Schätze aus dem Depot

Von Volkhard App · 08.06.2008
Mit klangvollen Namen wie Beckmann, Kollwitz, Munch will das Sprengel Museum in Hannover bei seiner Sommerkunstschau "Wunderkammer" glänzen. Dafür schöpft es aus den eigenen Beständen. Eine billige Verlegenheitslösung in der Sommerpause? Der Direktor widerspricht der Vermutung ausdrücklich.
Er fühlt sich in die Enge getrieben: die Miene versteinert, Schatten auf dem Gesicht. So schaut er den Betrachter an - ein in fahlen Tönen gemaltes Selbstporträt Max Beckmanns, entstanden 1940 im Amsterdamer Exil.

In der Nähe hängt an der Ausstellungswand ein Bronze-Relief von Käthe Kollwitz: Ihr Konterfei ist von den Händen teilweise bedeckt, beklagt wird hier der Tod des Freundes Ernst Barlach. Und eine im Schrei erstarrte, löchrige Maske von Julio Gonzalez erinnert an die Schrecken des Spanischen Bürgerkriegs. Ulrich Krempel, Direktor des Sprengel Museums:

"Eine Maske, die vor allem durch die hell dahinter stehende Wand zu begreifen ist. Und in diesem Positiv-Negativ-Verfahren werden wir mit dem Schmerz konfrontiert. Es ist eine zutiefst menschliche Haltung.

Und in dem nächsten Raum sehen wir eine Skulptur, die den schönen Titel 'Der Morgen’ / 'Le Matin’ trägt: eine große voluminöse Frauenfigur von 1944, die dabei ist, sich aufzurichten. Hier ist der wieder aufblühende Mut in einem Land zu spüren, in dem gerade die Befreiung vom Faschismus erfolgt ist. In Frankreich waren die Deutschen endgültig vertrieben, alles begann wieder neu. Und Bildhauer schaffen dann Formulierungen, die in sehr allgemeiner Form komplexe historische Sachverhalte transportieren."

"Le Matin" von Henri Laurens. Es sind historisch eindringliche Momente beim Gang durch eine Schau, die durch ein Jahrhundert der stilistischen Vielfalt führt: am Eingang ein lächelnder Mädchenkopf Bernhard Hoetgers von 1906, ein in sich versunkenes Wesen aus Bronze.

Und da ist "Das Biest”, eine von Edvard Munch in satten Farben gemalte, verführerische Frauengestalt. Am Ende des Parcours zieht Francis Bacons schonungsloses Menschenbild einmal mehr die Blicke an: der Einzelne - ein vegetierendes Stück Fleisch.

Angesiedelt ist die illustre Auswahl im Spannungsfeld zwischen konkreter Figuration und weitgehender Abstraktion. Und so verwundert es auch nicht, ein aus billigen Materialien - Holz und Gips – montiertes, vorne rot bemaltes Gebilde in der Schau zu finden, das sein Schöpfer, der hannoversche Hausheilige Kurt Schwitters, in den vierziger Jahren "hässliches Mädchen” genannt hat - obwohl diese Figur doch kaum zu identifizieren ist:

"Er war emigriert, war fast 60, verarmt, hatte kein Geld für Material, und versuchte in dieser Situation, aus den wenigen Dingen, die ihm zur Verfügung standen, eine harmonische Form zu schaffen - und gab ihr den ironischen Titel 'ugly girl’. Kein Mensch würde jemals ein Mädchen in dieser Figur vermuten.

Aber mit dem Titel von Schwitters fangen unsere Gedanken sofort an, sich in eine bestimmte Richtung zu bewegen. Die Figur ist gegenläufig zu dem, was Kunst zu sein hat - und beschreibt als solche auch den Überlebenskampf eines Künstlers im Exil, unter erbärmlichsten Bedingungen noch Stimme zu haben und sich seinen Lebensmut und seine kritische Haltung nicht rauben zu lassen."

All diese Arbeiten bekommen in der großen Halle den Raum, den sie benötigen. Immer wieder stellen sich zwischen ihnen feine Korrespondenzen her - zwischendurch ahnt man allerdings auch, dass es hier und da ganz andere Werke derselben Künstler hätten sein können.

Hat diese Ausstellung eine Botschaft? Ja, sie liegt aber eher im Charakter der Veranstaltung selbst. Denn das Museum möchte seinem eigentlichen Auftrag nachkommen und in ungewohnter Form zeigen, was es über lange Zeit gesammelt hat.

Dem möglichen Urteil, dass es sich bei der "Wunderkammer" um eine kostengünstige Sommer-Verlegenheits-Schau handeln könnte, begegnet man auf offensive Art und hat dafür in einer deutschen Kunstzeitschrift bereits Applaus erhalten.

In geradezu demonstrativer Weise also hat man aus den Tiefen der Depots geschöpft, ist auf Entdeckungsreise durch die eigenen Bestände gegangen, die sich ja aus verschiedenen Quellen speisen und nicht nur aus der hervorragenden Kollektion des Schokolodenfabrikanten Sprengel bestehen.

So auch ist der Titel "Wunderkammer” zu erklären:

"Wenn Sie sich mal die Bestände des Sprengel Museums angucken, erkennen Sie unglaublich viele Quellen, die in diesen See gemündet sind, den dieses Museum in übertragenem Sinne darstellt. Und so entdecken wir im eigenen Haus – wie in einer Wunderkammer – immer wieder Dinge, die sich vorübergehend unserem Blick und unserem Zugriff entzogen haben, die wieder auftauchen, weil sie vielleicht auch wieder vorgestellt werden wollen. Insofern haben wir 'Wunderkammer’ als Symbol genommen für eine Sammlung, die ihre eigene Geschichte in sich trägt.

Teile unserer Sammlung reichen bis zu 100 Jahre zurück und haben eigentlich noch viel früher, nämlich in den Ateliers der Künstler, begonnen. Man muss sich das klarmachen: Museum ist ein Ort, der seine eigene Geschichte hat – und darüber denken wir hier auch ein Stück weit nach."

Gefragt ist nun der Ausstellungsbesucher, der bereit ist, sich zum Staunen und "Wundern” verführen zu lassen - und nicht bloß an "Blockbustern” interessiert ist, die mit einer Heerschar internationaler Leihgeber und horrenden Versicherungssummen Schlagzeilen machen:

"Wir geben mit einem persönlichen Blick Bericht über die Dinge. Und das ist das Angebot auch an den Betrachter: nehmen Sie unser Vorhaben auf und schauen Sie sich die Werke an, die wir Ihnen lange vorenthalten haben und die wir Ihnen jetzt endlich anbieten – reumütig, denn natürlich merkt man auch, was man alles vergessen hat die Jahre über. Man kann hier Positionen wiederentdecken wie die erheblich vergessene Martel Schwichtenberg, die mit einem fulminanten Bild von 1923 vertreten ist, der ‚Zitronensaftverkäuferin’.

Man hat also die Möglichkeit, Werke zu entdecken, die außerhalb des Mainstreams liegen. Und allein das macht den Kunstfreunden Spaß, man hat die Chance auf solche individuellen Blicke."

Info:
Die Ausstellung "Wunderkammer. Figur und Raum – von Archipenko bis Niki de Saint Phalle" ist vom 8. Juni bis zum 17. August 2008 im Sprengel Museum Hannover zu sehen.