Schäuble ist "von der Aufgabe besessen"

Lothar de Maizière im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 18.09.2012
Der CDU-Politiker Lothar de Maizière hat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble als "echten Europäer" und vorbildlichen Staatsdiener bezeichnet. Er sitze seit 23 Jahren im Rollstuhl und sei trotzdem "immer an der Sache dran". Wer ihn persönlich kenne, wisse, dass er "ein ausgesprochen freundlicher Plauderer" sein könne.
Jan-Christoph Kitzler: Wolfgang Schäuble ist ein Politiker, auf den das Wort altgedient mal wirklich passt. Heute wird er 70, und er hat in vielen Funktionen dem Staat gedient, aktuell als Finanzminister der Bundesregierung. Er war aber auch schon Innenminister, Chef des Bundeskanzleramtes, Fraktionsvorsitzender und nach dem erzwungenen Rücktritt von Helmut Kohl auch anderthalb glücklose Jahre Vorsitzender seiner Partei, der CDU.

Wolfgang Schäuble ist einer, der immer wieder auch harte Rückschläge hinnehmen musste. Die höchsten Ämter blieben ihm verwehrt, Angela Merkel hat ihn als Bundespräsidenten verhindert, so muss man es wohl sagen, und seit einem Anschlag auf ihn 1990 muss Wolfgang Schäuble im Rollstuhl leben und meistert sein Leben dennoch mit Bravour und mit einigem Aufwand.

Zu Wolfgang Schäubles 70. Geburtstag spreche ich jetzt mit einem, der ihn seit der Zeit der Deutschen Einheit aus nächster Nähe kennt, ich bin verbunden mit dem CDU-Politiker und letzten Ministerpräsidenten der DDR, Lothar de Maizière. Schönen guten Morgen!

Lothar de Maizière: Guten Morgen!

Kitzler: Wolfgang Schäuble hat Sie ja mal als seinen einzigen Freund in der Politik bezeichnet. Sagt das eigentlich mehr aus über Sie beide oder über die Politik?

de Maizière: Beides – also er hat ja gesagt, Politik und Freundschaft sind zwei ganz unterschiedliche Bereiche, und ich bin froh, dass Sie sagen, ich wäre der einzige Freund in der Politik, denn er hat viele andere Freunde aus anderen Bereichen, sonst wäre er ein armer Kerl. Aber in der Politik macht man sich nicht so leicht Freunde, das ist wohl wahr.

Kitzler: Wolfgang Schäuble war Verhandlungsführer der Bundesrepublik Deutschland beim Einigungsvertrag mit der DDR. Was hat Sie denn damals, als Sie ihn kennenlernten, an diesem Mann fasziniert?

de Maizière: Ich habe ihn ja schon vorher erlebt, aber in dieser Zeit – also erst mal, wir sind beide Juristen, sind beide Protestanten, sehr nüchtern im Denken, und kommen sehr schnell auf den Punkt –, und diese Konzentration auf das Wesentliche, das ist, glaube ich, entscheidend bei ihm in seinem Denken. Und beim Einigungsvertrag war uns beiden sehr früh klar, dass das kein Kaufvertrag und kein sonst was ist, sondern dass das ein contrat social ist, ein Gesellschaftsvertrag. Ein Vertrag, mit dem wir zwei unterschiedliche Kulturen zusammenführen müssen in einem einheitlichen Rechtsraum. Und da hat er oftmals sogar Positionen von uns – also der ostdeutschen Seite – übernommen, gegen die Westländer vertreten, weil sie im Interesse des späteren gemeinsamen Zusammenlebens wichtig waren.

Kitzler: Kann man das sagen, Wolfgang Schäuble ist ein Staatsdiener im besten Sinne des Wortes?

de Maizière: Wenn ich den Begriff Staatsdiener beschreiben sollte, fiele mir nur er ein, ja. Er ist von der Aufgabe besessen – ich meine, denken Sie mal, er sitzt 23 Jahre im Rollstuhl und immer in verantwortlichen Funktionen und immer an der Sache dran, und er – also wenn ihm die Einheit Deutschlands wichtig war, dann ist ihm jetzt die europäische Frage mindestens ebenso wichtig, er ist ein echter Europäer. Und dass er gelegentlich Härte zeigt, das liegt an den Themen, die er zu bearbeiten hat.

