Schäfer-Gümbel schließt Rückzug Ypsilantis nach Hessenwahl nicht aus

Thorsten Schäfer-Gümbel im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
Der Spitzenkandidat der hessischen SPD, Thorsten Schäfer-Gümbel, hat einen Rückzug Andrea Ypsilantis von ihren politischen Ämtern nach der Hessen-Wahl nicht ausgeschlossen. Personaldebatten ständen aber in der hessischen SPD zurzeit nicht an. "Wir haben ein großes Ziel: Wir wollen Schwarz-Gelb in Wiesbaden verhindern", sagte er.
Jörg Degenhardt: Aus der letzten Reihe ins Rampenlicht oder vom Verlegenheitskandidaten zum Hoffnungsträger, und das noch in Rekordgeschwindigkeit. Die Geschichte des sozialdemokratischen Spitzenmannes für die Hessen-Wahl ist inzwischen hinlänglich bekannt. Ob sie allerdings am 18. Januar ein glückliches Ende findet am 18. Januar, das steht noch in den Sternen, denn die SPD zwischen Kassel und Darmstadt, Wiesbaden und Fulda braucht für den Griff zur Macht Partner und die zieren sich derzeit wie die Grünen, wollen erst gar nicht wie die CDU unter Roland Koch, oder sind mit sich selbst beschäftigt wie die Linkspartei. SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel will gleichwohl für stabile Verhältnisse nach der Wahl am 18. sorgen. Das hat er gestern beim Start in die heiße Phase des Wahlkampfs gesagt. Was er dabei unter stabilen Verhältnissen versteht, fragen wir ihn. Ich grüße Sie, Herr Schäfer-Gümbel! Stabil ist doch bisher nur der Negativtrend für die SPD in den Umfragen, trotz der guten Noten, die Sie persönlich erhalten. Bleibt am 18. Januar wirklich mehr für Sie als die Rolle des guten Verlierers?

Thorsten Schäfer-Gümbel: Erst einmal guten Morgen! Natürlich bleibt da viel mehr für uns, weil die Frage, was am 18. Januar passiert, entscheiden die Wählerinnen und Wähler erst einmal, und wir wissen bis heute nur eins, dass nämlich die Hälfte aller Wählerinnen und Wähler noch nicht entschieden ist, was sie tut. Genau darum geht es in den nächsten zwei Wochen. Ich nehme zur Kenntnis, dass die gesamte politische Konkurrenz - von Linkspartei über Grüne bis zu Union und FDP - gerne über Koalitionen redet, ich aber darüber rede, um was es wirklich geht, nämlich um die Frage: Wie organisieren wir die Bildung von morgen, wie sorgen wir für ordentliche Arbeitsbedingungen, welchen Beitrag kann Politik dazu leisten, wie organisieren wir die Energiewende und wie gehen wir gerecht mit der Krise um.

Degenhardt: Sie haben die Koalitionsmöglichkeiten schon angesprochen. Warum wollen oder können die anderen nicht mit der SPD? Selbst die Grünen zeigen sich ja irritiert wegen der von Ihnen geforderten Zwangsanleihe für Reiche. Ist die Hessen-SPD zu links?

Schäfer-Gümbel: Nein, das ist der Versuch, nachdem wir aus einem schwierigen Jahr 2008 rauskommen, sich auf unsere Kosten zu profilieren. Das ist aus jeweiliger Sicht der Parteien natürlich legitim, dass sie versuchen, ihre Mehrheitsoptionen auf unserem Rücken aufzubauen. Aber ich glaube nicht, dass es funktioniert, weil die Wählerinnen und Wähler nehmen zur Kenntnis, dass wir über Themen reden, während alle anderen sozusagen über Hütchenspiele reden.

Degenhardt: Aber die Wähler nehmen auch zur Kenntnis, dass Sie nach wie vor die Option mit der Linkspartei nicht aus der Hand geben wollen. Warum eigentlich nicht?

Schäfer-Gümbel: Das ist ganz einfach. Wenn ich das jetzt tun würde, würden mir doch alle sagen, sie glauben mir nicht. Deswegen führe ich nicht die falsche Debatte zum falschen Zeitpunkt, sondern ich führe die Debatte darüber, was sind die Bedingungen für Koalitionen. Die Bedingungen für Koalitionen sind erstens, dass uns die Wählerinnen und Wähler ein Mandat dazu geben. Zweitens, dass wir unsere Inhalte: das fängt bei Bildungsgerechtigkeit an und hört bei dem Ausbau des Frankfurter Flughafens unter den Bedingungen der Mediation auf. Und letztlich, dass es eine stabile Konstruktion ist. Das sind die drei Grundbedingungen, die für Koalitionen entscheidend sind. Unter diesen Bedingungen – und insofern habe ich aus den hessischen und hat die hessische SPD aus den hessischen Verhältnissen gelernt – haben wir gesagt, schließen wir nichts mehr aus, sondern wir erwarten jetzt in Demut auf das Ergebnis der Wählerinnen und Wähler.

Degenhardt: Wie ist denn Ihre Partei inzwischen eingestellt zu einer möglichen Koalition beziehungsweise zu einer Zusammenarbeit mit den Linken? Da gab es doch schon in der Vergangenheit Widerstände. Warum sollten die auf einmal nicht mehr auftauchen?

