"Schädliche Fehlanreize im Gesundheitswesen"

Peter T. Sawicki im Gespräch mit Birgit Kolkmann |
Der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Peter T. Sawicki, fordert eine grundlegende Reform des Gesundheitssystems. Vor allem im Bereich der Medikamentenverschreibungen gebe es Einsparmöglichkeiten in Milliardenhöhe
Birgit Kolkmann: Es gibt ihn noch nicht mal seit einem Jahr, doch der Gesundheitsfonds, die Geldsammelstelle für das Gesundheitswesen, stößt schon an seine Grenzen, denn das Herzstück der großkoalitionären Gesundheitsreform hat den Hunger nach Geld im Gesundheitsbereich nicht stillen können. Es droht eine Lücke von bis zu 8 Milliarden Euro im nächsten Jahr, sagt der Schätzerkreis, der diese Woche in Bonn tagte. Wird die künftige schwarz-gelbe Regierung jetzt die Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen dazu verdonnern, draufzuzahlen? - Peter Sawicki ist Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Schönen guten Morgen im Deutschlandradio Kultur!

Peter Sawicki: Guten Morgen, Frau Kolkmann!

Kolkmann: Herr Sawicki, wie kann es sein, dass sich jetzt schon wieder ein Milliardenloch auftut?

Sawicki: Es gibt verschiedene Gründe dafür. Zum einen sinken die Einnahmen aufgrund der höheren Arbeitslosigkeit, die für das nächste Jahr vermutet wird, und zum anderen steigen immer weiter die Ausgaben. Ich denke also, dass wir hier vor allen Dingen die Ausgabenseite uns auch anschauen müssten.

Kolkmann: Die Kassen haben Rücklagen, sagt die Noch-Ministerin Schmidt, 5 Milliarden. Könnten die nicht erst einmal verbraucht werden?

Sawicki: Ja, die könnten erst mal verbraucht werden. Aber wir haben ja eine dauerhafte Entwicklung und hier jagt eine Reform die andere. Hier brauchen wir tatsächlich stabile Lösungen, auch damit endlich mal Ruhe ins System kommt und die Ärzte in Ruhe arbeiten können.

Kolkmann: Ist eigentlich Gesundheitspolitik, immer neue Mittel zu finden, um die sich immer wieder neu auftuenden Löcher zu stopfen?

Sawicki: Ich denke, dass wir schädliche Fehlanreize im Gesundheitswesen haben. Belohnt wird derjenige, der viel diagnostiziert und therapiert, und nicht der, der die Patienten gut behandelt. Das ist eines der Probleme. Das ist nicht nur teuer, sondern auch schlecht für die Patienten. Stattdessen sollten wir eine gute medizinische Ergebnisqualität belohnen. Dadurch würden wir eine Verbesserung der Qualität schaffen und auch die Ausgaben stabilisieren.

Kolkmann: Wenn immer dann, wenn sich Löcher auftun, neues Geld eingesammelt wird, wo endet das dann, irgendwann wie in den USA, wo das teuerste System der Welt völlig ineffektiv ist?

Sawicki: Ja. Die USA haben das bisher so gelöst, dass sie sehr viele Menschen, 45 Millionen, nicht versichert haben, und Schätzungen gehen dahin, dass dort 40.000 Tote pro Jahr durch die fehlende Versicherung verschuldet werden und das müssen wir auf jeden Fall vermeiden. Wir müssen alles tun, um dieses Solidarsystem zu erhalten, was eine gute Medizin ermöglicht, damit jeder sich eine Medizin leisten kann, die auch effektiv ist.

Kolkmann: Sie sagen, das muss man sich genau angucken. Wo liegen denn die Sparpotenziale?

Sawicki: Die Sparpotenziale liegen darin, dass die Ärzte dafür belohnt werden, dass sie möglichst viel diagnostizieren und therapieren. Das ist nicht gut, weil sie das dann auch tun. Besser wäre es, man würde sie für eine gute Ergebnisqualität belohnen, also dafür, dass sie unter Umständen nicht eine Herzkatheter-Untersuchung machen, sondern den Patienten bezüglich der Diät beraten, wenn das dann genauso erfolgreich ist. Das müsste belohnt werden.

Kolkmann: Wie würde eine solche Belohnung für einen Arzt aussehen?