Kitzler: Wir haben schon über das Attentat kurz gesprochen. Wie haben Sie das eigentlich erlebt? Das war im Oktober 1990 im Wahlkampf, damals war die Einheit gerade vollendet. Wie hat sich Schäuble nach diesem Attentat eigentlich verändert?

de Maizière: Ja, viele sagen, er wäre härter geworden. Ich weiß nicht, ob das stimmt, er war ja schon vorher Fraktionsgeschäftsführer und Innenminister, und auch dort – also das Entscheidende ist, dass dieses Attentat, oder dieser Unfall, wie er es selber nennt, ihn gezwungen hat, mit seiner Zeit präziser umzugehen und sich voll zu konzentrieren. Und da sind ihm Leute, die ihn vollschwafeln, sind ihm einfach zuwider. Er mag auf den Punkt kommen, zur Sache kommen, und das wird wohl von manchen als Härte ausgelegt. Wer ihn persönlich näher kennt, weiß, dass er in Gesellschaft ein ausgesprochen freundlicher Plauderer sein kann, dass er Humor hat, also was noch wichtiger ist, dass er zur Selbstironie fähig ist. Menschen, die nicht zur Selbstironie fähig sind, sind meistens die Stinkstiefel.

Kitzler: Kommt dieser Eindruck der Härte gegen sich und auch gegen seine Mitarbeiter – das kommt ja auch immer wieder raus – eigentlich daher, dass Wolfgang Schäuble einer ist, der sich nicht schont, der sich bis an den Rand der Selbstausbeutung belastet?

de Maizière: Richtig. Also Sie müssten mal sehen, wie sein Tag so verläuft von morgens bis abends– kaum Pausen –, und wenn Sie … zum Beispiel, er fährt mindestens zwei mal in der Woche mit seinem Handbike hier in Berlin eine Tour von 22 Kilometer. Das würde manch gesunder nicht mit einem normalen Fahrrad machen wollen. Disziplin, er hat lauter so Dinge, die in Deutschland als preußische Primärtugenden abqualifiziert werden.

Er ist kein Preuße, er ist ja Badener und ist an der französischen Grenze aufgewachsen, das merkt man ihm auch an manchmal in seinem Fühlen und Denken, aber ich glaube, diese Konsequenz im eigenen Handeln, die aber andererseits auch hohe Verlässlichkeit auch gegen alle anderen bedeutet, und die Fähigkeit, den Menschen, die ihm nahe sind, auch eine gewisse Geneigtheit zu zeigen.

Kitzler: Wolfgang Schäuble hat gedient unter Helmut Kohl als Minister, und gleichzeitig bezeichnet er sein Verhältnis zu Helmut Kohl ja jetzt inzwischen als Nicht-Verhältnis. Helmut Kohl hat auch schon gesagt, er will nicht zu seinem Geburtstag kommen. Sie selber haben ja auch ein problematisches Verhältnis, sage ich mal, zu Helmut Kohl, wie ist es …

de Maizière: Ja, ich meine, ich hatte ja zu Kohl kein besonders – oder sagen wir mal so, ich habe zu Kohl gar kein Verhältnis, Schäuble auch nicht. Schäuble hat jetzt mal gesagt, er habe das Verhältnis zu Kohl beendet. Kohl, also Schäuble hat ja dem Kohl fast bis zur Selbstverleugnung gedient, wenn man so will, und ist von Kohl – wenn ich es vorsichtig ausdrücke – schäbig behandelt worden. Und Kohl hat ihn in dieser verdammten Spendenaffäre sitzen lassen, und das haben die beiden offensichtlich nicht ausräumen können.

Aber wenn Sie mal gucken, Helmut Kohl ist ja im Ganzen einsam geworden. Alle seine Weggefährten hat er verprellt, ob das nun Norbert Blüm ist, der ja nun die Rente ist sicher bis zum Abwinken gesagt hat, und einiges mehr – es sind nur ganz wenige geblieben, die um ihn rum sind, und das hat wahrscheinlich auch was mit dem Charakter von Helmut Kohl zu tun.

Kitzler: Wahrscheinlich hat das auch mit Helmut Kohl – genau. Was wünschen Sie eigentlich Wolfgang Schäuble zum Geburtstag? Kann man ihm wünschen, dass er noch lange Finanzminister bleibt, oder ist das zurzeit ein Amt, das man niemandem wünschen darf?

de Maizière: Im Moment soll das unser Wunsch sein, dass er noch lange Finanzminister ist, denn ich glaube, dass er dieses Amt hervorragend ausführt und auch die anderen europäischen Minister respektvoll auf seine Leistung schauen. Ansonsten, ich habe ihm heute Morgen schon gratuliert, ich habe ihm gewünscht viel Glück und viel Segen auf all seinen Wegen.

Kitzler: Dem schließen wir uns an. Der CDU-Politiker Lothar de Maizière über Wolfgang Schäuble. Heute feiert der Bundesfinanzminister seinen 70. Geburtstag. Haben Sie vielen Dank, Herr de Maizière!

de Maizière: Bitte, bitte!

Kitzler: Und Wolfgang Schäubles Geburtstag ist heute Vormittag auch noch mal Thema im "Radiofeuilleton", im Gespräch mit dem Journalisten Hans Peter Schutz gegen 11:10 Uhr.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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