhaupt drängt sich der Gedanke auf, dass sich die Kommunikationskultur der Politik schlagartig ändern würde, wenn Regierungsvertreter nicht freundliche Freiminuten im Fernsehen serviert bekämen. Dann müssten sie ihre Interviews, die sie Journalisten geben, Presseerklärungen und Reden anders gestalten - gehaltvoller und pointierter.

Folgt man den Parlamentsdebatten, hört man oft, wie Redner einander Aussagen vorwerfen, die ihre Gegner in Talkshows von sich gegeben haben. Ja, wo gibt es denn das? Unsere Fernsehformate sind doch keine Nebenstellen des Parlaments. Sollen sich doch Parteien Werbeprogramme im Fernsehen kaufen. Denn wenn sie dies selber zahlen würden, gäben sie sich bestimmt mehr Mühe!

Überhaupt würden sie abends dadurch mehr Zeit gewinnen, um an ihrer Sprache zu feilen und an ihren Argumenten. Sie würden Bücher lesen und ihre Gedanken reflektieren. Und dann würden sie vor das Volk treten und leidenschaftliche Plädoyers für ihre Vorhaben halten. Allerdings auf ihren eigenen Kanälen, in Sendungen, die sie selber produzieren, in Zeitungen, deren Druck sie selber bezahlen.

Oder in Büchern, die sie selber schreiben würden und nicht von Journalisten, die sie als Ghostwriter engagieren. Und auch das ist eine Wahrheit. Weshalb gehen denn Politiker so gerne in Talkshows? Weil sie wissen, dass man dort nett zu ihnen ist. Weil nie ein Moderator sagt, "mit Verlaub, was Sie sagen, ist simpel und vulgär!" Weil sie dort in Watte gepackt werden. Weil Moderatoren aufgrund der Wochenfrequenz, in der sie senden, selber nicht mehr ausreichend Zeit haben, sich detailliert mit einem Thema auseinander zu setzen.

Und so agieren Moderatoren und Politiker wie alte Ehepaare. Jeder lässt den anderen quatschen - da rein, da raus.

Mely Kiyak, geboren 1976, lebt als Publizistin in Berlin. Ihre Texte erscheinen in der "Zeit", "Welt" und "taz". Sie ist politische Kolumnistin der "Frankfurter Rundschau" und der "Berliner Zeitung". Mely Kiyak ist Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, hat in zahlreichen Anthologien veröffentlicht und Sachbücher zum Thema Integration und Migration geschrieben. Zuletzt erschienen: "10 für Deutschland. Gespräche mit türkeistämmigen Abgeordneten" (Edition Körber-Stiftung 2007) und "Ein Garten liegt verschwiegen. Von Nonnen und Beeten, Natur und Klausur" (Hoffmann und Campe, Hamburg 2011).
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