Sawicki: Das könnte zum Beispiel so aussehen, dass man die Qualität erhebt und dann zusätzliche Gelder denjenigen Krankenhäusern, denjenigen Praxen oder Praxisgemeinschaften zukommen lässt, die tatsächlich die Patienten besser behandeln, also nicht mehr tun, nicht möglichst viele Röntgenaufnahmen machen, nicht möglichst viele Operationen machen, denn wir machen nämlich interessanterweise mehr als im Ausland, sondern dass sie die Patienten gut behandeln und dass die Patienten auch zufriedener sind.

Kolkmann: Müssten dann nicht Heerscharen von Qualitätskontrolleuren ausschwärmen, um das zu prüfen?

Sawicki: Ein solches Qualitätsinstitut ist ja bereits eingerichtet worden. Das ist das Institut in Heidelberg, in Zusammenarbeit mit der Uni Heidelberg, und dieses Institut könnte solche Vorgaben ja machen, dass solche Ergebnisqualität erhoben wird. Das wird übrigens im Ausland mit großem Erfolg gemacht.

Kolkmann: Arzneimittel ist ein weiteres Thema. Da heißt es ja auch, dass gerade im Ausland, zum Beispiel in Großbritannien, sehr viel weniger Geld dafür ausgegeben wird, ohne dass weniger Medikamente an die Menschen ausgegeben werden. Was wären da für Einsparpotenziale möglich?

Sawicki: Ich denke, dass hier die Ärzte besser verschreiben sollten. Die Fortbildungen der Ärzte werden ja überwiegend mit Beteiligung der pharmazeutischen Industrie durchgeführt. Daher verschreiben die Ärzte auch zu viele unnötige und teure Medikamente. Was wir bräuchten wäre zunächst einmal eine verpflichtende, unabhängig durchgeführte Fortbildung für die Ärzte und dies würde nicht nur die Kosten senken, sondern auch die Therapiequalität steigern, denn teure Medikamente sind nicht unbedingt besser. Sie sind neu, sie sind noch unter Patentschutz, unter Umständen sind sie nicht ausreichend untersucht, auf jeden Fall sind sie teuer, belasten das Solidarsystem, aber könnten auch Patienten schaden.

Kolkmann: Welche Einsparpotenziale gäbe es denn gerade bei den Arzneimitteln?

Sawicki: In dem letzten Arzneimittel-Verordnungsreport wird ein Einsparpotenzial von etwa 3 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

Kolkmann: Das ist eine sehr große Summe. Damit könnten dann die Löcher, die sich jetzt für die Versicherten auftun, schon gestopft werden.

Sawicki: Ja, zum Teil. Besser wäre es natürlich, nicht nur jetzt die Löcher zu stopfen, sondern das System so zu stabilisieren, eine gute Gesundheitsreform zu machen, die dann auch mehr als ein, zwei Jahre hält, und das geht nur durch eine Änderung des Systems in Richtung auf mehr Qualität und tatsächlich auch mehr unabhängige Ärztefortbildung.

Kolkmann: Stattdessen wird natürlich jetzt schon wieder diskutiert, wo das Geld herkommen kann, dass man die Versicherten zur Kasse bittet, oder dass möglicherweise Leistungen ausgegliedert werden aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Wäre das schon wieder ein Schritt hin zur Zwei-Klassen-Medizin?

Sawicki: Ich befürchte sehr, dass jetzt einige nach Leistungsausgliederungen schreien, weil das natürlich auch eine Möglichkeit ist, die Kosten zu senken. Das wäre in einem solchen System ja verheerend, wenn wir Patienten notwendige Maßnahmen vorenthalten, nur weil das System ineffizient arbeitet. Wir brauchen einerseits jetzt eine schnelle Lösung, aber andererseits auch eine dauerhafte Lösung durch eine Änderung des Systems, so dass wir nicht in ein, zwei Jahren erneut wieder solche Probleme bekommen.

Eine vorübergehende Lösung wäre natürlich über den Gesundheitsfonds eine Finanzierung über Steuermittel - das ist ja möglich -, aber wir brauchen einen Umbau des Systems, damit wir uns nicht jedes Jahr immer wieder mit Gesundheitsreformen beschäftigen müssen.

Kolkmann: Wie man die Lücke im Gesundheitswesen stopfen könnte. Das war Peter Sawicki, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Vielen Dank für das Gespräch in Deutschlandradio Kultur, Herr Sawicki.