Schäfer-Gümbel: Sehen Sie, gegen Koalitionen gibt es immer Widerstände. Wir sind im Moment auf dem Weg, erst einmal über die Themen zu reden, und wir versuchen, dafür eine Mehrheit im hessischen Landtag zu organisieren. Das heißt, dass die SPD so stark wie irgend möglich werden muss. Alles andere entscheidet sich dahinter. Dass das alles in Hessen nicht einfach ist, sehen Sie an den Debatten. Der entscheidende Punkt ist nur: alle anderen müssen jetzt mal erklären, nachdem sie jetzt anfangen, wieder die "Ausschließeritis" zu formulieren, was sie eigentlich tun wollen, wenn es für Schwarz-Gelb keine Mehrheit gibt. Das ist doch eine der zentralen Fragen in diesen Tagen. Stattdessen beschäftigen wir uns im Moment mit der Frage, wer kann mit wem. Das ist nicht unser Thema. Unser Thema ist, wie gehen wir mit der Wirtschaftskrise um, wie gehen wir mit Arbeit um, wie gehen wir mit der Bildungsfrage um.

Degenhardt: Noch mal zur schon erwähnten Anleihe. Die Bundes-SPD geht auch mit der Forderung nach höheren Steuern für Gutverdienende neben einem schuldenfinanzierten Konjunkturpaket von 40 Milliarden Euro in die Verhandlungen mit der Union. Das lesen wir heute in der "Süddeutschen Zeitung", dass die breiteren Schultern mehr tragen sollen. Damit scheinen Sie ja in Ihrer Partei zumindest nicht alleine zu stehen.

Schäfer-Gümbel: Ich bin sehr zufrieden mit dem Ergebnis, weil die Debatte genau die Frage der Gerechtigkeitslücke noch mal aufgemacht hat. Ich halte den Vorschlag für einen klugen und bin insgesamt, was diesen Teil angeht, sehr zufrieden. Das, was die "Süddeutsche" heute berichtet als Solidarbeitrag Bildung, von Spitzenverdienern einzufordern, geht genau in die Richtung, die ich vor Weihnachten eingefordert habe, und deswegen bin ich sehr zufrieden mit dem Ergebnis.

Degenhardt: Sind denn solche Ziele mit der CDU und vor allem auch mit der CSU in Berlin überhaupt durchzusetzen?

Schäfer-Gümbel: Ich kann Ihnen sagen, was mit uns nicht durchzusetzen sein wird. Das sind Steuersenkungen für Reiche, angesichts der Situation. Das sind die falschen Zeichen in diesen Tagen. Und ich hoffe, dass die Union in dieser Frage zur Besinnung kommt.

Degenhardt: Machen wir noch mal einen Sprung in die Landespolitik, in Ihr Land nach Hessen. Ihre Parteifreundin Frau Nahles, immerhin eine Stellvertreterin von Herrn Müntefering, der gestern auch bei Ihrem Wahlkampfauftakt in Gießen gesprochen hat, Frau Nahles meinte, in Ihrem Landesverband müsste es einen Generationswechsel geben und Sie müssten eine Führungsrolle übernehmen. Folgt dann nach dem Wahltag am 18. Januar so etwas wie das große Stühlerücken bei Ihnen?

Schäfer-Gümbel: Sehen Sie, die Frage, was nach dem 18. Januar passiert, werden wir dann auch genau aufrufen, wenn der 18. Januar vorbei ist. Wir führen im Moment in Hessen keine Personaldebatten, sondern konzentrieren uns genau darauf, worum es am 18. Januar geht, und wir werden allen Versuchen erliegen, genau uns von diesem großen Thema, nämlich wie wir für die zentralen Fragen Bildung, gute Arbeit, gerechte Finanzierung der Wirtschaftskrise oder den Konsequenzen aus der Wirtschaftskrise bis zur Energiewende, wie wir dafür Mehrheiten organisieren.

Degenhardt: Aber Sie wollen auch nicht ausschließen, dass dann der endgültige Rückzug von Frau Ypsilanti möglicherweise anstehen könnte, als Fraktionschefin und als Landesvorsitzende?

Schäfer-Gümbel: Sehen Sie, ich schließe weder was aus, noch projiziere ich irgendetwas. Der entscheidende Punkt ist, dass Personaldebatten für uns im Moment nicht anstehen. Wir haben in der hessischen SPD einen neuen Wahlspruch im letzten Jahr entwickelt: Einen Kloß nach dem anderen, weil wenn man mehrere auf einmal nimmt, verschluckt man sich. Und wir haben ein großes Ziel: Wir wollen Schwarz-Gelb in Wiesbaden verhindern, weil wir damit überhaupt erst eine Option darauf bekommen, eine andere Politik zu machen.

Degenhardt: Aber Frau Ypsilanti – ich muss noch mal darauf zurückkommen – hat gestern beim Wahlkampfauftakt in ihrer Rede nicht einmal Ihren Namen erwähnt, wenn ich das richtig mitbekommen habe. Sieht so echte Wahlkampfunterstützung aus?

Schäfer-Gümbel: Sehen Sie, die Frage, wie wir unseren Wahlkampf aufstellen, das haben wir uns gründlich überlegt, und ich bin da sehr zufrieden.

Degenhardt: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch! Am Telefon von Deutschlandradio Kultur war Thorsten Schäfer-Gümbel, der Spitzenkandidat der Hessen-SPD für die Wahl am 18. Januar.

Schäfer-Gümbel: Ja, herzlichen Dank für das Gespräch!