Schäuble: "Wer Europa überdehnt, gefährdet das Ziel einer politischen Einigung Europas"

Wolfgang Schäuble, stellvertretender Fraktionsvorsitzender CDU/CSU im Bundestag, hat sich erneut gegen eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union ausgesprochen. "Wir glauben, die bessere Lösung für das Verhältnis der Türkei und der Europäischen Union ist eine privilegierte Partnerschaft. Dafür werden wir auch weiterhin eintreten."
Degenhardt: Herr Schäuble, eignet sich aus Unionssicht die Türkei besser als Wahlkampfthema?

Schäuble: Wir wollen uns im Wahlkampf vor allen Dingen mit den Themen beschäftigen, deretwegen wir ja die vorgezogenen Neuwahlen haben, nämlich die trostlose Lage am Arbeitsmarkt, der öffentlichen Haushalte, die schlechte wirtschaftliche Verfassung unseres Landes. Darauf wollen wir uns konzentrieren, und das ist das Entscheidende. Natürlich haben wir auch in unserem Regierungsprogramm klar aufgezeigt, welchen außenpolitischen Kurs wir fahren werden. Wir wollen vor allen Dingen die Spaltung in Europa, zu der die rot-grüne Politik viel beigetragen hat, überwinden, das ist ganz wichtig. Wir brauchen keinen deutschen Alleingang, keine Sonderwege, keine neuen Achsen, sondern wir brauchen Verlässlichkeit und Integration, und in diesem Rahmen bemühen wir uns, unsere Politik darzulegen. Die Türkei ist ein Thema, das natürlich viele Menschen beschäftigt. Deswegen haben wir seit langem klar gesagt, wir glauben, die bessere Lösung für das Verhältnis der Türkei und der Europäischen Union ist eine privilegierte Partnerschaft. Dafür werden wir auch weiterhin eintreten, das ist nicht neu. Jedermann kennt unsere Position, und sie findet überall in Europa zunehmend Zustimmung.

Degenhardt: Müssen Sie das Thema Türkei nicht doch stärker in den Mittelpunkt rücken, um Emotionen zu wecken? Das hat der hessische Ministerpräsident, Herr Koch, gesagt und gefordert. Sie müssen ja auch im Hinterkopf ihre rechtsdemokratische Wählerschaft haben.

Schäuble: Nein, also wir machen einen Wahlkampf der Seriosität. Unser Land ist in einer wirklich schwierigen Lage. Wir haben eine tiefgreifende Krise, und das Land aus dieser Krise herauszuführen, ist eine Aufgabe, wo wir viel Vertrauen brauchen. Deswegen führen wir einen ganz seriösen Wahlkampf. Das stimmt übrigens mit Roland Koch völlig überein. Ich war zuletzt gestern mit ihm zusammen. Er ist da ja zitiert worden bei seiner internen Sitzung, und es war auch ein bisschen missverständlich. Unsere Position in Sachen Türkei ist völlig klar, aber wir haben immer gesagt, wir werden alles vermeiden, was zu einer Konfrontation mit der Türkei oder auch mit den Menschen türkischer Abstammung, die in unserem Land leben, führen würde. Wir brauchen auch gar nicht zu emotionalisieren im Wahlkampf. Was wir brauchen, ist eine Mobilisierung der Wähler, dass sie wählen gehen. Wir brauchen viel Vertrauen, dass die Menschen den Weg mit uns gehen durch einen Wechsel, durch Veränderungen, durch Reformen und durch Leistung und mehr Anstrengung dafür zu sorgen, dass es mit Deutschland wieder aufwärts geht, denn mit Rot-Grün ist es in den letzten Jahren abwärts gegangen.

Degenhardt: Sie haben schon die privilegierte Partnerschaft erwähnt, die die Union der Türkei anbieten will. Frau Merkel hat aber auch mehrfach gesagt, eine Bundesregierung unter ihrer Führung werde sich an die Beschlüsse der Europäischen Union halten. Das heißt, Ihre Partei nimmt diese privilegierte Partnerschaft selbst gar nicht mehr so ernst?

Schäuble: Doch. Der Beschluss der Europäischen Union im Dezember vergangenen Jahres war ja, dass die Verhandlungen mit der Türkei ergebnisoffen sind. Die Türkei muss übrigens die Bedingungen für die Aufnahme der Verhandlungen erst noch voll erfüllen. Da gibt es eine Debatte, wo sich vor allen Dingen auch Frankreich jetzt stark engagiert. Aber wenn die Türkei die Bedingungen erfüllt, dann können die Verhandlungen, so wie letztes Jahr beschlossen, beginnen, aber sie sind ergebnisoffen, und wir haben auch unseren türkischen Freunden immer gesagt, wir treten im Rahmen der Verhandlungen für unsere Auffassung ein, dass wir glauben, die privilegierte Partnerschaft ist die bessere Lösung auf Dauer für das Verhältnis der Türkei zur Europäischen Union. Das ist völlig klar, und da ist unsere Position seit Jahren jedem bekannt.

Degenhardt: Hätten Sie denn Angst vor einer Europäischen Union, in der die Türkei die führende Nation ist mit mehr Gewicht beispielsweise als Italien, Frankreich oder Deutschland?

Schäuble: Das ist nicht das Problem. Meine Sorge ist seit langem, ich bin ja einer derjenigen, die am längsten und am frühesten gesagt haben, eine volle Mitgliedschaft der Türkei wird wahrscheinlich die Chance gefährden oder zerstören, dass die Europäische Union wirklich eine politische Union wird. Dafür ist die Voraussetzung, dass die Menschen in den europäischen Staaten bereit sind, ihr Schicksal ein ganzes Stück weit einer europäischen politischen Union anzuvertrauen. Da gibt es eine große Krise, wie wir bei der Debatte und bei den Volksabstimmungen um den Verfassungsvertrag gesehen haben. Wer Europa überdehnt, gefährdet eben das Ziel der politischen Einigung Europas. Es ist gar nicht eine Skepsis gegenüber der Türkei, sondern man trägt einfach der Tatsache Rechnung, dass man, wenn man an der Grenze zum Iran oder Irak, sich nicht mehr in Europa befindet, und die Menschen müssen sich in der Europäischen Union zu Hause fühlen, sonst werden sie nicht politisch tragen.

Degenhardt: Gewiss können sich viele im Land Wolfgang Schäuble als Außenminister vorstellen. Die Frage ist nur, was sagt die FDP dazu? Haben die Liberalen ein Vorrecht auf bestimmte Ressorts, um mal so zu fragen?

Schäuble: Mir geht es eigentlich um die Frage, was sagen die Wähler in Deutschland am 18. September dazu, wie es in Deutschland weitergehen soll? Darum bemühen wir uns jetzt. Wir müssen uns jetzt konzentrieren, wir sind mitten im Wahlkampf, und das heißt in meinem Verständnis, dass wir für unsere Vorstellung, welche Politik in den nächsten Jahren in Deutschland betrieben werden soll, möglichst viel Zustimmung werben, indem wir argumentieren, indem wir unsere Politik erläutern, indem wir sie diskutieren mit den Menschen. Dann entscheiden die Wähler am 18. September, und auf der Grundlage dieses Ergebnisses wird man dann Regierungsbildungen vornehmen, und das ist alles eine Frage der Personalentscheidungen nach der Wahl. Jetzt konzentrieren wir uns, Mehrheiten zu Stande zu bringen, damit wir eine Weichenstellung am 18. September bekommen, die die Weichen wieder für Wachstum in Deutschland stellt.

Degenhardt: Wie weit liegen Sie eigentlich und Ihr Kollege von der FDP Herr Gerhardt in der Iranfrage wirklich auseinander? Wird sich also die Union definitiv nicht an militärischen Alleingängen der Amerikaner gegen Teheran beteiligen?

Schäuble: An Alleingängen kann man sich schon definitionsmäßig nicht beteiligen, sonst wäre es kein Alleingang. Wir liegen nicht sehr auseinander. Es ist überhaupt kein Thema. Jedermann weiß, dass es eine militärische Option in Bezug auf den Iran in Wahrheit gar nicht gibt und dass sie auch gar nicht diskutiert wird, auch nicht von Amerika, sondern worum es geht, ist, durch Verhandlungen, aber auch durch ein großes Maß an Geschlossenheit, auch durch Druck auf den Iran sicherzustellen, dass der Iran das Ziel, Nuklearwaffen zu erwerben, aufgibt, und zwar dauerhaft und verlässlich. Er hat 15 Jahre die Atomenergieorganisation in Wien betrogen, hintergangen, und deswegen muss man Druck auf den Iran ausüben, denn wenn der Iran Nuklearwaffen hätte, dann wäre der ganze Nahe und Mittlere Osten sehr viel risikoreicher, als er ohnedies schon ist, und da der Iran im Übrigen über Mittelstreckenraketen schon verfügt, wäre auch Deutschland und Europa unmittelbar bedroht.

Degenhardt: Vielen Dank für das Gespräch.